Süddeutsche Zeitung

Sendling:Hightech mit himmlischem Klang

Nach ihrer Renovierung und Modernisierung für fast eine Million Euro wird die Orgel von St. Margaret wieder eingebaut. Kirchenmusiker Christian Bischof kann es kaum erwarten, auf ihr zu spielen

Von Patrik Stäbler, Sendling

Wenn Christian Bischof an diesem Sonntag die Pfarrkirche St. Margaret betritt, dann werden zwei Seelen, ach!, in seiner Brust wohnen - eine wehmütig, die andere vorfreudig. Und sitzen wird der Organist in der Messe nicht etwa an seinem angestammten Platz auf der Empore, sondern vorne im Altarraum, an einer provisorisch aufgestellten Truhenorgel - "mit drei Registern", sagt Bischof und klingt wie ein Profi-Gitarrist, dem man eine Kinder-Ukulele in die Hand gedrückt hat. Dazu muss man wissen: Der 37-jährige Kirchenmusiker ist ein renommierter Organist, der Konzerte in halb Europa gibt. Eine Truhenorgel ist für ihn, vorsichtig ausgedrückt, kein klanglicher Hochgenuss - zumal an der Westwand der Kirche, direkt in seinem Blickfeld, eine der prächtigsten und größten Orgeln der Stadt steht.

Wobei: Momentan ist von dem 1915 gebauten Instrument mit seinen bis zu zwölf Meter hohen Prospektpfeifen nicht viel zu sehen. Ein deckenhohes Baugerüst verstellt den Blick; auch am Boden ist der hintere Teil der Kirche mit Bauzäunen abgesperrt. Denn aktuell läuft der Wiederaufbau der Orgel, weshalb Christian Bischof, wenn er an seiner Truhenorgel sitzt, nicht nur Wehmut sondern auch Vorfreude empfindet. Im Oktober soll das dann 70 Register umfassende Instrument feierlich eingeweiht werden. Eingeladen sind 25 Musiker aus mehreren Ländern, die bei Konzerten auf der frisch renovierten Orgel spielen. Und als Allererster - "das lasse ich mir nicht nehmen", sagt Bischof - darf der Kirchenmusiker von St. Margaret in die Tasten greifen.

An einem Dezembervormittag sieht er hoch oben unterm Kirchendach zu, wie Bauarbeiter eine Prospektpfeife per Seilwinde auf die Empore hieven. Leichtfüßig wie ein Akrobat ist Bischof zuvor das schmale Baugerüst emporgeklettert - "ich komme ja auch regelmäßig hier hoch". Mindestens ebenso regelmäßig hat er bis vor wenigen Jahren Besucher durch das Innenleben der alten Orgel geführt, um ihnen die Dringlichkeit der Sanierung vorzuführen. Risse in den Windkanälen seien notdürftig mit Klebeband abgedichtet worden, erzählt der Musiker. Etliche Pfeifen waren verstopft oder abgeknickt. Statt hochwertiger Materialien steckten viel Sperrholz und Spanplatten in der Orgel. Überhaupt habe man dem Instrument an allen Ecken und Enden angesehen, dass es nach dem Krieg, in dem es schwer beschädigt wurde, mit viel Eile, aber wenig Geld repariert worden ist.

Im Jahr 2017 entschied die Pfarrei, die Orgel renovieren zu lassen. Der Auftrag ging an die Bonner Firma Klais, die auch die Konzert-Orgel in der Elbphilharmonie gebaut hat. Im Frühjahr 2018 wurde das Instrument in seine Einzelteile zerlegt und abgebaut. Im Anschluss inspizierten die Orgelbauer jede der rund 4500 Pfeifen - und reparierten und reinigten im Akkord. Derweil wurde in der Kirche für rund eine Million Euro die marode Westwand saniert, ehe es an den Wiederaufbau der Orgel ging: Zunächst errichteten die Arbeiter im September das Holzgehäuse und die Tragwerkskonstruktion. Danach folgte der technische Teil des Instruments, vor allem die Kanal- und Balganlage. Ende kommender Woche sollen die letzten Prospektpfeifen eingebaut werden, sodass möglichst vor dem Besucheransturm an den Feiertagen das Baugerüst wieder entfernt und der hintere Teil der Kirche freigegeben werden kann.

Im neuen Jahr geht es dann an die Elektroarbeiten und den Anschluss des Spieltisches. "Da wird die neueste Technik eingebaut, wie es sie in dieser Art in München noch nirgendwo gibt", schwärmt Bischof. Beispielsweise wird der Organist künftig auch an einem zweiten Spieltisch im Altarraum sitzen können - während seine Tastengriffe per Glasfaserkabel an das Instrument übertragen werden. Ab Mai geht es dann an die sogenannte Intonation der Orgel, für die allein etwa drei Monate veranschlagt sind. Dabei wird Pfeife für Pfeife eingesetzt, klanglich geprüft und abgestimmt - alles von einem Spezialisten, dem Intonateur.

Bei all dem Aufwand - wäre ein Neubau da nicht sinnvoller gewesen? Stellt man Christian Bischof diese Frage, dann fällt seine Antwort zweigeteilt aus. "Ich gehe davon aus, dass die Orgel nach der Sanierung 100 Jahre halten wird." Und zweitens: "Wenn man eine Orgel dieser Größe neu baut, dann kostet das 3,5 Millionen Euro." Also mehr als das Dreifache der 950 000 Euro, die aktuell veranschlagt sind. Für die Kirchengemeinde bedeutet aber auch diese Summe eine immense Herausforderung - zumal die Diözese, die bereits die Sanierung der Kirchenwand bezahlt hat, lediglich 50 000 Euro zuschießt. Die Gemeinde ist daher auf Spenden angewiesen, für die sie im Gegenzug Patenschaften für Orgelpfeifen vergibt. Je nach Größe gibt es diese für 50 bis 1200 Euro. Wer Pate von mehreren Pfeifen wird und mindestens 5000 Euro spendet, dessen Name wird auf einer Tafel neben der Orgel verewigt.

Bislang habe man rund 350 000 Euro beisammen, berichtet Bischof - vor allem dank einer 80 000-Euro-Zuwendung der Bayerischen Landesstiftung sowie der Pfeifen-Patenschaften. Diese Spendenaktion werde auch nach der Einweihung der Orgel noch eine Zeitlang weitergehen, kündigt der Kirchenmusiker an. Also dann, wenn die Truhenorgel längst wieder in einem Seitengang verräumt worden und die wehmütige Seele aus Christian Bischofs Brust verschwunden ist.

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Quelle:
SZ vom 14.12.2019
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