Süddeutsche Zeitung

Sendling:Heizkraftwerk Süd: Pläne für Café und Museum im Schlot

Nach der "Alten Utting" und dem "Bahnwärter Thiel": Kulturveranstalter Daniel Hahn hat eine neue Idee und will jetzt den vom Abriss bedrohten Kamin in Sendling retten.

Von Michael Zirnstein

Oben war er noch nie. Aber sehnsuchtsvoll hinaufgeschaut zum Kamin hat der gebürtige Sendlinger Daniel Hahn schon als Kind. Die Lüftungsöffnungen in mehr als 170 Metern Höhe hielten viele für Fenster, und Hahn erinnert sich noch gut, wie er glaubte, dass da oben ein Münchner Hotelier sein Penthouse auf dem Hochkamin des Heizkraftwerkes Süd eingerichtet habe. Eine absurde Vorstellung. Aber im Grunde plant Hahn gerade etwas Ähnliches: ein Museum und ein Café ganz oben auf der Plattform.

Das mag einem wie eine spinnerte Idee vorkommen, aber dachte man das nicht auch, als Daniel Hahn 2017 erzählte, er wolle einen ausrangierten Ausflugsdampfer vom Ammersee auf eine Eisenbahnbrücke in München stellen? Seit der Eröffnung ist die Alte Utting ein Ort der Kultur, ein Biergarten und vor allem eine Attraktion, über die schon - wie auch über seine Party-Station Bahnwärter Thiel - die New York Times berichtet hat: Weltsensation.

Bei den Stadtwerken, denen das nach wie vor genutzte Heizkraftwerk Süd gehört, heißt es, man sei "grundsätzlich sympathisch" mit Hahn verbunden, man habe ihm zum Beispiel für den Bahnwärter Thiel schon zwei ausrangierte U-Bahnwaggons der MVG zur Verfügung gestellt. "Wir unterstützen grundsätzlich gern kreative Ideen, die eine Zwischen- oder Nachnutzung von nicht mehr benötigten Betriebsanlagen oder Fahrzeugen beinhalten", erklärten die Stadtwerke am Montag. "Allerdings: Das Heizkraftwerk Süd ist und bleibt ein Betriebsgelände, das zur Versorgung der Münchner Bevölkerung mit Strom und Wärme dient." Und "kritische Infrastruktur" wie bei einem Heizkraftwerk sei mit einer öffentlichen Nutzung "kaum kompatibel".

Doch wenn Hahn in seinem Büro bei der Alten Utting Richtung Süden blickt, sieht er die Türme des Heizkraftwerks, die bei jedem Sonnenstand, bei jedem Wetter eine andere Stimmung spiegeln, und er wird sentimental, wenn er daran denkt, dass der nicht mehr gebrauchte höchste Kamin abgerissen werden könnte. Seit dem der Abriss wegen der Umwandlung des Heizkraftwerkes in eine Geothermieanlage im Raum steht, merken viele Münchner erst, wie gern sie den architektonischen Lulatsch eigentlich haben. Daniel Hahn will das Industrie-Wahrzeichen mit seinem nostalgischen Charme retten, und nicht nur das, er möchte ihm eine "neue Aufgabe geben" und es zu einer "internationalen Sehenswürdigkeit" machen.

Nach Hahns Plänen soll der alte Hochkamin ein Museum werden; ein Museum seiner selbst, in dem die Leute beim Aufstieg um die alten Rohre herum auf Tafeln und Monitoren etwas über seine Funktion erfahren; aber auch ein Museum der "fortschrittlichen und ambitionierten" Versorgungsgeschichte der Münchner Stadtwerke. Nach dieser "Wissensreise" oder "Zeitreise", die durchaus wie der Aufstieg auf einen Kirchturm "ein Stück Arbeit sein soll", wird der Besucher mit einem grandiosen Rundum-Ausblick auf die Isar und München belohnt. Und vielleicht mit einem Stück Kuchen im "Kulturcafé", in dem auch Vorträge, Diskussionen und Workshops mit dem Schwerpunkt auf Nachhaltigkeit angeboten werden können - keine Partys.

