Süddeutsche Zeitung

Sendling:Rudi in der Zwischenwelt

An der Gotzinger Straße entsteht ein sogenanntes Netzwerkhaus. Firmen, die dort einziehen, sollen sich gegenseitig helfen und voneinander lernen. Zum Auftakt stellen sich Sendlinger Nachbarn mit lebensgroßen Porträtfotos vor

Von Jana Sauer, Sendling

Ein bisschen wirkt das große Gebäude an der Gotzinger Straße 19 wie das Set eines Arthouse-Films: Nackte, löchrige Betonwände, das veraltete Plakat eines Autoreifenherstellers hängt vergessen an der Wand. Mittendrin steht eine minimalistische, aber sichtbar hochwertige und brandneue Sitzgarnitur. Viel ist von dem Autoabschleppdienst, der hier zuletzt residierte, nicht mehr zu erkennen. Auch die künftige Nutzung hat noch nicht wirklich Einzug gehalten, die Räume befinden sich in einer Art Zwischenwelt.

Den Schwebezustand nutzen einige Sendlinger, die sich an diesem Wochenende in der Ausstellung "Nachbarn - Menschen in der Gotzinger Straße" vorstellen. Wer tatsächlich im Komplex einziehen wird, steht noch nicht fest. Als temporäre Nutzung halten unter anderem Künstler und Gastronomen in Form von lebensgroßen Porträts des Fotografen Sebastian Gabriel Einzug. Auf die bloße Wand tapeziert, unterstreichen sie das künstlerische Flair des Geländes. In längst vergangenen Tagen ging hier auf dem Großmarkt frischer Fisch dutzendweise über den Tisch, bald soll es deutlich futuristischer zugehen.

Arbeitswelten verändern sich, und Arbeitsplätze gleich mit. Sendling erlebt gerade hautnah, was Digitalisierung und Vernetzung konkret für den Büroalltag bedeuten: Von 2019 an entsteht an der Gotzinger Straße auf fünf Stockwerken mit einer Gesamtfläche von 3500 Quadratmetern ein "Netzwerkhaus", im Spätherbst 2020 soll es fertig sein. Im Erdgeschoss wird dann in einem offen geschnittenen Restaurant nicht nur für die Mieter, sondern für alle Gourmets im Viertel gebrutzelt. Einzelkämpfer dürfen nicht unter den künftigen Mietern sein: "Die Firmen, die einziehen, sollen sich gegenseitig helfen und voneinander lernen", erklärt Matthias Ottmann mit seinem Unternehmen Urban Progress.

Urban soll es werden, modern und gemütlich. Völlig freie Hand haben Ottmann und Architektin Ruth Berktold aber nicht: Die Hausnummer 19 und die umgebenden Gebäude stehen unter Ensembleschutz. Die Denkmalschutzbehörde muss bauliche Veränderungen absegnen und sorgt dafür, dass benachbarte Gebäude zusammen ein stimmiges Bild abgeben. "Wir hoffen, dass unser Projekt eine Initialzündung für das Viertel wird, es leben so viele spannende Leute hier," wünscht sich Berktold. Und genau die sind an diesem Wochenende vorübergehend zu sehen, mit kurzen Texten stellen sie sich und ihre Arbeit vor. Vernetzung ist auch für die Abgebildeten ein großes Thema, sie wünschen sich einen besseren Kontakt unter den Sendlingern.

Manche der Porträtierten sind schon seit Jahrzehnten hier. Einer von ihnen ist Rudi, nur Rudi. Als dienstältester Gastronom auf der Gastro-Insel an der Gotzinger Straße betreibt er "Rudis Imbiss." Neben seinem Bild hängt kein Infotext, weil Rudi keine E-Mail-Adresse hat. Wer mehr über ihn erfahren will, muss also darauf setzen, in der Ausstellung mit ihm ins Gespräch zu kommen, oder bei ihm essen gehen.

Öffnungszeiten: Freitag, 16. November, 14 bis 18 Uhr. Samstag, 17. November, und Sonntag, 18. November, zwölf bis 18 Uhr. Eintritt frei.

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Quelle:
SZ vom 16.11.2018
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