Schwierige Aufgabe:Der Feuerlöscher

Einst Vorsitzender der Münchner Grünen, schon ewig Löwen-Fan: Muffathallen-Chef Christian Waggershauser ist neuer Vorsitzender des 1860-Verwaltungsrats. "Auf Mängelverwaltung habe ich keine Lust mehr", sagt er

Von Franz Kotteder

An den 11. Juni 1994 kann er sich noch gut erinnern. Kurz vor Mitternacht kam Christian Waggershauser, Jahrgang 1962, in der Muffathalle an, er war damals gerade seit einem Jahr einer der beiden Geschäftsführer. Überglücklich war er da, mit leuchtenden Augen und leicht gerötetem Gesicht: "Mit 200 sind wir runtergebrettert", erzählte er, "der Wahnsinn!" Die Frage, ob man als Vorsitzender der Münchner Grünen denn rasen dürfe auf der Autobahn, wischte er mit einer Handbewegung weg: "Das ist heute wurscht! Wir sind aufgestiegen!"

Natürlich erinnert man sich als Sechz-ger-Fan um die 50 an das Spiel im niedersächsischen Meppen, bei dem es um den Aufstieg in die 1. Bundesliga ging. Der TSV 1860, ein Jahr zuvor noch Drittligist, hatte es in der Zweiten Liga auf Anhieb auf den dritten Platz geschafft, punktgleich mit dem FC St. Pauli. Nun ging es darum, wer das entscheidende Spiel gewinnen würde. Die Sechzger, begleitet von 10 000 Fans, führten in Meppen nach drei Minuten 1:0 durch ein Tor von Peter Pacult und hielten die Führung bis zum Ende: Man war wieder erstklassig, denn St. Pauli unterlag an jenem Samstag dem VfL Wolfsburg.

Es hat seine Vorteile, wenn man die Heimkehr der Schlachtenbummler damals in der Muffathalle miterlebt hat. Denn heute würde Christian Waggershauser wahrscheinlich nicht so ohne Weiteres davon erzählen, wie er und seine Freunde mit den geliehenen Mercedes und BMWs gen Norden und wieder zurückgebrettert sind: "Ganz der Arbeiterverein halt", sagt er und grinst. Aber Privates in der Presse zu lesen, das ist ihm ein Gräuel. Nicht, weil es peinlich wäre. Er findet es einfach nicht interessant für die Allgemeinheit.

Löwenchefs beschnitten

Siegfried Schneider (unten rechts) und vier seiner Vorgänger, im Uhrzeigersinn: Karl-Heinz Wildmoser, Erich Riedl, Adalbert Wetzel und Heinrich Zisch, Vater des Grünwalder Stadions.

(Foto: Imago (4), Löwenwiki)

So wie viele andere Sachen, die die Öffentlichkeit gerade ziemlich interessieren. Oder jedenfalls jenen Teil der Öffentlichkeit, der sich für den TSV 1860 interessiert. Dort ist Waggershauser derzeit Vorsitzender des Verwaltungsrats, bildet zusammen mit Siegfried Schneider momentan die Führungsspitze des Vereins. Wenn man mit ihm darüber sprechen will, wiegelt er erst mal ab. Und wenn man dieser Tage eine Dreiviertelstunde lang mit ihm spricht, fällt der Satz: "Das ist jetzt aber nichts zum Schreiben!", so oft, dass zum Schreiben nur noch sehr wenig übrig bleibt.

Man sieht daran zweierlei: Christian Waggershauser ist erstens sein Privatleben heilig, und zweitens wird beim TSV 1860 momentan jedes Wort auf die Goldwaage gelegt. Waggershauser glaubt, mit stiller Diplomatie mehr zu erreichen als mit Konfrontation. Stimmt ja auch: Im Verein äußert man sich auf vermintem Gelände; ein falsches Wort, und das ganze Spielfeld geht hoch. Es gibt Adjektive, da explodiert zum Beispiel der Sportdirektor, oder aber sie machen einen zum Verräter bei jenen, die den Investor gerne weghätten. Manche Sätze können, unbedacht geäußert und unkontrolliert gedruckt, ein vereinsinternes Erdbeben auslösen, das alles in Frage stellt, worauf man mühsam hingearbeitet hat. Wohlgemerkt: Das sind Interpretationen. Keine Sätze, die Waggershauser so jemals gesagt hätte. Gott bewahre!

