Sendling:Ausgebremst

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Ideen für ein autofreies Leben gibt es viele. Oft scheitern sie an der Gesetzeslage, wie Stadtplaner kritisieren

Von Laura Schmidt, Sendling

Des Deutschen liebstes Kind ist bekanntlich das Auto. Doch immer mehr spricht dagegen, vor allem in Ballungszentren wie München, selbst eines zu besitzen. Manch einer lebt deshalb sogar ganz bewusst autofrei. Die Veranstaltung "Zeitgemäß mobil - wie viel Auto braucht ein Stadtviertel?" am Dienstagabend hat gezeigt, wie sehr das Thema die Gemüter der Münchner bewegt. Fünf Referenten und etwa 40 Besucher waren der Einladung des Münchner Forums nach Sendling gefolgt. Es entstand eine Diskussion mit guten Argumenten auf allen Seiten.

Referentin Gunhild Preuß-Bayer plädiert für eine weitgehend autofreie Stadt und für autofreie Stadtquartiere. "In den vergangenen Jahren wurden in der Stadt so viele Quartiere gebaut, die geeignet gewesen wären. Viele Chancen wurden nicht genutzt", bedauerte sie. Preuß-Bayer selbst lebt autofrei und hat vor 23 Jahren die Initiative "Wohnen ohne Auto in München" gegründet. Fünf autofreie Projekte habe die Initiative inzwischen ins Leben gerufen, etwa in der Messestadt. Autofreie Siedlungen funktionierten, berichtete Preuß-Bayer aus fast 20 Jahren Erfahrung. "Die Menschen leben gerne da und bestärken sich gegenseitig in ihrer Autofreiheit."

Stadtrat und Stadtplaner Paul Bickelbacher (Grüne) sieht einige Chancen, den Anteil von im Auto zurückgelegten Strecken zu reduzieren. "Mobilität ist steuerbar" betonte er. Eine Chance seien etwa eine innovative Straßenumgestaltung und urbane Stadtviertel. "Je dichter die Leute beisammen wohnen, desto mehr Möglichkeiten gibt es in der Nähe, desto weniger Wege werden im Auto zurückgelegt", erklärte er. Bickelbacher wies aber auch auf einen Knackpunkt beim Planen autofreier Quartiere hin: den Stellplatzschlüssel. Standard sei noch immer ein Stellplatz pro Wohnung, nur in Sonderfällen könne bis 0,3 reduziert werden. Aber: "Wenn weniger Stellplätze gebaut werden, senkt das die Wohnkosten", erklärte er. Denn Parkplätze würden meist über die Wohnungen mitfinanziert, damit stiegen die ohnehin schon hohen Mieten. Als Positivbeispiel nannte er die Lincoln-Siedlung in Darmstadt. Dort wurden unter anderem Sammelgaragen am Rand der Siedlung errichtet und so die Stellplätze von den Wohnungen entkoppelt - man zahlt also nur, wenn man tatsächlich ein Auto hat. Und wer kein Auto hat, kann sich für vier Stunden in der Woche kostenlos ein E-Fahrzeug leihen.

Patric Meier und Constantin Bös, Architekten bei agmm München, referierten die fünf Kriterien, die sie für ein lebenswertes Quartier aufgestellt haben: Die Straße ist Lebensort für Menschen, sie soll Möglichkeiten für den Aufenthalt und Treffpunkte bieten, Grünflächen umfassen, Entschleunigung ermöglichen und Straßenkunst beinhalten. Dem entgegen stünden allerdings Festsetzungen im Bebauungsplan wie etwa, dass Gehwege von der Straße abgegrenzt sein müssen. Die Gesetzgebung, in der auch der Stellplatzschlüssel verankert ist, mache viele Vorhaben unmöglich.

Möglichkeiten, ein Auto zu nutzen, ohne eines zu besitzen, gebe es viele, berichtete Diplom-Ingenieurin Cornelia Jacobsen, etwa Ridesharing, also dass sich Menschen, die in die gleiche Richtung wollen, ein Taxi teilen. Oder auch Carsharing beziehungsweise eine Entlastung durch autonomes Fahren. Allerdings schränkt sie auch ein: Sharing sei ein neues Geschäftsfeld, die Stadt solle es nicht allein Wirtschaftsinteressen überlassen.

Kaum ist die eine Veranstaltung vorbei, kommt die nächste: Am Freitag, 19. Oktober, 10.30 Uhr, findet in der Stadtbibliothek Giesing, Deisenhofener Straße 20, ein Vortrag über alternative Wohn- und Mobilitätskonzepte statt. Der Eintritt ist frei.

© SZ vom 18.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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