Es gibt von allem zu viel: zu viel Konsum, zu viele Kalorien, zu viel Krimskrams, zu viel Ablenkung. Auch Filme gibt es zu viele, niemand etwa braucht einen weiteren „Alien“-Film. Behauptet nicht der mitunter zu Kulturpessimismus neigende Filmreporter, sondern der Filmemacher selbst. „Das Alien gibt es bereits, die Filme auch. Die Leute können sie sich jederzeit ansehen“, sagt Fede Alvarez.
Er meint das 1979 erstmals in Erscheinung getretene unheimliche Wesen aus einer fremden Welt, das in diversen Filmfortsetzungen regelmäßig Jagd auf Menschen macht und durch deren Brustkörper schlüpft. Man könnte sogar sagen, dass es in der an Schreckenswesen nun wahrlich nicht armen Filmgeschichte kein schrecklicheres Wesen gibt. „Niemand brauchte mich also, um einen weiteren ‚Alien‘-Film zu drehen“, behauptet der Regisseur.
Alvarez weiß aber auch, dass es einen Unterschied gibt zwischen „brauchen“ und „wollen“: Die „Alien“-Filmreihe ist die wohl bekannteste Science-Fiction-Horrorfilm-Marke der Welt, Stars wie Ridley Scott oder James Cameron saßen auf dem Regiestuhl, es gibt diverse Sequels, Prequels und Crossovers. Deshalb ist Fede Alvarez ja nach München gekommen, deshalb sitzt er in einer Suite des Bayerischen Hofs und gibt ein Interview nach dem anderen.
Ein paar Stunden zuvor steht er noch auf der Bühne des Arri Kinos und präsentiert „Alien: Romulus“, der Mitte August weltweit in den Kinos anlaufen soll. Das Interesse des Publikums ist groß, der Kinosaal gut gefüllt – was umso erstaunlicher ist, da die Filmvorführung bereits nach einer knappen Viertelstunde wieder vorbei ist. Zudem stellt zur selben Zeit an einer anderen Stelle in der Stadt das Filmfest-Team das diesjährige Festivalprogramm vor. Ein Zuviel und ein Zuwenig also: zu viele Filme und zu wenige Ausschnitte, missen möchte man an diesem Dienstagvormittag weder die einen noch den anderen.
Eine Gruppe Freunde steigt in ein Raumschiff
In Sachen Aufmerksamkeitsökonomie macht Alvarez ohnehin vieles richtig: Er zeigt gerade einmal so viel aus seinem Film, um die Influencer, Fans und Journalisten im Saal neugierig zu machen. Das gelingt ihm auch, es wird gestöhnt, gejapst und geschrien. In seiner Neuerzählung der altbekannten Story besteigt eine sehr junge Gruppe von Menschen ein Raumschiff – um schon bald festzustellen, dass sie nicht allein an Bord sind. „Das sind Leute, die sich lieben, die gemeinsam aufgewachsen sind“, erklärt der Regisseur. „Das macht die Sache für sie schwieriger. Denn man kann nicht wegrennen, wenn man weiß, dass ein Freund zurückbleibt.“
Viel mehr will er nicht verraten. Wäre auch doof, wenn er sein ganzes Pulver bereits zwei Monate vor Filmstart verschießen würde. „Footage Presentation“ nennen sich solche Veranstaltungen, auch hier geht es um Aufmerksamkeitssteuerung, um die richtige Mischung aus Zuviel und Zuwenig.
Alvarez erzählt viel und bleibt doch im Ungefähren, er ist locker, macht Witze und zieht das Münchner Publikum auf seine Seite. Der 46-Jährige weiß, wie man Menschen für sich gewinnen kann: Er sei in Uruguay geboren und habe als Kind einige Jahre lang in einer belgischen Kleinstadt gelebt, erzählt er im Interview, vor etwa 15 Jahren machte er mit einem auf Youtube veröffentlichten Kurzfilm auf sich aufmerksam. Daraufhin klopfte Hollywood bei ihm an, der Mann aus Montevideo gilt seitdem als Experte für etwas härtere Genrefilme („Evil Dead“, „Verschwörung“). Gut möglich, dass ihn ausgerechnet der Film, den angeblich niemand braucht, noch ein bisschen bekannter macht.