Süddeutsche Zeitung

Schwanthalerhöhe:Eine nüchterne Angelegenheit

Die Bürgerversammlung für den Stadtbezirk wurde als erste in München im Live-Stream übertragen

Von andrea Schlaier, Schwanthalerhöhe

"Meine sehr geehrten Damen und Herren hier im Rund, meine sehr geehrten Damen und Herren vor den Bildschirmen..." In schönster 80er Jahre-Manier wandte sich Hans Reisbeck am Mittwochabend ans Premieren-Publikum unter der Kuppel des Circus Krone: Erstmals wurde eine Münchner Bürgerversammlung im Live-Stream übertragen, und der Chef der Polizeiinspektion Westend lieferte für den Anlass die formvollendete Begrüßungsformel für seinen Auftritt vor den Gästen aus der Schwanthalerhöhe. Die Form war auch das augenscheinlichste Merkmal des Abends. Nicht mehr als 40 Bewohner des Viertels - anwesende Lokalpolitiker nicht mitgerechnet - waren an die Marsstraße gekommen, 60 Zuschauer im Durchschnitt daheim an ihren Geräten zugeschaltet. Nach gut eineinhalb Stunden und ganzen zwölf Wortmeldungen war dann auch wieder Schluss.

Sie habe sich gefreut, sagt Bezirksausschusschefin Sibylle Stöhr (Grüne) am nächsten Morgen, dass ihr Viertel als Pilotprojekt für den Live-Stream ausgewählt worden sei, aber "ich habe die Wirtshausatmosphäre, die wir sonst haben, wo es auch mal hoch her geht, schon sehr vermisst". Nach dem protokollarischen Abriss der Stadtentwicklung im vergangenen Jahr von Bürgermeisterin Verena Dietl (SPD) als Versammlungsleiterin, hatte Stöhr mit Themen der vergangenen zwei Jahre - die Bürgerversammlung 2020 ist coronabedingt ausgefallen - noch lokale Tupfer im Stakkato aneinandergereiht: Baustellen und die oft damit einhergehenden Verkehrsprobleme etwa rund ums Forum Schwanthalerhöhe, die bevorstehende Schließung der Postfiliale an der Bergmannstraße, der auf 2024 verschobene Start des Neubaus des Multikulturellen Zentrums MKJZ an der Westendstraße - weshalb auch die Kultur-Oase Köşk um die Ecke noch länger bleiben darf (Applaus) - und das Experimentierfeld einer autofreien Zone an der Parkstraße in den letzten zwei Wochen der Sommerferien.

Weil etliche Bürger aus verständlichen Gründen nicht vors Mikro und in diesem Fall vors Publikum "an den Bildschirmen" treten wollten, verlas Bürgermeisterin Dietl ihre Anfragen und Anträge. Eine nüchterne Angelegenheit. Positiver Aspekt der Neuerung ist gleichwohl, dass die Besucher direkt nach einem Antrag abstimmen können und nicht erst, wie im ausschließlichen Präsenzformat, gebündelt über alles am Ende der Wortmeldungen - wenn viele sich schon nicht mehr an die Details erinnern.

Die Beiträge am Mittwochabend befassten sich fast ausschließlich mit Verkehrsthemen. Mehrheitlich votierten die Anwesenden etwa für einen Fußgängerüberweg an der Ganghoferstraße auf Höhe der Anglerstraße, weil es vor allem zu den Hauptverkehrszeiten an der Stelle gerade für Kinder des Viertels gefährlich ist, die Seite zu wechseln und die nächsten sicheren Querungen in beide Richtungen etwa 200 Meter entfernt sind. Außerdem sprachen sie sich aus für Tempo 30 in der Ganghoferstraße und den Wohnstraßen im Karree Kazmair-, Bergmann-, Westend- und Schießstättstraße sowie einer eventuellen Ausdehnung auf die andere Seite der Trappentreustraße. Ein eindeutiges Ja gab's dafür, die Ampelschaltung für Radler und Fußgänger über die Landsberger Straße an der Barthstraße so zu takten, dass man innerhalb einer Grünphase komplett die Seite wechseln kann. Gleiches gilt für die künftige Traverse in Verlängerung der Bergmannstraße Richtung Arnulfsteg.

Klar abgelehnt haben die Versammelten dagegen, die Außengastronomie im Viertel sofort aufzuheben, unter anderem wegen massiver Lärmbelästigung; keine Mehrheit fand zudem, an der Kreuzung Gollierstraße/Trappentreustraße die in Radparkplätze umgewandelten drei Kfz-Parkplätze wieder den Autos zuzuschlagen. Als Argument wurde die allgemeine Pkw-Parkplatznot der Anwohner genannt.

Bemerkenswert für Reisbeck waren 2020 rückläufige Zahlen quer durch alle Deliktarten, ein "Lockdown-Prozess". Ruhestörungen allerdings haben zugenommen, auch um den "Hotspot für junge Leute" an der Schwanthaler-/Park- und Gollierstraße. Trotzdem zog er ein positives Fazit. Nicht ganz so positiv fiel das von Sibylle Stöhr aus: Sie sehe für Hybrid-Bürgerversammlungen noch "erheblichen Verbesserungsbedarf".

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Quelle:
SZ vom 23.07.2021
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