Schwurgericht München:Nachbar im Wahn erstochen

Ein psychisch kranker 70-Jähriger steht vor Gericht, weil er einen Rentner bei einem Streit im Treppenhaus getötet haben soll. Laut Gutachten stellt der Mann eine Gefahr für die Allgemeinheit dar.

Christian Rost

Der eine leidet unter Wahnvorstellungen, der andere fühlt sich in dem Haus im Rose-Pichler-Weg für Sauberkeit und Ordnung zuständig. Unter diesen Vorzeichen kam es am 9. September 2010 in dem Mehrfamilienhaus zu einem folgenschweren Streit. Im Verlauf der Auseinandersetzung zog der psychisch kranke Rentner ein Messer und stach 20 Mal auf seinen Nachbarn ein. Das 66-jährige Opfer verstarb binnen kurzer Zeit noch im Treppenhaus. Der mutmaßliche Täter muss sich seit Montag vor dem Münchner Schwurgericht wegen Mordes verantworten.

Bereits seit Sommer 2008 habe der Angeklagte Josef F. die wahnhafte Vorstellung entwickelt, dass ihn sein Nachbar töten wolle, erklärte Staatsanwältin Nicole Selzam. Der 70-Jährige glaubte, der direkt über ihm lebende Mann leite in seine Wohnung regelmäßig ein Insektengift ein.

Dies war nicht der Fall, tatsächlich hatte sich das spätere Opfer Werner L. aber immer wieder mit seinem Nachbarn angelegt. Bei seinen vormittäglichen Kontrollgängen störte sich L. am Zwiebelgeruch, der aus F.s Wohnung kam. Auch kritisierte er das Lüftungsverhalten anderer Hausbewohner, regte sich über Kindergeschrei und laute Musik auf und machte laut Zeugen unverhohlen seiner Abneigung gegenüber Ausländern Luft.

Bevor es zur Bluttat kam, soll sich der aus dem früheren Jugoslawien stammende Angeklagte im Streit über ein offenes Fenster schon im August 2008 mit dem verhassten Mitbewohner geprügelt haben. F. schlug mit einem Knüppel auf ihn ein. Nach einem Schlichtungsgespräch mit einer Sozialarbeiterin schien der Konflikt zunächst geklärt. Unterschwellig gärte es jedoch weiter. So soll F. neben seiner Wohnungstür sogar ein Messer deponiert haben, "damit ich mich sicher fühle". Dies war nur ein Anzeichen seiner immer ausgeprägteren Wahnvorstellung und Verwirrung. Auch seine Wohnung vermüllte zusehends, wie der Hausarzt des Rentners den Ermittlungsbehörden berichtete.

Am Tattag war der Angeklagte mit mehr als einem Promille Alkohol schon gegen 11 Uhr deutlich angetrunken. Vor seiner Wohnungstür traf er mit Werner L. zusammen, der sich auf seinem üblichen Kontrollgang befand und unter anderem die Mülltrennung seiner Mitbewohner überwachte. "Er hatte es wieder mal auf mich abgesehen", verteidigte sich F. Laut Anklage griff er bei dieser Begegnung unvermittelt nach seinem Messer mit einer 18,5 Zentimeter langen Klinge und stach zu.

Der körperlich weit unterlegene L. habe sich nicht wehren können, so Staatsanwältin Selzam. Mit voller Wucht habe der Angreifer auf sein zurückweichendes Opfer eingestochen. Werner L. starb infolge des Blutverlusts von 20 Schnitt- und Stichverletzungen. Der Angeklagte sagte, an Details könne er sich nicht mehr erinnern, er habe aber wohl nach seinem Messer gegriffen.

Das Schwurgericht beschäftigte sich am Montag zunächst mit der Vergangenheit des Angeklagten, der aufgrund seiner Erkrankung womöglich schuldunfähig oder nur eingeschränkt schuldfähig ist. Laut Gutachten stellt der Mann "eine Gefahr für die Allgemeinheit dar und muss in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht werden". Seine Vita zeigt mehrere Brüche auf. Eine Kfz-Lehre brach er vorzeitig ab, er versuchte sich als Gastronom und auch als Zuhälter im früheren Cats-Club am Stachus. Der Vater von fünf Kindern von drei Frauen hatte bis zu seinem Einzug in das Wohnhaus Am Hart im Jahr 1996 auch als Obdachloser gelebt. Der Prozess dauert an.

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