Flossen hoch! Hol den Ring! Tanz mit dem Stock! Und Molly macht und tut, taucht, schwimmt und klettert an Land, aber wofür? Für den Applaus natürlich, wie alle Artisten. Und für ein paar fliegende Fische.
Molly ist eine kalifornische Seelöwin, sie ist 18 Jahre alt, ihre Kunststücke zeigt sie zweimal täglich, denn sie lebt im Tierpark Hellabrunn, und da ist Flossenparade, jeden Tag um 11.30 und um 14.30 Uhr. Gegenüber fläzen sich die Eisbären in der Hitze, ein Stück weiter vorne überlegen die Pinguine, ob sie heute mal ins Wasser gehen - Molly und ihre Mit-Löwen bewohnen die Polarwelt des Tierparks. Und genau da fängt das Problem an.
So macht man das heute nämlich nicht mehr, dass die Tiere im Zoo nach Praktikabilitäts-Kriterien zusammengespannt werden, hier alle Vögel, da alle Raubtiere, dort die Affen. "Geo-Zoo" heißt das Stichwort: Nicht nur sollen die Gehege den natürlichen Lebensraum simulieren. Es soll auch zusammen gezeigt werden, was zusammengehört.
Ihre Nachbarn, die Mähnenrobben, bleiben in der Polarwelt, schließlich leben sie in der Nähe der Antarktis.
(Foto: Robert Haas)Und da zeigt schon der Name der kalifornischen Seelöwen, dass ihr Migrationshintergrund ein völlig anderer ist als der von Giovanna, der Eisbärin, oder den Vögeln im Frack, Esels-, Humboldt- und Königspinguine: Ein Kalifornier passt in die Polarwelt so gut wie ein Eisbach-Surfer in die Gletscherhöhle. Und deshalb werden Molly und ihre Freunde, der Bulle Barney, Sandy und Goldie, die beiden Löwinnen, sowie die Kinder Penny und Pocahontas, beide in diesem Sommer zur Welt gekommen, demnächst umziehen.
Und zwar weit weg - Zoos in Holland und in Polen haben Bedarf an Seelöwen, wie die sechs Tiere aufgeteilt werden, ist noch nicht zu Ende verhandelt. Sie auf den richtigen Kontinent im Geo-Zoo umzusiedeln, das wäre zu teuer gewesen. Dass Hellabrunn dann aber seelöwenlos sein wird, ist falsch, sagt Carsten Zehrer, Biologe und Kurator im Zoo: "Wir haben ja noch die Mähnenrobben. Das sind auch Seelöwen." Und haben zudem den Vorteil, dass sie annähernd aus der richtigen Region stammen: Sie leben am unteren Ende Südamerikas, wo die Antarktis nicht mehr weit entfernt ist.
Warum die Seelöwen nun den Kisten-Trick lernen müssen
Es ist ein guter Tag im Zoo bei der nachmittäglichen Flossenparade, das Wetter angenehm, aber nicht so heiß, dass es nirgendwo anders als in See oder Biergarten auszuhalten wäre. Deshalb sind mehr Menschen nach Thalkirchen gefahren als zuletzt in den tropischen Wochen.
Mütter ziehen schlafende Kleinkinder im Bollerwagen hinter sich her, gelangweilte Jugendliche finden sehr viel spannender, was im Handy passiert, Jungverliebte wollen sich von der Natur in Bestäubungsfragen inspirieren lassen. Eine Gruppe Schulkinder fände es lustig, wenn das Bartschwein mit Nachnamen Simpson heißen würde. Tierpfleger Frank Staatsmann ist der Zeremonienmeister der Flossenparade, er wirft Molly und Sandy Ball, Stock und Ring hin, und wenn sie die Aufgabe erfolgreich gelöst haben, dann fliegt ein Fisch aus Staatsmanns Hand direkt ins Seelöwen-Maul.
Mit Zirkus-Kunststückchen hat das nichts zu tun, erklärt Carsten Zehrer, der Biologe - vielmehr sei es so, dass die Betreuer den Tieren Sachen beibringen, um besser an sie ranzukommen, wenn es denn nötig ist. Wenn also Staatsmann zwar nicht den Kopf, aber doch seine Hand in Sandys Maul steckt, dann ist das weniger eine Mutprobe, als eine Möglichkeit, das Gebiss des Tiers zu untersuchen. In den nächsten Wochen werden sie und die anderen Seelöwen den Kisten-Trick lernen: Langsam werden die Pfleger sie an ihre Transport-Behältnisse gewöhnen, sodass sie, wenn die Reise losgeht, freiwillig hineinklettern.
So soll der Komplex nach dem Umbau aussehen, dann mit Behausungen für Polarfüchse, Schnee-Eulen und Vielfraße. Illustration: Hellabrunn
Mollys und Sandys Swimmingppol wird aufgeschüttet
Dann beginnt für die zurückbleibenden Mähnenrobben eine aufregende Zeit: Ihr Bereich wird umgestaltet, die wichtigste Neuerung ist eine Filteranlage für das Wasser. Bislang muss es mehrmals im Jahr abgelassen und ersetzt werden, wenn es zu verschmutzt ist, was künftig zugunsten der Ökologie und der Kosten vermieden werden kann. Das Robbenhaus bleibt stehen, auch wenn es in seiner Siebzigerjahre-Beton-Architektur eher nach Atlantikwall, als nach Polarwelt aussieht - immerhin, es soll begrünt werden.
Molly und Sandys Swimmingpool wird aufgeschüttet, dorthin kommen - Geozoo! -Polarfüchse, Vielfraße und Schnee-Eulen. Die Vögel findet Carsten Zehrer ausgesprochen interessant - unter fachlichen Gesichtspunkten, denn die Eule fliegt lautlos und jagt tagsüber, aber auch unter sozusagen literarischen: Ist nicht Hedwig aus den Harry-Potter-Büchern eine Schnee-Eule? 2017 soll die neue Polarwelt fertig sein, dann kann der Zaubervogel live begutachtet werden.
Die sechs Hellabrunner Seelöwen, alle im besten Robbenalter, werden sich dann schon längst an ihre neue Heimat gewöhnt haben. Sie werden übrigens nicht verkauft - vielmehr gibt es ein europaweites Register aller Zootiere, wo die Tierparks melden können, wenn sie Exemplare aus ihrem Bestand abzugeben haben oder bestimmte Arten suchen. Hellabrunn hat dort nun sozusagen ein Guthaben von sechs Seelöwen; wogegen sie eingetauscht werden, steht noch nicht fest. Dass die neuen Tiere aber Bälle auf der Nase balancieren können, ist nicht zwingend notwendig.