Es ist in diesen Tagen - oder Jahren? - nicht leicht, ein Sechzger zu sein. Das ist heute anders als im Juni 1994. Christian Waggershauser war damals Anfang 30, er war schon Geschäftsführer des Kulturzentrums Muffathalle und daneben noch ehrenamtlicher Vorsitzender der Münchner Grünen. Ein Job, den er danach bald aufgab. Nicht nur, weil es anfangs oft hieß, er und sein Kompagnon Dietmar Lupfer hätten die Muffathalle nur bekommen, weil SPD und Grüne eben gerade eine Mehrheit im Stadtrat hatten. Ein Gerücht, das bald wieder verstummte, weil die beiden eben doch eine ziemlich gute Arbeit machten. Der CSU-Stadtrat Franz Forchheimer - einer der besten Kulturpolitiker, den die Münchner Christsozialen (und vielleicht sogar der ganze Stadtrat) je hatten - feierte seinen Abschied aus der Politik viele Jahre später dann sogar in der Muffathalle. Für Waggershauser ein Zeichen der Anerkennung, "auf das ich sehr stolz bin, denn dem Forchheimer ging es immer um die Sache".

Christian Waggershauser

Christian Waggershauser, Muffathallen-Chef.

(Foto: Catharina Hess)

In Altperlach ist er aufgewachsen, "damals war das noch ein Dorf in der Stadt". Die "Neue Heimat" hatte die Trabantenstadt Neuperlach noch nicht gebaut, aber den Perlacher Bauern schon den Grund abgekauft, und auf einmal stand dann ein Mercedes auf dem Bauernhof, und neben den Misthaufen kam ein Swimmingpool. Der Schüler Waggershauser ging aufs Michaeligymnasium und machte dort sein Abitur, es folgte der Zivildienst. 1980 wurde er Parteimitglied bei den Grünen, weil er sich "eine ganzheitliche Politik" wünschte und nicht nur gegen etwas sein wollte. Gründerzeiten waren das, er organisierte Demos, Konzerte und später dann den Wahlkampf für Petra Kelly. "Mit ihr, Gert Bastian und Udo Lindenberg war der Marienplatz so voll wie beim Strauß."

Um finanziell unabhängig zu sein, tat er sich mit einem Freund zusammen und übernahm einen Copy-Shop in der Adalbertstraße, jobbte auch bei Konzerten und lernte so Dietmar Lupfer kennen, mit dem er später die Konzertagentur Sonic Boom gründete. Als die Stadt dann Betreiber für die Muffathalle suchte, legten sie das überzeugendste Konzept vor.

Mit dem Engagement bei den Grünen war dann bald Schluss, er wollte ja irgendwann Kinder, sagt Waggershauser. Sieben Ehrenämter mit dem entsprechenden Zeitaufwand abends und am Wochenende, dazu noch die Veranstaltungen in der Halle - das war nicht mehr zu machen. Seine beiden Söhne sind jetzt 15 und 18 Jahre alt, spielen beide Fußball und sind, logisch, Anhänger von 1860. Der eine hat gerade sein Abitur gemacht, der andere macht Musik aller Art, von Klassik bis Hip-Hop, was lustigerweise fast der Bandbreite entspricht, die der Papa in der Muffathalle so anbietet.

Aber halt: Das war jetzt fast schon zu viel an Familie und Privatleben. Dann lieber wieder über den TSV reden, in dessen Verwaltungsrat Waggershauser seit neun Jahren sitzt und zu dessen Vorsitzendem er im Zuge der jüngsten Turbulenzen wurde. Seine Ansprüche sind nicht gering: "Ich will was gestalten, ich will was vorwärtsbringen", sagt er, "auf Mängelverwaltung habe ich keine Lust mehr. Ich will nicht immer nur Feuer löschen." Auch wenn das natürlich zu den Hauptaufgaben des Verwaltungsrates gehörte in letzter Zeit: "Seit neun Jahren gab es nicht eine Sitzung, bei der es nicht um das existenzielle Thema Finanzen ging. Das hat alles dominiert." Es ist halt viel auf das Prinzip Hoffnung gesetzt worden in diesem Verein, auf den Wiederaufstieg in die Erste Liga und den damit verbundenen Geldsegen. Waggershauser hat sich aber mal die Statistik angeschaut: "Es heißt ja immer, wir wären der geborene Erstligist. Von den Fans und der Tradition her mag das ja stimmen. Aber was die Zugehörigkeit zu den Ligen angeht, ist seit 1963 der Durchschnittswert 1,8. Wir sind eigentlich ein glatter Zweitligist."

Er sagt dann schon noch mehr, aber das will er nicht in der Zeitung lesen. Überhaupt wäre es ihm sowieso lieber, wenn in der SZ etwas stünde über das große Nepal-Benefiz, das er am 17. Juli in der Muffathalle mit Jesper Munk und der Band Whiskey Foundation veranstaltet. Nepal liegt ihm am Herzen, seitdem er nach dem Zivildienst zwei Monate dort war.

Bei allem Verantwortungsgefühl für den TSV 1860: Das ist ihm dann doch die weitaus wichtigere Katastrophenhilfe.

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