Süddeutsche Zeitung

Selbstversuch:Unterwegs mit einer Suchmaschine

Lesezeit: 4 min

Stellen Sie sich vor, Sie wollen in vier Stunden das wahre Gesicht einer fremden Stadt kennenlernen. Ist ein Laptop mit Internetanschluss ein zuverlässiger Begleiter? sueddeutsche.de hat es ausprobiert.

Von Eike Schrimm

Um Journalisten bei Laune zu halten, wird ihnen einiges geboten. Diesmal ist es ein Suchsklave: "Wieso selber recherchieren, wenn wir das umsonst für Sie erledigen würden?" Nichts für ungut, aber die Recherche gibt ein Journalist genauso ungern aus der Hand, wie der Koch sein Rezept. Ab in die Mülltonne mit dem "Geschenk". Aber Moment mal, wieso den Suchexperten mit geladenen Laptop und Handy-Karte in die Wüste schicken? Aus diesem einmaligen Service kann man doch ein wunderbares Experiment ableiten: Wie verbringt man vier Stunden in einer fremden Stadt, mit einer laufende Suchmaschine an der Seite?

Der Suchexperte steht pünktlich um zehn bereit in der Münchner Innenstadt. Er kennt die Aufgabenstellung und will sofort los. Aber nicht mit mir. Ich will strukturiert vorgehen, nicht alles dem Zufall überlassen, sondern erst einmal im Internet nach dem wahren München suchen.

Wir kehren deshalb in das nächste Café ein und starten den Rechner. www.search.msn.de findet mit den Begriffen "München-Einkaufen" einen Volltreffer und zwar "den mobilen Reisebegleiter für München". Er schlägt Dallmayr vor. Natürlich. Den kennt jeder aus der Werbung, also muss man da mal gewesen sein. Aber wo ist die Dienerstraße? Diese Seite denkt mit, nur einen Klick daneben liegt der Lageplan. Bestens, Dallmayr ist ganz in der Nähe des Marienplatzes und der wird mit dem Glockenspiel als "sehenswert" empfohlen. "Um elf und um zwölf zieht es die Menschenmassen in ihren Bann." Das will ich sehen.

Inzwischen ist es halb elf, der Rechner arbeitet stabil und flink, so dass wir gut vorankommen: In Sankt Michael liegt König Ludwig begraben und auf dem Viktualienmarkt ist alles frisch und von guter Qualität.

Aber weil ich eben eine Frau bin, bleibt eine Stadt nur mit DEM Einkaufserlebnis in bester Erinnerung. Das Internet muss unbedingt noch einen Laden ausspucken, der etwas ganz Besonderes ist, den nur Insider kennen. Und halt, bevor es weitergeht, brauche ich unbedingt zur Orientierung einen echten Stadtplan, am besten kostenlos. So etwas gibt es doch immer bei den Touristen-Informationen. Bei muenchen.de holen wir uns die Adresse ab.

Sieh mal, in der linken Navigation, fällt uns "Shopping, Einkaufen" ins Auge. Ein Laden für Cashmere-Pullis mit Jäckchen wird dort als "Gesehen und für schön befunden". Nichts für mich. In so etwas sehe ich älter aus als meine Oma. Darunter hängen noch Shopping-Adressen "Ganz speziell". Und siehe da, da steht er, mein Laden: "Serie A - Forum für Mode, Objekte, Design". Klenzestraße 40, mit eingekreister Lage. Das ist zu Fuß zu schaffen.

Elf Uhr und ich weiß ganz genau, wo es langgehen soll: Zum Marienplatz, den Stadtplan abholen, dann weiter zu König Ludwigs Grabstelle in St. Michael, zurück zum Marienplatz, Glockenspiel um 12 Uhr, anschließend Dallmayr, über den Viktualienmarkt Richtung Gärtnerplatz zu "Serie A". Was will der Ortsfremde mehr.

Bis zu Sankt Michael läuft alles nach Plan. Dann kommt mir eine Idee dazwischen: Maximilian wünscht sich doch zum Geburtstag der neue CD von U2. Die will ich jetzt kaufen. Aber wo? Soll ich surfen? Oh, nein, nicht nötig. Da vorn ist der Kaufhof. Im vierten Stock liegt sie für 17,99 Euro. Gibt es die nicht günstiger? Zum Glück habe ich die Suchmaschine dabei. Schnell ist sie auf Empfang, steuert Saturn und Mediamarkt an. CD da, aber kein Preis. Dann eben amazon. 14,99 Euro. Die drei Euro spare ich mir.

Kurz vor zwölf. Wir müssen wieder runter. Zum Glockenspiel. Und es ist wirklich so, wie die im Internet geschrieben haben. Auf dem Marienplatz stehen Menschen - meist in Gruppen - den Kopf im Nacken. Um 12.05 Uhr springt die Musik an, ahs und ohs, zwei Minuten später dreht sich die obere Etage. Weil Herzog Wilhelms V. und Renata von Lothringen heiraten, gibt es ein Ritterturnier. Darunter erinnert der Schäfflertanz an das Ende der Pestzeit. Das haben wir noch im Gedächtnis. Aber von wem stammt die Melodie? Weiß das die Suchmaschine? Nein, nach kalten fünf Minuten im Internet wissen wir nur, dass es sich um volkstümliche Musik handelt.

Nun zum Dallmayr. Sehr viele Gäste, aber wenig Kunden, denn die meisten sehen sich nur um und kaufen nichts. Die Mango kostet 8,90 Euro, ein Kilo spanische Clementinen 4,90 Euro, eine Ananas 9,90 Euro. Das ist viel Geld. Draußen wird die Suchmaschine gefragt, wie teuer das Obst bei den Discountern ist. Kein Ergebnis. Die Discounter verraten auf ihren Internet-Seiten keine Preise für Lebensmittel. Aber auf dem Viktualienmarkt bekommen wir eine Antwort: Der Standl-Mann gibt die Mango für 1,65 Euro her, die Ananas für 3,95 Euro und ein Kilo spanische Clementinen für 3,45 Euro. Wer hätte das gedacht.

Mittlerweile ist es schon kurz vor eins. Die Kälte kriecht in die Fingerspitzen. Aber dieser eingeschneite Brunnen, so zwischen den eingeschneiten Biertischen, wem ist der gewidmet? Weiss Ferdl ist untereinander eingemeißelt. Der Suchmaschine kommt in Bewegung, sucht "Weiss Ferdl". Und wir wissen sofort: Eine Hauptschule in Altötting wurde nach ihm genannt. "Weil der gewählte Namensgeber in der Erinnerung der Menschen für Humor und Lebensfreude steht. Auch in schwierigen Zeiten brachte er mit seinen Aufführungen im Münchner Platzl die Leute zum Lachen", erklärt der Schulrektor. Schön. Aber nun auf zu "Serie A", rein in die Corneliusstraße, über den Gärtnerplatz und in die Klenzestraße abknicken. Auf dem ganzen Weg gibt es kein Zaraesprith&m, dafür Kristallkugeln, Freitag-Taschen, Architekturbücher.

13.35 Uhr. Das Ziel ist erreicht. Der Laden ist ein Wahnsinnstipp. Danke, liebe Suchmaschine. Die Mode für Männer, Frauen, Kinder und Babys hängt in bezahlbaren Einzelstücken an Wand oder Stange, dazwischen liegen die illustrierten Märchen der Gebrüder Grimm. Die sind so schön, dass ich sie sofort haben muss. Der Preis ist mir egal. Und die Suchmaschine bleibt aus.

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