"Andere Städte stellen für viel Geld solche Aussichtstürme hin."

Den Betrieb und die Umbauten auf dem Gelände werde er nicht stören, hat Hahn dem Stadtwerke-Chef Florian Bieberbach versprochen, von öffentlichem Grund aus werde er einen Treppenturm mit einem Stahlsteg zum Kamin errichten. Und was hätten die Stadtwerke davon? Sie könnten das Kraftwerk als ehemals verschlossenen Fremdkörper in seine Umgebung integrieren, erklärt Hahn, die Stadtwerke könnten ihr Vorzeigeprojekt Geothermie präsentieren und ihr Image als Energieversorger aufpolieren, und letztlich könnte durch die Eintrittsgelder die Instandhaltung des Kamins finanziert werden. "Die Kosten, die Arbeit und das Risiko" für den Umbau würde Daniel Hahn tragen und aus den Einnahmen seiner anderen Projekte finanzieren. "Das wird aufwendig", schätzt er, "aber wohl auch nicht aufwendiger als bei der Alten Utting". Er hat das schon einmal überschlagen: Wenn er innen eine neue Wendeltreppe bis auf 174 Meter Höhe und eventuell eine zweite für den Rettungsweg installieren müsste, käme er "in den Millionenbereich".

Eine Rechnung mit vielen Unbekannten - Hahn war noch nie im Kamin, er weiß auch nicht, wie es darin aussieht, öffentlich zugängliche Bilder gibt es keine. Er hat aber ähnliche Bauten recherchiert, auf die er seine Hoffnungen stützt. "Andere Städte stellen für viel Geld solche Aussichtstürme hin, hier hätten wir schon einen", und dessen Bedeutung würde sich wohl noch steigern, wenn demnächst der noch ein bisschen höhere Olympiaturm, der jährlich eine Million Besucher anlockt, zwecks Sanierung geschlossen wird.

Hahn hat auch vergleichbare Projekte gefunden, sei es in Lüneburg, wo ein alter Wasserturm zur Aussichtsplattform, zum Kulturzentrum und zum Museum wurde, in dem Schüler Führungen organisieren, sei es in Wien, wo der Künstler Friedensreich Hundertwasser das Fernwärmewerk Spittelau zum Kunstwerk und Touristenmagnet umgestaltet hat. "Mit meiner Erfahrung ist so ein spannendes Projekt bei uns auch möglich", sagt Daniel Hahn selbstbewusst, "ich hoffe, dass alle meine Projekte Zeichen für meine Zuverlässigkeit, ein gutes Gespür und eine realistische Herangehensweise sprechen und ich die SWM überzeugen kann." Am Montagabend wollte er das Projekt im Bezirksausschuss 6 vorstellen. Dessen Vorsitzenden Markus Lutz zumindest hat er schon auf seiner Seite: "Eine tolle Idee", findet der, gerade im Hinblick auf den Wandel im Umfeld mit dem Umbau der Großmarkthalle, "und ich traue das dem Daniel Hahn auch zu, gerade nach der Utting". Lutz hat sich auch jüngst für den Erhalt des Hochkamins in der Stadtgestaltungskommission eingesetzt, die den Abriss nicht befürwortet. "Jetzt ist der Knackpunkt, ob die Stadtwerke den Zugang ermöglichen."

Hahn möchte als nächstes auf eigene Kosten eine Machbarkeitsstudie vorlegen, ob eine Probe-, Zwischen- oder Dauernutzung möglich wäre. Dafür würde er gerne zusammen mit Gutachtern, Fachfirmen, Feuerwehr und Lokalbaukommission den Kamin besichtigen und besteigen. Dann wäre er seiner "Herzensangelegenheit" einen paar mühsame Schritte näher - und zum ersten Mal da oben.

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Quelle:
SZ vom 05.02.2019/sim
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