Süddeutsche Zeitung

Schwanthalerhöhe:"Irrland" vor dem Exit

Der selbstverwaltete Kunst- und Kulturraum muss aus seiner Bleibe an der Bergmannstraße ausziehen. Ein neues Domizil für das kommerzfreie Wohnzimmer des Viertels ist nicht in Sicht

Von Andrea Schlaier, Schwanthalerhöhe

Dass es so was in dieser Stadt noch gibt: Auf 60 Quadratmetern drei vergleichsweise unscheinbare Räume in einem kellerartig versteckten Erdgeschoss, die ein Künstler-Kollektiv für etwa 730 Euro im Monat mietet, um sie für das eigene Programm, aber auch für alle möglichen anderen Kollegen und Gruppen bis hin zum Sportverein zur freien Nutzung bereit zu stellen. Die Tür zu diesem kommerzfreien Wohnzimmer samt Anbau ist vor sieben Jahren an der Bergmannstraße 8 aufgestoßen worden. Und wie es zurzeit aussieht, fällt sie Ende Juni für immer ins Schloss. Dem Verein "Mischwald", Mieter des selbstverwalteten Kunst- und Kulturraums "Irrland" ist, wurde gekündigt.

Betreiber des Irrland ist das "department of volxvergnuegen". Die handelnden Personen von Verein, Betreiber und Kulturraum sind nahezu deckungsgleich. Sie versuchen seit Wochen, flankiert von politischer Unterstützung im Viertel, eine Mietverlängerung durchzusetzen, um mehr Zeit zu haben, eine alternative, ebenfalls bezahlbare Bleibe in der Nähe zu finden. Zurzeit sieht es aber nicht gut aus.

Noch glühen die Birnchen im Irrland. Und doch wirkt es, als verglühte der beleuchtete Schriftzug über dem Eingang des Kulturraums augenblicklich. Der helle Tag draußen macht dem Schein drinnen zu große Konkurrenz. Drinnen sitzen die beieinander, die das Licht nicht ausschalten wollen: Fabian Sefzig, Notfall-Sanitäter, Fünf-Tage-Bart, Hauptmieter, der mit dem vormaligen Eigentümer abgemacht hatte: "Ich werde die Räume an den Verein vermieten und bleiben, "so lange's keinen stört". Steffen Müller, Kontrabass im Arm, Käppi auf dem Kopf, Jazzmusiker, der den Raum tagsüber nutzt und schätzt, "weil er zentral liegt, und die Musiker, die von außerhalb kommen, ihn gut erreichen und wir hier tagsüber üben können". Dann mit blau gefärbtem Kurzhaar "Paulaner", studierte Grafik-Designerin, Upcycling-Schmuck-Künstlerin, die Workshops an der Bergmannstraße 8 gibt und "gerade versucht, in München Fuß zu fassen". Und schließlich Moritz Dittmeyer, dunkler, kurzer Schopf, schreibt gerade seine Doktorarbeit in Philosophie, mitunter auch in diesen Räumen. Alle wohnen sie in der Nähe. Alle wollen sie die paar Quadratmeter im Irrland weiter "quer" nutzen, als "kulturelle Spielwiese" fürs Viertel bei "fast immer freiem Eintritt".

Einmal im Monat gibt's hier "Lektionen in Kultur" und "Talk is cheap", Vorträge mit sozialwissenschaftlichem Blick auf Phänomene der Popkultur; der Münchner Hörspielmacher Florian Schenkel vermittelte die Reize klassischer Musik, Gerhard Henschel war im Haus; Ausstellungen mit Schmuck, Malerei und Comics sind hier zu sehen, Workshops zum Buchbinden werden gegeben, zu Fotografie, Fahrradreparatur und der Nähkunst. Wer will, wird in die Geheimnisse des "Risographen" im Nebenraum eingeweiht, einer in Vergessenheit geratenen Druckapparatur. Künstler nutzen den Freiraum als Werkstatt, als Proben- und Unterrichtsraum, darunter auch freie Theatergruppen. "Ja", sagt Paulaner mit den blauen Haaren und beugt sich über die Lehne der abgewetzten 80er-Jahre-Couch, wo ein Pappkarton abgestellt ist. "Honig solidarische Imkerei" hat einer mit dickem Filzer draufgeschrieben. "Ein mal die Woche wird hier die Ernte einer solidarischen Landwirtschaft verteilt."

Anfang 2017 jedenfalls hat der alte Eigentümer sein Haus verkauft. An ein Unternehmen, dass sich entsprechend der Adresse an der Bergmannstraße 8 "B 8 Immobilien GmbH & Co." nennt mit selbigem Firmensitz wie die Hausverwalter, die Adix-Immobilien GmbH. Nie, sagt Hauptmieter Fabian Sefzig, habe es in den vergangenen sieben Jahre Klagen aus der Nachbarschaft gegeben. Auch deshalb habe sie alle die Kündigung wie ein Blitz aus heiterem Himmel getroffen. Ende Juni 2019 sollen sie raus aus den Räumen. "In dem Schreiben stand nicht mal ein Kündigungsgrund oder sonst irgendwelche Konditionen", erzählt Sefzig. "Wir haben sofort zurück geschrieben und um Verlängerung gebeten und erklärt, was hier stattfindet. Aber es gab seither keine Reaktion. Null Kommunikation".

So er ging es auch dem Bezirksausschuss Schwanthalerhöhe, der die Bitte um Verlängerung in den Räumen unterstützt und sich mit einem Schreiben an Verwalter und Eigentümer gewandt hat. "Bei dem Verein", so heißt es darin, "handelt es sich um eine wichtige Einrichtung in unserem Stadtbezirk, von dem viele gute Impulse für das kulturelle und soziale Leben im Stadtbezirk ausgehen." Auch hier seit Januar: null Reaktion.

Im Gespräch mit der SZ verweist Adix-Geschäftsführer Robert Gillitzer auf grippebedingte Ausfälle, die zu bislang ausbleibenden Antworten geführt hätten. Inhaltlich will er sich auf keine Zugeständnisse einlassen: "Wir haben in dem Objekt eine Elektro-Firma, die haben sich an uns gewandt, weil sie dringend Erweiterungsräume brauchen. Deshalb haben wird dem Verein gekündigt." Man wolle diesen "langjährigen Elektro-Mieter halten, bei dem gerade ein Generationenübergang stattfindet". Deshalb habe der neue Eigentümer dem Verein gekündigt, bei dem es übrigens nie "Anlass zur Klage" gegeben habe. Im Westend halte das Unternehmen wenige Immobilien und könne keinen Ersatz anbieten. Zurzeit würden im Haus vier Apartments saniert, die man dem Wohnungsmarkt aber nicht entziehen wolle. Gillitzer sagt auch: "In diesem Segment ist die Stadt selbst auch mal gefragt, kulturell Interessierten etwas anzubieten und das nicht dem freien Markt zu überlassen."

Eine Zwischennutzung in irgendeiner Nische der Stadt ziehen die Mitglieder des Vereins nicht wirklich in Betracht. Da wäre zum einen die Geldfrage - bisher finanziert sich der Verein über Spenden und Eigenmittel, immer wieder werden Veranstaltungen auch vom Kulturreferat gefördert. Geht sich alles grade so aus. Und diese "wahnsinnig aufwendigen Zwischennutzungen", sagt Paulaner, "sind letztlich eine kontinuierliche Zermürbung der Kunstschaffenden". Weitersuchen ist das einzige, was bleibt.

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Quelle:
SZ vom 06.03.2019
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