Schwanthalerhöhe:Parallelgesellschaften

Im Köşk zeigen Münchner Fotografen und der amerikanische Künstler Johnny Miller, wie dicht Arm und Reich beieinander liegen

Von Jana Sauer, Schwanthalerhöhe

Als hätte sie es satt, Mittel zum Zweck zu sein, gibt eine Minolta 7000 ein gleichmäßiges Surren von sich und unterbricht das Gespräch. In der Gruppe wird es kurz still, dann lachen alle. Das mechanische Rauschen entsteht, weil die analoge Kamera den Film zurückspult. Das ist bei einigen der Apparate der Fall, die da beim Workshop im Köşk auf dem Tisch liegen. Wirtschaftliche Ungleichheit, die Kluft zwischen Arm und Reich in München, wollen die Hobbyfotografen in den Fokus ihrer Kameras nehmen. An diesem Freitag, 2. November, werden sie ihre Aufnahmen im Köşk zeigen. Ihre Werkschau ist auch Teil der Ausstellung "Unequal Scenes" des amerikanischen Fotokünstlers Johnny Miller.

Miller dokumentiert mit Bildern einer Kamera-Drohne, er nennt sie "Spielzeug", wie nahe sich Arm und Reich in den Metropolen dieser Welt kommen. Dem nüchternen Blick des fliegenden Objekts müssen sich unter anderem Mexiko City, Mumbai und Los Angeles stellen. Aus der Vogelperspektive wird sichtbar, was den Stadtbewohnern sonst verborgen bleibt. Die Drohne erfasst Straßenzüge, die direkt nebeneinanderliegen und unterschiedlicher nicht sein könnten. Wellblechhütten grenzen an Luxusappartements.

kösk ungleich

Parallelgesellschaften: Ein Obdachloser schäft in einer Münchner U-Bahn-Station.

(Foto: Cordula Meyer-Josten)

Viele Aspekte dieser heterogenen Stadtstruktur sind erst auf den zweiten Blick sichtbar: In den ärmeren Randbezirken sind die Schulen in einem schlechteren Zustand, die Anbindung an öffentliche Verkehrsmittel oft unzureichend. Die Anfahrtswege zu den Jobs in den Innenstädten sind lang, gesellschaftliche Teilhabe an Kultur und Freizeit kaum möglich. Explodierende Mieten drängen diejenigen mit geringem Einkommen aus den Städten hinaus.

Fotograf Miller hat mit seinem Projekt aus der Luft weltweit Aufmerksamkeit erregt: "Das hat massive Auswirkungen, das geht weit über Kunst hinaus. Wir können selbst unsere Gemeinden kartieren, wir setzen uns wortwörtlich selbst auf die Karte - das können wir jetzt zum ersten Mal überhaupt von oben machen, ohne Unterstützung der Regierung", erklärt der Künstler, der heute in Kapstadt, Südafrika, lebt, einer Stadt mit vielen Zäunen. Mit seinem Projekt möchte er die Menschen dazu ermutigen, über Barrieren zu schauen.

Von Kapstadt nach München: Zu den teuersten Wohnflächen in der bayerischen Metropole zählen die Luxusapartments "The Seven" im Gärtnerplatzviertel. Im 15. Stock dort soll der Quadratmeter 22 000 Euro kosten. Von der großzügigen Dachterrasse des Luxus-Apartments bietet sich ein Blick auf die Stadt, der Millers Drohne Konkurrenz macht. Armes/reiches München: Wie sich das auch ohne Flugkamera einfangen lässt, hat die Kunstvermittlerin Camilla Lopez mit den Teilnehmern ihres Workshops im Köşk erarbeitet: "Wir möchten mit unseren Bildern eine eindringliche Perspektive auf Ungleichverteilung in unserer Stadt werfen." Auf Streifzügen durch München fanden die Fotografen dafür genügend Motive.

Ausstellung "unequal Scenes" im Kösk, Bloubosrand Kya Sands

Nur eine Straße trennt den südafrikanischen Mittelklassevorort Bloubosrand von der Armensiedlung Kya Sands.

(Foto: Johnny Miller/oh)

Angelika Piller etwa hatte ihrer Heimatstadt 13 Jahre lang den Rücken gekehrt, jetzt hat sie das Projekt genutzt für einen neuen Blick auf ein altes Zuhause: "Ich finde, die Stadt hat sich sehr verändert. Ich habe das Gefühl, dass das Straßenbild mehr von Armut geprägt ist." Augenfällig wird das für die Fotografen in der Umgebung des Hauptbahnhofs. Piller und ihre Begleiter sprechen Wohnungslose an, bitten um die Erlaubnis, sie abbilden zu dürfen. Viele sind froh, dass ihre Probleme sichtbar werden. Armut zeigt sich auf den Bildern in Gesichtern, Reichtum eher am Prunk von Gebäuden wie etwa einem Fünf-Sterne-Hotel. Das Hotel beeindruckt schon von außen und lädt zum Verweilen ein, allerdings nicht die Workshop-Teilnehmer. Denen fehlt dazu das nötige Kleingeld. Mit der Summe, welche die teuerste Suite dort pro Nacht kostet, könnte mancher von ihnen sein Studiendarlehen begleichen. Ganz in der Nähe stellt ein Automobilkonzern einen Zweisitzer mit Flügeltüren aus, eine Teilnehmerin kann nicht widerstehen und setzt sich hinein. Von oben gesehen ließe sich eine Achse vom Luxus-Hotel zum Luxus-Autohändler und von dort zum Luxus-Kaufhaus erkennen. Johnny Miller warnt: "Wir müssen Stadtplanung sehr, sehr ernst nehmen, weil die Folgen mangelhafter Planung, Entrechtung und schlechter Politik noch über Generationen spürbar bleiben werden."

Festival "Politik im freien Theater": Werkschau des Fotoworkshops und Vernissage "Unequal Scenes" Freitag, 2. November, 19 Uhr, im Köşk, Schrenkstraße 8. Ausstellung am 3., 4., 9. und 10. November jeweils von 15 bis 20 Uhr. Eintritt frei.

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