Süddeutsche Zeitung

Das neue "Schwere Reiter":Freudvoller Anarchismus

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Das neue Schwere Reiter eröffnet mit einem durchmischten Programm. Auf künstlerisch zusammenhängende Stücke muss man noch warten.

Von Rita Argauer, München

Die freie Szene weiß sich abzugrenzen: "Routine ist gefährlich" oder "Staatstheater stinkt" steht auf einem Plakat vom Verband Freie Darstellende Künste Bayern. Dieses hängt im alten Schwere Reiter und ist Teil einer Ausstellung, die dann trotz all dem Anspruch auf Gegenwärtigkeit und Zeitgenossenschaft ganz schön historisierend ist. Man begegnetet den üblichen Choreografen, jedem mit Fotos und Aussagen an der einen Wand, KP Weranis Partitur zum Eröffnungsstück an einem Tisch. An der Stirnseite flattern Papierfahnen, die die Künstler aufzählen, die hier auftraten. Aber spätestens wenn Micha Purucker golden gekleidete Cheerleader-Aliens anfeuern lässt von brüllend lauter Musik, die zwischen Marsch und Heavy Metal wechselt, bekommt das Ganze zumindest einen sehr freudvollen Anarchismus.

Das Eröffnungsprogramm ist bunt, aber auch ein bisschen unverbindlich. Nach Ceren Orans flüssigem, aber musikalisch und tänzerisch zu glattem "The Urge", aufgeführt draußen zwischen den Hallen, sprintet man zum Halleneingang. Claudia Senoner und Mark Lorenz Kysela sind die ersten, die dort auftreten. Ihr Stück "Shake - Mmmooz Reloaded" hat einen gewissen absurden Witz. Zunächst unter einem Tischtuch vergraben, kriechen sie rumpelnd durch die Halle, dann treten sie als Musiker mit gruseligen Masken auf. Das erinnert an Szenen eines David-Lynch-Films mit lebenden Comicfiguren zwischen Noise, Nonsens und Jazz.

Cornelia Melián und Helga Pogatschar meinen es da ein bisschen ernster. Pogatschar hat eine neue musikalische Unterlage zu Meliáns Hildegard von Bingen-Gesängen ( die sie vor einem Jahr im alten Schwere Reiter aufführte) komponiert - mit Synthesizer-Glissandi und Klavier-Saitenzupfen klingt das moderner. Ihre Stimme wird vom Band gedoppelt, sie ist ihr eigener Chor, auch in der Bearbeitung von Monteverdis Arie "Lasciate mi moire".

Alle zeigen das, was sie schon einmal gemacht haben. Einblick: ja. Künstlerische Gesamtsituation: nein

Und so plätschert der Abend dahin. Jeder zeigt ein bisschen was, und es hat so ein wenig die Anmutung einer Gala - in der Art, wie es Staatstheater zu solchen Anlässen eben auch gerne veranstalten. Alle zeigen das, was sie schon mal gemacht haben in einer komprimierten Version. Der Einblick ist da, der Blick auf eine künstlerische Gesamtsituation bleibt aus. Publikumsrenner sind Ausschnitte aus Moritz Ostruschnjaks "Yester:now". Klar, das ist ein Stück, das tänzerisch knallt und gleichzeitig Plakativität klug reflektiert. Passt aber, in seiner unmittelbaren Zugänglichkeit auch gut ins Gala-Konzept.

Das erfrischt wieder Micha Puruckers nächste Intervention - ein nackter Typ mit Augenklappe kehrt swingend eine Menge Cent-Stücke zusammen. Die Musik ist brechend laut. Und Purucker sitzt daneben und trägt ein T-Shirt mit der lakonischen Aufschrift "Wo ist eigentlich München?". Und diese kleinen Momente haben dann - auch angesichts dessen, dass da jetzt zwei baugleiche Hallen nebeneinander stehen und das stadtpolitisch alles so absurd gelaufen ist - künstlerisch die größte Kraft des Abends.

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