Literatur:Vielfalt leben

Literatur: Emilene Wopana Mudimu ist politische Aktivistin und Sozialarbeiterin in Aachen.

Emilene Wopana Mudimu ist politische Aktivistin und Sozialarbeiterin in Aachen.

(Foto: Frederik Mordhorst)

Der Band "Schwarz wird großgeschrieben" im Münchner "Verlag & Töchter" wurde vom Freistaat Bayern mit einer Verlagsprämie ausgezeichnet.

Von Anna Steinbauer, München

Als weiße Person macht man nicht oft die Erfahrung, dass etwas nicht an einen adressiert ist. Dieses Buch rüttelt an der Verhältnismäßigkeit und wagt einen wichtigen Perspektivwechsel: Bereits der Titel "Schwarz wird großgeschrieben" gibt den Hinweis darauf, wer hier im Fokus steht - die weiße Mehrheitsgesellschaft ist es ausnahmsweise mal nicht. "Dieses Buch ist von uns für uns geschrieben und richtet sich bewusst an schwarze Menschen", sagt Evein Obulor. Mit dem Team von RosaMag, einem Online-Magazin, das schwarze "FLINTA" (Frauen, Lesben, Inter, Nichtbinäre, Trans, Agender) anspricht, hat sie diesen bemerkenswerten Band im Münchner Verlag & Töchter herausgegeben, der dafür mit einer "Verlagsprämie des Freistaats Bayern 2021" ausgezeichnet wurde.

Im Buch kommen ausschließlich 20 schwarze FLINTA zu Wort, zwei von ihnen hat Obulor, die als Antidiskriminierungsbeauftragte in Heidelberg arbeitet, zum Zoomgespräch eingeladen: Die PR-Referentin und politische Aktivistin Christelle Nkwendja-Ngnoubamdjum aus Offenbach und die Aachener Sozialarbeiterin und politische Aktivistin Emilene Wopana Mudimu. Man tauscht sich über Role Models und die eigene kreative Arbeit am Buch aus, dann betonen beide die große Bedeutung, die "Schwarz wird großgeschrieben" für sie habe. "Ich sehe das Buch als totalen Schatz an, jedes Mal wenn ich darin lese, entdecke ich einen neuen Aspekt. Es macht mich zugleich ganz und zerbrechlich", so die Offenbacherin.

Die Lektüre habe sie speziell nochmal für verschiedenste Machtgefälle innerhalb der schwarzen Communities sensibilisiert, erklärt die Aachener Sozialarbeiterin: "Wenn es bestimmte Lebensrealitäten gibt, die mich nicht betreffen, weil ich einfach gewisse Privilegien haben, sind das die Punkte, wo ich genauer hinschauen sollte, um eine gute Verbündete zu sein."

Literatur: Christelle Nkwendja-Ngnoubamdjum ist politische Aktivistin und arbeitet als PR-Referntin in Offenbach.

Christelle Nkwendja-Ngnoubamdjum ist politische Aktivistin und arbeitet als PR-Referntin in Offenbach.

(Foto: Katharina Dubno)

Selbstreflexion und Hinterfragen von gängigen Machtstrukturen ist als weiße Person mindestens ebenso notwendig. Viele schwarze Menschen, die in Deutschland leben, finden sich selbst und ihre eigenen Geschichten oft nicht wieder. Wie ihre Lebensrealität hierzulande aussieht, mit welchen Problemen sie kämpfen und welche Träume sie für sich und ihre Nachkommen haben, erzählen die Autor*innen schonungslos intim, schmerzhaft ehrlich und so poetisch wie humorvoll. In ihren Texten fordern sie Solidarität und Gemeinschaft, nehmen sich Platz für ihre eigene Identitätssuche, berichten von rassistischen Übergriffen und prangern strukturelle Diskriminierung wie Trans- oder Fettfeindlichkeit an. Die versammelten Beiträge, die von den wunderbaren Collagen von Sharonda Quainoo gerahmt werden, sind so unterschiedlich und vielfältig wie die Communities: Vom Essay über den Erfahrungsbericht bis hin zum Gedicht und Liebesbrief sind sämtliche Genres enthalten.

