Kurse:Selbstverteidigung für Frauen: "Ihr habt nur eine Chance"

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Rick Henderson war ein guter Kämpfer, kein Redenschwinger. Nun hat er das Reden zu einer Stärke gemacht. (Foto: Stephan Rumpf)

Der ehemalige Kickbox-Weltmeister Rick Henderson bringt Frauen Selbstverteidigung bei. Seit den Übergriffen in der Silvesternacht häufen sich die Anfragen.

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Rick Henderson zückt sein Handy und zeigt einen kurzen Film. "Das musst du dir geben", sagt der US-Amerikaner, spielt den 19-Sekunden-Clip immer wieder ab. Die verwackelte Aufnahme der BBC zeigt eine Frau, die in Frankreich von einer Gruppe Männer eingekreist und überall am Körper angefasst wird. "Wie die Wölfe", regt sich Henderson auf und stellt klar: "Frauen dürfen keine Opfer sein. Niemals."

Die Frauen im Studio "Primabella" hören aufmerksam zu. Selbstverteidigungstrainer Henderson macht klare Ansagen, bereitet sie auf Angriffe von Männern vor: Ein Täter greift eine Frau von hinten an, umklammert sie, will sie auf den Boden werfen. Henderson ist kein Fan von Worten. Aggressivität müsse man mit Aggressivität begegnen: "The more aggressive the more success", sagt er und pusht die Frauen: "Denkt daran: maximal schmerzen."

Rick Henderson, 56 Jahre alt, arbeitet seit 1995 als Selbstverteidigungstrainer in München. Seit den Übergriffen in der Silvesternacht melden sich viele Frauen bei ihm, erzählen von ihren Sorgen, wollen an einem seiner Kurse teilnehmen.

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Henderson ist Fitness-Nomade, fährt täglich von Studio zu Studio. Seine Kunden sind Privatleute, Firmen, Konzerne, Frauen und Männer. Der Coach steht ständig unter Zeitdruck, der Terminkalender ist voll. So wie einst Rocky Balboa in den Spielfilmen durch die Welt rannte, tourt Henderson durch die Münchner Fitnessszene - nur mit Fahrrad. Henderson ist auf den ersten Blick ein rauer, harter Kerl, mit dem nicht zu spaßen ist. Er passt besser in einfache Muckibuden als in Fitness-Oasen der gehobenen Preisklasse: Mit knapp 1,75 Meter ist er nicht allzu groß für einen Mann, aber dafür durchtrainiert, Mütze ins Gesicht gezogen, olivgrüne Funktionshose, schwarze Lederjacke. Bei seinen Touren durch die Stadt hängt er selbst gemachte Zettel auf. In großen, roten Lettern prangt dort "WARD", Women aggressive reaction defence. Selbstverteidigung für Frauen.

Es mag Zufall sein, dass in dem Wort "War", Krieg, steckt. Henderson bezeichnet sich selbst als "Martial Artist", als Kriegskünstler. Ob er ein Krieger ist? Ein Lebenskrieger sei er, aber keineswegs gewalttätig: "Das Ziel meiner Kampfkunst ist es nicht zu zerstören, sondern Frieden und Harmonie herzustellen."

Auf der anderen Seite sagt er Sätze wie: "Jeder hat das Recht, sich zu verteidigen." Oder: "Manchmal hilft reden nicht, da muss man das Mitgefühl zur Seite legen."

Ein Widerspruch? Henderson ist ein Mann mit bewegter Vergangenheit, der nicht immer so stark war, wie er heute auftritt. Zögerlich berichtet er von seiner Jugend in den amerikanischen Südstaaten. Zwar spürte er selten Rassismus, wurde aber als kleiner - wie er sagt, "friedfertiger" - Junge verprügelt, bis es ihm irgendwann reichte und er trainierte. Es folgte der Armeedienst, bei dem er seinem Vater nacheiferte, schließlich kam er nach Augsburg, trainierte in einem kleinen familiären Studio, in dem er sich zu Hause fühlte.

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Die Zeit prägte ihn stark. Erst kämpfte er Halbkontakt, wurde aber oft disqualifiziert, weil er dafür zu stark gewesen sei und alle K. o. schlug. Im Vollkontakt, Kickboxen für die wirklich harten Jungs, fühlte er sich wohler und wurde 1987 Weltmeister. Das Entscheidende für den Erfolg: Er konnte nie genug kriegen, wie er heute nicht ohne Stolz findet. Der reife Henderson lacht über sein jüngeres Ich, das sich nach 300 Sit-ups die Leiste brach.

Der erhoffte Weltruhm als Kämpfer blieb aus. Der Gedanke bringt ihn ins Stocken. Leicht wehmütig sagt er: "Mann, hätte ich einen Promoter gehabt, hätte ich in Filmen mitspielen können." Seinen Erfolg habe er erst Jahre später so wirklich registriert: "Ich konnte nicht gut sprechen und habe nie die Bühne gesucht", sagt er. "Ich konnte eben gut kämpfen." Zu wenig für eine Weltkarriere im Showgeschäft Boxen.

