Senta Berger: Interview:"Michael, lade mich nach Venedig ein!"

In ihrem neuen Film folgt Senta Berger ihrem kranken Mann in den Freitod. Im wahren Leben feiert die Schauspielerin demnächst ihren 70. Geburtstag. Ein Gespräch über den Sinn des Lebens und warum sie keinen Trauring trägt.

S. Hermanski

Im Privatleben ist Senta Berger seit 44 Jahren mit dem Regisseur Michael Verhoeven verheiratet. Mitte Mai wird sie unglaubliche 70. Im Kino ist das Fräuleinwunder von einst und die nach wie vor blühende Schönheit nun in Satte Farben vor Schwarz zu sehen. Darin spielt sie eine Frau, die ihrem unheilbar kranken Mann (Bruno Ganz) in den Freitod folgt. Unvorstellbar beim Gespräch in dem kleinen Restaurant am St.-Anna-Platz, wo ihre Wärme den Raum erfüllt, während draußen das Schneechaos tobt.

Premiere 'Satte Farben vor Schwarz'

Zum ersten Mal gemeinsam vor der Kamera, in der Geschichte aber seit 50 Jahren ein Paar: Senta Berger als Anita und Bruno Ganz als Fred. Eine Liebe, die über das Leben hinausgeht.

(Foto: dpa)

SZ: Sie tragen ja gar keinen Trauring!

Senta Berger: Ich spiele gerade die Ermittlerin Eva Prohacek in Unter Verdacht, und die Frau lebt ja alleine. Danach drehe ich gleich noch fürs Kino die Verfilmung von Daniel Kehlmanns Roman "Ruhm", da kann ich ihn auch nicht tragen.

SZ: Sie legen ihn nur für Ihre Rollen ab?

Berger: Ja. Der Ring passt mir noch, und ich trage ihn gerne. Wenn ich ihn ansehe, steigt in mir ein schönes Bild auf. Von damals.

SZ: Von dem Moment, als Ihr Mann ihn an den Finger gesteckt hat?

Berger: Ja, von unserer sehr heiteren Hochzeit. Jetzt trage ich ihn schon seit September nicht mehr - aber wir wissen ja warum. Dann ist es o.k., Michael trägt ihn allerdings immer - falls Sie das interessiert.

SZ: Aber ja, schließlich geht es auch um tiefste Romantik in "Satte Farben vor Schwarz". Da sagen Sie als Anita über einen Seitensprung: "Es war ein schönes Gefühl, aber nur ein ganz kleines, im Vergleich zu meinen Gefühlen für Fred." Gibt es eine schönere Erklärung der Liebe?

Berger: Das Zitat passt gut, der Film will ja nicht die Geschichte eines alt gewordenen, makellosen Romeo-und-Julia-Paares erzählen. Es geht darin um eine durchschnittliche Ehe. Sophie Heldmann, die das Buch geschrieben und die Regie geführt hat, wollte eine Liebe zeigen, die über das Genervtsein vom allmorgendlichen Butterkratzen des Gatten auf dem Toast hinweg gehalten hat. Die den ganzen Alltag überdauert hat. Das gibt es ja öfter, als wir denken.

SZ: Bei Ihnen und Michael Verhoeven offenbar auch. Aber muss man sich als Frau dem Geliebten gleich in den Orkus hinterherwerfen?

Berger: Muss man sicher nicht, aber der gemeinsame Freitod von Liebenden war schon in der Antike ein beliebtes Thema. Natürlich stellt man sich da meist jugendlich Liebende vor. Philemon und Baucis passen auf Fred und Anita schon eher, bloß stehen die nicht auf solch historischen Sockel.

SZ: Was ist das Geheimnis solcher Lieben?

Berger: Dahinter steckt eine tiefe Bindung zweier Menschen, die sich über all die Jahre hinweg gesucht und gefunden haben - auch weil sie sich finden wollten. Das ist für mich dabei entscheidend. Alles, was am Wegesrand passiert, berührt in Grunde nie dieses Versprechen, das man in der allerersten Liebesnacht gegeben hat: "Wo Du hingehst, will auch ich hingehen."

SZ: Aber man kann es auch übertreiben.