Das Buch sei kein Einsteigewerk für Antirassismus, sondern für Leute gedacht, die sich mit dem Thema schon beschäftigt hätten

Weiße Menschen könnten aus diesem Buch viel lernen, finden die Herausgeberin und die beiden Autorinnen. Das Buch sei kein Einsteigewerk für Antirassismus, sondern für Leute gedacht, die sich mit dem Thema schon beschäftigt hätten und bereit seien, dazuzulernen und zu hinterfragen. Der Band ist als eine Art Kompass gedacht, der jungen schwarzen Menschen Themen und Hilfe zur Orientierung bietet und sie in ihrer Auseinandersetzung mit ihrem Schwarzsein begleitet. Das Buch "Farbe bekennen", das von May Ayim, Katharina Oguntoye und Dagmar Schultz 1986 herausgegeben wurde, war für viele afrodeutsche Frauen ein solches Werk, "Schwarz wird großgeschrieben" sieht sich in dieser Tradition, geht aber weiter und fragt danach, was Schwarzsein heute bedeutet und welche Konflikte es beinhaltet. Das umfasst auch eine Auseinandersetzung mit Diskriminierungstendenzen innerhalb der Schwarzen-Communities, die mit den unterschiedlichen Abstufungen von Schwarz-/Weiß-Sein einhergeht. Gezielt habe man auf eine "darkskinned und queere Mehrheit" unter den Autor*innen geachtet, so Obulor, der als mixed race und lightskinned Frau der Aspekt mit den Privilegien nur allzu bewusst ist.

In einem Brief an ihr inneres Ich überlegt sie, welche Erfahrungen sie ihren zukünftigen Kids als im Kongo Geborene mitgeben möchte

Die Themen seien alle aus einer intensiven Auseinandersetzung mit den Autoren entstanden. "Der Brief ist für mich eine Form, die sehr viel Raum für Selbstreflexion gibt. Wo stehe ich selbst mit der Verhandlung meiner schwarzen Identität, wo stehe ich in Bezug auf die Communities und was sind Erfahrungen, die ich gemacht habe", sagt Emilene Wopana Mudimu, die für das Buch einen Brief an ihr jüngeres Ich adressiert hat. Darin überlegt sie, was sie ihren zukünftigen Kids aus ihren Erfahrungen als im Kongo Geborene mitgeben möchte, die ihnen hoffentlich erspart bleiben.

Dass Communities zwar notwendig und wichtig sind, in jedem Raum aber auch die Gefahr der Diskriminierung besteht, bestätigt auch Christelle Nkwendja-Ngnoubamdjum. Auch sie hat die Briefform für ihr Anliegen gewählt und öffnet in ihrem bewegenden, sehr poetischen Liebesbrief an ihre "schwarzen, dicken, fetten Siblings" unter anderem Räume zur Selbstreflexion. "Ich glaube nicht, dass es Safe Spaces gibt. Ich wünsche mir, dass Safer Spaces möglicher wären - aber um diese zu schaffen und zu halten ist unter anderem eine konstante und ehrliche Auseinandersetzung mit unseren Privilegien in unseren jeweiligen Lebensrealitäten notwendig", findet die Aktivistin. Das Buch, da sind sich die Herausgeberin und die beiden Autorinnen einig, diene auch als "Schwarzes kollektives Wissensarchiv". Oft würde schwarzes Wissen als subjektive Erfahrung abgetan, was auch eine Form von Rassismus sei. Mit diesem Band, das ist auf jeden Fall sicher, verfestigt sich schwarzes Wissen und schreibt sich in Köpfe, Herzen, Geschichte ein.

"Schwarz wird großgeschrieben", herausgegeben von Evein Obulor in Zusammenarbeit mit RosaMag, Verlag &Töchter 2021, 240 S., 22 Euro

Die SZ-Autorin gendert in diesem Text ausnahmsweise, entgegen der üblichen SZ-Regelung, aufgrund der entsprechenden Thematik.

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