Süddeutsche Zeitung

Schwierige Veranstaltungen:Tumult statt Dialog

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Bei einem Boykott-Vortrag eskaliert der Streit über die Palästinafrage

Von Silke Lode, München

Der Streit um Veranstaltungen, die das schwierige Verhältnis von Israel und Palästina thematisieren, hat in München eine gewisse Tradition. Was sich aber am 7. November vor und im Gasteig abgespielt hat, gehört zu den Tiefpunkten der Münchner Debatte um den Nahostkonflikt. Angekündigt war ein Vortrag über die weltweite Boykottbewegung gegen Israel, schon vor Beginn kam es zu Protesten. Menschen mit Israelfahnen standen vor dem Eingang, die Gruppe fiel später durch laute Zwischenrufe auf. Die Veranstalter berichten auch von aggressiven Beschimpfungen: "Ein Ordner wurde als Faschist beschimpft, der Redner mit Goebbels verglichen", sagt Fuad Hamdan von der Jüdisch-Palästinensischen Dialoggruppe. Das will Marian Offman, CSU-Stadtrat und Vorstandsmitglied der Israelitischen Kultusgemeinde, nicht gehört haben. Aber auch er bestätigt, dass irgendwann die Polizei im Saal stand und kurz davor war, einen Holocaustüberlebenden hinauszutragen.

Für Hamdan war "ein richtiger Mob" am Werk, für die Protestierenden war der Boykott-Vortrag eine "unerträgliche Erinnerung an das ,Kauft-nicht-bei-Juden' der Nazis", sagt Offman. Fakt ist, dass die Veranstaltung Konsequenzen haben dürfte, auch wenn noch nicht ganz klar ist, welche. Die spontane Reaktion von OB Dieter Reiter (SPD) fiel harsch aus: "Für solche Veranstaltungen" werde es künftig keine Unterstützung der Stadt mehr geben, versprach er der Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde, Charlotte Knobloch.

Auch für das Kulturreferat war die Veranstaltung ein Schock

Die Emotionen sind inzwischen etwas abgekühlt, und der Stadt ist klar, dass es keine pauschalen Lösungen für "solche Veranstaltungen" gibt. Reiter hat sich deshalb zunächst aus der Debatte zurückgezogen und das Kulturreferat gebeten zu prüfen, wie die Stadt künftig mit israelkritischen Veranstaltungen umgehen will. Dort sind die Mitarbeiter nicht zum ersten Mal mit dem Thema konfrontiert, seit mehr als 15 Jahren gibt es Streit um die Palästina-Tage, die ebenfalls von der Dialoggruppe um Hamdan organisiert werden. Mal geht es um eine bestimmte Ausstellung, mal um einzelne Redebeiträge, mal um die ganze Reihe, die den Kritikern zu einseitig ist.

Das Kulturreferat hat in all den Jahren reichlich Erfahrungen als Vermittler gesammelt, trotzdem war auch dort die Eskalation bei der Boykott-Veranstaltung ein Schock. "Wir werden uns beraten und schulen lassen, um künftig gut aufgestellt zu sein", sagt Sprecherin Jennifer Becker. Vielleicht sei es auch nötig, die Förderkriterien zu präzisieren. Doch zugleich stehe mit der Meinungsfreiheit ein hohes Gut auf dem Spiel: "Grenzenziehen geht im Nachhinein leichter als vorher", mahnt Becker.

Ein Problem ist in ihren Augen, dass "in München die Bereitschaft nicht sehr ausgeprägt ist, auf einem Podium miteinander zu diskutieren". Wie schwierig Gespräche sind, musste auch Grünen-Stadtrat Dominik Krause feststellen. Im Eine-Welt-Haus zum Beispiel hat er einmal eine Karte des Nahen Ostens ohne Israel gesehen. "Wir haben versucht, darüber eine Auseinandersetzung zu führen, aber das war nicht möglich. Wir sind sofort angefeindet worden." Auch Marian Offman sagt: "Einen Dialog zwischen den Kulturen gibt es leider nicht." Er will deshalb, dass die Stadt kein Geld gibt, wenn sie sich damit "in eine Auseinandersetzung zwischen zwei ausländische Bevölkerungsgruppen begibt". Davon hält das Kulturreferat wenig: "Wir können nicht verhindern, dass Konflikte importiert werden, die Leute lassen ihre Herkunft nicht zu Hause", sagt Becker. Neutralität hält sie für eine Illusion. Deshalb bleibe der Stadt nur eines: "Ausgewogenheit sicherstellen."

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SZ vom 01.12.2015
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