Berger: Sie meinen der gemeinsame selbstbestimmte Tod ist eine Übertreibung? Für viele mag es so sein. Für religiös gebundene Menschen ist er das sicher. Er ist die sublimste Form der Hingabe. Darüber haben Fred und Anita sich gewiss schon früher und oft unterhalten.

SZ: Muss man, wie Fred und Anita, in einem bestimmten Wohlstand leben, um zu so einer Entscheidung zu gelangen?

Berger: So genau sagt der Film das gar nicht. Das lässt Sophie Heldmann, wie so vieles andere, ganz bewusst aus. Das gefällt mir gerade so gut. In einem Fernsehfilm würde ihre finanzielle Lage ganz genau definiert. Aber viel interessanter ist der Bildungswohlstand, den Anita und Fred haben. Der setzt Gedankenketten in Gang, an die sich andere, weniger informierte Menschen gar nicht wagen würden.

SZ: Glauben Sie, der Freitod ist eine Frage des Bildungsstandes?

Berger: Den Wunsch danach gibt es in jeder Schicht, aber man braucht oft Vorbilder, um sich so einen Schritt zuzugestehen.

"Irgendwann wächst aus meinem Grab ein Rosenbusch"

SZ: Moralische Bedenken werden im Film nicht thematisiert. Zum Beispiel: Habe ich ein Recht, mir mein gesundes, noch kraftvolles Leben zu nehmen?

Berger: Sie wollen einen ganz anderen Film sehen! Aber ich persönlich, ich denke mir eines auch: Anita lässt ihre Kinder im Stich! Die sind zwar schon groß, aber das würde mir schwerfallen. Doch Anita entscheidet sich anders, und warum? Das ist das Geheimnis des Films, das jeder für sich lösen muss.

SZ: Können Sie sich vorstellen, wie Anita zu handeln? Freundet man sich mit dem Tod an, wenn geliebte Menschen sterben?

Berger: Ich bin noch nicht soweit. Mein Lebensgefühl ist ein völlig anderes. Natürlich habe ich Verluste erfahren. Unsere Eltern, Freunde. George Tabori zum Beispiel war ein ganz enger Freund, wir vermissen ihn bitterlich. Aber wir beziehen das nicht auf uns, beide nicht. Wir sind beide noch fest verankert in einer anderen Lebensphase. Bei uns in der Familie werden gerade Kinder geboren, Söhne heiraten, keiner von uns hat Schmerzen oder ist krank. Aber der Punkt wird kommen, wo ich das anders sehe.

SZ: Sind Sie religiös?

Berger: Nein. Dann sähe ich das sicher anders. Dann sieht man das Abschiednehmen von der Welt als eine Stufe auf dem Weg zur Wiedergeburt oder zum ewigen, paradiesischen Frieden. Ich kann das nicht. Ich finde, was jetzt passiert, das ist der Sinn des Lebens. Und wenn es mir gelingt, dem Leben einen Sinn zu geben, dann werden auch noch manche lange an mich denken und von mir sprechen. Und so lange sie das tun, werde ich ihnen nahe und lebendig bleiben. Und irgendwann wächst dann aus meinem Grab, meiner Erde, ein Rosenbusch. Das ist tröstlich.

SZ: Sie werden im Mai 70 Jahre alt?

Berger: Aber ich sag's Ihnen gleich: Ich bin nicht da!

SZ: Kein rauschendes Fest?

Berger: Mal im Ernst: Ich finde es kein Verdienst, wenn man sieben Jahrzehnte erfolgreich überlebt hat. Natürlich bin dankbar, dass es mich noch gibt, da kann ich sogar von einem Wunder sprechen. Aber mich feiern lassen deshalb? Wenn ich ein Mittel gegen Aids gefunden hätte, ja, dann! Aber was habe ich gemacht? Das, was ich am liebsten tue. Ich habe gespielt! Ich habe meine Kindheit verlängert. Ich habe das Privileg, einen Beruf zu haben, der mich immer noch in Atem hält.

SZ: Aber so ganz werden Sie nicht um die Party herumkommen...

Berger: Die Familie wird zusammenkommen. Und wir sind eine große Familie. Wenn schönes Wetter ist, werden wir einfach zusammen im Garten sitzen. Aber offiziell - und das möchte ich hier mal ausdrücklich zu Protokoll geben - möchte ich, dass Michael mich nach Venedig einlädt!

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