Henderson ist immer noch kein Redenschwinger, hat Reden aber zu einer Stärke gemacht. Präziser: Er redet auf die Frauen ein, eben nicht auf Angreifer einzureden, sondern zuzuschlagen.

Das sagt er auch den zehn Kursteilnehmerinnen im Studio, die einen Angriff von hinten abwehren sollen: Wichtig sei zunächst ein tiefer, breiter Stand, dann könne die Frau den Täter angreifen. Entweder mit einer klassischen Kopfnuss mit dem Hinterkopf, mit einem schnellen Hüftstoß in die Weichteile des Angreifers oder mit einem Ellenbogenschlag ins Gesicht. Besonders wichtig: Die Schnellkraft des Angriffes, kein langes Ausholen, worauf der Täter reagieren könnte. Nach der Attacke sollen die Frauen fliehen.

Er will die Bewegungen in den Köpfen der Frauen festsetzen, überhaupt mache bei der Selbstverteidigung die mentale Stärke 99 Prozent aus. Seine ganz persönliche geistige Kraft vermischt Henderson mit Spiritualität. Bei unzähligen Asienreisen ließ er sich davon inspirieren. Er lernte Kampftechniken wie Kung-Fu und Qi Gong. Kaum verwunderlich also, dass Henderson von "Poesie in Bewegung" spricht und dass er im Kämpfen "sein Tor in eine bessere Welt" gefunden hat. Kämpfen ist für ihn seitdem mehr als Gewalt und Draufhauen, eine Kampfkunst, mit der er Armen und Schwachen die Fähigkeit geben will, sich gegen andere zu wehren. So sieht er sich selbst als "Pastor", der Unterstützung geben will. Das unterstreicht er nach den Attacken auf Frauen in Köln in der Silvesternacht noch mehr als zuvor: "Man sollte nicht kämpfen, aber man muss wissen, wie man sich im Notfall verteidigen kann."

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Das zeigt er mit viel Einsatz, will die 20- bis 30-jährigen Frauen doch dazu bringen, ordentlich zuzupacken. Der Trainer lässt die Übungen wiederholen, läuft von Paar zu Paar. Immer zwei Frauen wechseln sich ab, einmal Täter, einmal Opfer. Neben den Übungen wiederholt Henderson auch seine Aussagen, wechselt zwischen Deutsch und Englisch ab. Und fügt wieder einen dieser Sätze an: "Kein Mensch hat das Recht zu grapschen."

Henderson trägt einen schwarzen Jogginganzug mit einem Taiji-Zeichen auf dem Rücken, das für das Yin und Yang steht, für das weiblich Weiche und das männlich Harte. Unermüdlich redet er auf die Frauen ein, alles müsse einfach, schnell und wirksam sein. Keine Intelligenz und Kraft seien nötig. Aber was dann? "Natürliche und spontane Reaktion", predigt Henderson. Die Frauen hören zu, es wird viel gelacht und gekichert.

Jörg Siller, Inhaber des Studios, hat Henderson genau deswegen engagiert: "Er ist ein smarter Typ, zu dem die Frauen Vertrauen aufbauen können. Er wirkt nicht wie ein Türsteher, der Menschen einschüchtert."

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Henderson will den Frauen aber auch helfen, gar nicht erst in solche Situationen zu geraten. Frauen liefen oft nicht aufmerksam genug durch die Gegend, weil sie Musik hören, auf ihr Smartphone schauen und es dem Täter so leicht machten, sie unbemerkt angreifen. Henderson nennt das "environmental awareness". Die Männer in Köln hätten aus sexueller Unbefriedigtheit gehandelt. Wenn Frauen eine Gruppe Männer sehen, die Frauen gezielt anbaggern, sollen sie am besten die Straßenseite wechseln.

Und dann sei da noch die Kleidung: Weil sich manche Täter nicht unter Kontrolle hätten, verstärke sexy Kleidung deren Triebe, sagt zumindest Henderson. Die Schwestern Julia und Carolin Hölscheidt sind empört, finden diese Weltsicht äußert schwierig. Sie sagen, niemand habe das Recht, Frauen anzugreifen, Kleidung hin oder her. Aber für den Fall der Fälle habe sie Henderson vorbereitet: "Es war wichtig, das Ganze mental zu durchdenken", sagen sie.

Im Studio pusht der selbsternannte "Fitnessmotivator" die Frauen immer weiter: Sie liegen am Boden, der Täter will über sie herfallen. Sie sollen das Gesicht schützen, die Bewegungen des Täters mitmachen, sollen ihm keine Chance geben. Mit gezielten Tritten sollen sie den Täter dort treffen, wo es besonders weh tut. "Ihr habt nur eine Chance, die muss sitzen", sagt Henderson.

© SZ vom 01.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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