Schwangere Frauen und Mütter mit kleinen Kindern waren Anfang Dezember gezwungen, in der Bahnhofsmission auf Iso-Matten am Boden zu übernachten - obwohl die Stadt ein eigenes "Kälteschutzprogramm" hat. Plätze in einer Notunterkunft gab es für die mittellosen Zuwanderer nicht: Denn solche Unterkünfte werden nur zugewiesen, wenn die Nachttemperaturen unter null Grad fallen könnten. Anders als im Vorjahr werden inzwischen für die Bettplätze in der Bayernkaserne nur noch an alte, kranke und gebrechliche Menschen Decken ausgegeben, nicht aber für Schwangere und junge Mütter. Sowohl die Bahnhofsmission als auch das Bündnis "München sozial", ein weit gespannter Zusammenschluss sozialer Einrichtungen, üben deshalb deutliche Kritik am Sozialreferat.
Sozialreferentin Brigitte Meier (SPD) verteidigte die Regelungen. Schwangere und Mütter mit Kindern könnten in Einzelfällen unabhängig von der Temperatur untergebracht werden: "Wir dürfen keine falschen Anreize setzen, das gibt uns auch die Stadtspitze vor." Zugleich räumte sie ein, es sei "ein schwieriger Spagat, zwischen humanitärer Hilfe und Abschreckung die richtige Entscheidung zu treffen".
Am 5. Dezember scheint dies jedenfalls aus Sicht der Bahnhofsmission gründlich misslungen zu sein, wie aus einer E-Mail von deren Leiterinnen vom 6. Dezember hervorgeht, die der SZ vorliegt: "Da Sie sich gestern trotz Sturmwarnung entschieden haben, die Übernachter/innen aus der Bayernkaserne auf die Straße zu setzen, war bei uns in der Bahnhofsmission ab dem späten Nachmittag Chaos angesagt. Wir hatten über zehn Frauen, die alle behauptet hatten, schwanger zu sein bzw. Kinder dabei hatten." Darunter sei auch eine 17-Jährige gewesen, die schwanger war. Und es seien noch weitere Frauen gekommen. Letztendlich habe man mehr als zehn "eventuell schwangere" Frauen und Mütter mit Kindern in einer Pension untergebracht. "Zusätzlich haben noch 15 (!) Frauen bei uns in der Bahnhofsmission übernachtet."
Das Wohnungsamt mailte umgehend zurück: Man habe nach der Lektüre das Gefühl, nur die Stadt sei verantwortlich dafür, "dass angeblich oder tatsächlich schwangere Frauen hier nach München kommen und ihre Kinder extrem gefährden, um im Zuge des Kinderschutzes einen Anspruch auf Unterbringung durchzusetzen oder zu erzwingen." Warum könnten Frauen nicht motiviert werden, mit einer angebotenen Fahrkarte nach Hause zu fahren? Warum sei nicht vermittelbar, dass eine Kindswohlgefährdung eine zwingende Inobhutnahme des Kindes durch das Jugendamt zur Folge habe? Es sei nicht zielführend, "Signale mit massenhafter Nachahmungswirkung auszusenden", auch wenn Nächstenliebe dabei handlungsleitend sei, heißt es im Verwaltungsdeutsch.
Andrea Betz, Bereichsleiterin beim Evangelischen Hilfswerk, zu dem sowohl die neue Beratungseinrichtung "Schiller 25" als auch die Evangelische Bahnhofsmission gehören, ist froh, dass die Kälteschutzunterbringung nun über die Feiertage bis Freitag verlängert worden ist. Letzte Woche waren auf diese Weise 22 minderjährige Kinder und 17 Schwangere in einem Hostel untergebracht. Zur Rückkehr sind die Menschen vor dem Hintergrund, dass vom 1. Januar die volle Arbeitnehmerfreizügigkeit auch für Rumänen und Bulgaren gilt, nicht mehr bereit, weil sie nun darauf setzen, hier leichter Arbeit zu finden. Die Drohung mit dem Jugendamt verschlimmert nach Erfahrungen von Sozialarbeitern eher die Lage der Kinder. "Dann sind die Kinder eben offiziell nicht mehr da", sagt Norbert Huber, Sprecher des Bündnisses "München sozial": "Man drängt sie so in die Illegalität."
Ihre Lage ist auch mit Kälteschutz nicht einfach, denn tagsüber dürfen sie nicht in den Notquartieren bleiben. Bislang finden sie zum Beispiel im Spielbereich von Schnellrestaurants Zuflucht.
Für Mütter mit ihren Kindern und Schwangere soll es vom nächsten Jahr an aber ein Tagesangebot geben. Das Evangelische Hilfswerk wird sie in den Räumen des "Hauses der Familie" von Treffam im Westend an allen Tagen der Woche betreuen. München müsse "trotz stetig gestiegener Armutszuwanderung seinem Image als Weltstadt mit Herz treu bleiben", fordert Huber. "Auch im Winter reicht es nicht, sich allein darauf zu beschränken, dass kein Mensch erfriert." Gerade für Familien mit Kindern müssten geeignete Einrichtungen bereits deutlich vor Erreichen der Null-Grad-Grenze zur Verfügung stehen.