Science-Fiction zum 850. Geburtstag:2158 - die letzten Tage von Münchin

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In der Zukunft herrscht das Matriarchat: In einem Online-Kollektivroman zum 850. Geburtstag tragen alle Münchner Frauennamen. Münchin, die weiblich gewordene Stadt, ist vom Untergang bedroht.

Anna Fischhaber

Frauenherrschaft gilt gemeinhin als Garant für Frieden - so auch im München der Zukunft. 150 Jahre nach Ude, Kronawitter und Co. wird im Jahr 2158 die Isarmetropole von der weisen Udine gelenkt. Was die meisten Bewohner nicht ahnen: Das Matriarchat ist eine idyllische Insel. Während die Welt in Schutt und Asche liegt, wird die Stadt von einer riesigen Kuppel geschützt.

Im Jahre 2158 ist München eine idyllische Insel, geschützt von einem Zeltdach. (Foto: Foto: Literaturhaus/oh)

Ausgerechnet im Vorfeld der 1000-Jahr-Feier stellen die Expertinnen jedoch fest, dass die organische Struktur des himmlischen Zeltdaches zu zerfallen droht. Zur Rettung von Münchin, wie die Stadt nun heißt, schickt Udine zwei Boten in die Vergangenheit.

Ein bisschen erinnert die Münchner Frauenherrschaft im Roman "2158. Die letzten Tage von München" an Kleists Amazonenstaat in Penthesilea - auch wenn sich alles um die bayerische Landeshauptstadt dreht. "Münchin ist unsere Protagonistin. Die Insel unter der Kuppel ist eine Metapher für die angebliche Stadt der Glücklichen - wie München heute oft genannt wird", erklärt Autor Thomas Lang. "Aber wir wollen auch auf aktuelle Dinge, die sich im Rahmen der 850-Jahr-Feier abspielen, reagieren."

Experiment Autorenkollektiv

Das etwas andere, literarische Geschenk an die Stadt ist ab sofort in 24 Folgen immer montags, mittwochs und freitags auf der Homepage des Literaturhauses nachlesbar. Aber nicht nur das Lesen, auch das Schreiben gestaltet sich bei "2158" als Prozess. Wie das Münchin-Abenteuer weitergeht ist bislang ebenso offen wie das Ende der Geschichte. "Wir haben zwei Varianten - die Stadt könnte untergehen oder weiter bestehen", erzählt Lang. Erst am 24. Juli soll der Schluss des Fortsetzungsromans bei einer Lesung im Literaturhaus gelüftet werden.

Damit zwischendurch nicht die Ideen ausgehen, hat sich für das literarische Online-Projekt ein Autorenkollektiv zusammengefunden. Zu diesem gehören neben Lang auch der Münchner Schriftsteller Bernhard Keller sowie Bühnenautorin Kerstin Specht. Editorisch begleitet wird die Geschichte von Thomas Palzer.

"Die Arbeit als Schriftsteller ist eine sehr einsame. Mich hat es immer gereizt aus dieser Glocke einmal rauszukommen", sagt Lang. Für ihn ist das Schreiben im Kollektiv ein spannendes Experiment. Natürlich müsse jeder ein Stück weit seine Autonomie aufgeben, aber das Ganze habe auch viele positive Seiten: "Wenn man alleine schreibt, ist das, als würde man einen Ball gegen die Wand spielen. Wenn man zusammen arbeitet, bekommt man dagegen sofort Reaktionen auf seine Ideen." Obwohl Keller und Specht als Autoren einen ganz anderen Stil pflegten, verbinde sie derselbe Humor, erzählt Lang.

Teil des "2158"-Kollektivs: Der Münchner Autor Thomas Lang. (Foto: Foto: Astrid Menigat/oh)

Das Ergebnis der gemeinsamen Arbeit - zumindest das erste Kapitel - bewegt sich irgendwo zwischen Science-Fiction-Abenteuer und Liebesgeschichte und enthält damit alle Komponenten, die ein Fortsetzungsroman braucht. Das Rettungskommando, das in das Jahr 2008 reist, besteht aus Fahima und - trotz Matriarchat - dem Mann Sylvia. Ob die beiden ein Paar werden, will Lang noch nicht verraten.

"Das reale ist nur noch Kulisse"

In der heutigen Zeit wartet schon ein Gast aus der Vergangenheit auf die beiden: Der Freisinger Seynwil, ein rachsüchtiger Münchenhasser, will das Weiterbestehen der Isarmetropole unbedingt verhindern - parallel zur Annäherung der Geschlechter beginnt ein Wettlauf um die Rettung der Stadt.

Sogar für eine Portion Feminismus, der seit Charlotte Roche und den Alphamädchen ziemlich im Trend liegt, ist Platz in dem Roman: Nicht nur München heißt 2158 Münchin, auch alle männlichen Stadtbewohner tragen Frauennamen. Bestimmte Berufe, wie die des Autors, sind ihnen verwehrt - Sylvia ist wegen seines Drangs zum Schreiben bereits straffällig geworden. "Wir spielen mit dem beobachtbaren Rückzug der Männer", sagt Lang. Die Reise in die Vergangenheit bedeute für Fahima und Sylvia auch die Auseinandersetzung mit ihren Geschlechterrollen.

Wie die gemeinsame Arbeit im Kollektiv weitergeht, wollen die drei Autoren in einem begleitenden Tagebuch, am Fuße der einzelnen Kapitel, kommentieren - hier soll eine Art Making-Of des Romans entstehen. Im ersten Journal heißt es: "Erste Treffen mit dem Kollektiv absolviert. Bislang fehlt Kerstin, hat noch am Theater zu tun. Langsam brennt sich die Geschichte ein. Das imaginierte München schiebt sich vor das reale, das reale ist nur noch Kulisse für weitere mögliche München. Der Zufall ist ein Gott."

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