Schwabinger Bohème:Wenn wir Dandys erwachen

In seinen Tagebuchaufzeichnungen von 1896 bis 1918 berichtet Oscar A. H. Schmitz aus seinem Leben in der Schwabinger Bohème.

Jens Malte Fischer

"Ein Mann, der in einem schlechten Feuilleton nie seine gute Erziehung vergisst" - so charakterisierte Karl Kraus nebenbei Oscar A. H. Schmitz, und für Thomas Mann, mit dem er gelegentlich in München zusammensaß, war er ein "sympatischer, hell und bewegt redender, gescheiter Mensch".

Schwabinger Bohème: Lebte in der Schwabinger Bohème: Oscar A. H. Schmitz .

Lebte in der Schwabinger Bohème: Oscar A. H. Schmitz .

(Foto: Foto: DLA Marbach)

Sympathisch, das muss er gewesen sein, denn auch der Jugendfreund Karl Wolfskehl, mit dem er für einige Zeit um 1900 die Erfahrung der Schwabinger Boheme teilte, erinnerte sich noch als alter Mann im neuseeländischen Exil daran, dass Schmitz "bei allem angenommenen Sarkasmus eine Seele von einem Menschen" war.

Schmitz, aus großbürgerlicher Familie stammend und dem schnöden Gelderwerb nicht dringend verpflichtet, war einmal ein weithin bekannter Autor kulturkritischer Bücher: "Das Land ohne Musik" eine vehemente England-Kritik, wurde vor dem Ersten Weltkrieg viel zitiert, ein "Brevier für Weltleute" gerne von jenen mitgeführt, die sich für solche hielten. Nach 1918 trat dann der Reiseschriftsteller Schmitz in den Vordergrund.

Nun ist Wolfgang Martynkewicz, der eigentlich auf den Spuren Georg Groddecks war, der Fund der im Marbacher Archiv liegenden Tagebücher gelungen, die von 1896 bis 1918 reichen. In drei Bänden liegen sie nun in einer schön ausgestatteten Ausgabe des Aufbau-Verlags vor, vom Herausgeber ausgiebig und hilfreich kommentiert. Bis Anfang 1916 sind die Aufzeichnungen komplett wiedergegeben, für die letzten beiden Jahre wurden Exzerpte und fragmentarische Notizen weggelassen.

Welch eine Fülle von Gestalten hat in dem Leben des Oscar A. H. Schmitz Platz gehabt: Stefan George und Karl Wolfskehl, Franziska zu Reventlow und Ludwig Klages, Georg Simmel und Gustav Meyrink, Thomas Mann und Hugo von Hofmannsthal, Alfred Kubin, der sein Schwager wurde, Egon Friedell, Peter Altenberg, Alfred Polgar und Hermann Graf Keyserling und schließlich in seiner letzten Lebensphase, als vor allem die Psychoanalyse ihn interessierte (als Patienten wie als kritischen Beobachter), Karl Abraham, Alfred Adler, C. G. Jung und, wenn auch nur flüchtig, Sigmund Freud.

Im ersten Band stehen die Münchner Zeit und ein längerer Parisaufenthalt neben zahlreichen Reisen im Vordergrund, im zweiten wird die Reiseexistenz von Schmitz noch ruheloser: München, Berlin, Sizilien, Vorderer Orient, Nordafrika. Im dritten Band tritt das ruhelose äußere Leben zurück gegenüber den versuchten Krisenbewältigungen und der Sinnsuche: Psychoanalyse, Astrologie und Mystik sind die wichtigsten Themen der Aufzeichnungen. Wer von all dem einen farbigen Abglanz erwartet, wird, das muss ohne Bemäntelung gesagt werden, leicht enttäuscht werden.

Beschäftigt man sich näher mit der Münchner Boheme um 1900, vor allem mit der um die Zentralsonne George kreisenden "Kosmiker"-Runde mit Wolfskehl, Klages und Alfred Schuler, dann kommt man um drei "Quellen"-Bücher nicht herum: um Franziska zu Reventlows Schlüsselroman "Herrn Dames Aufzeichnungen" und um jenen Teil von Schmitz' autobiographischer Trilogie, der "Dämon Welt" heißt, sowie um seinen einschlägigen, ebenfalls autobiographischen Roman "Wenn wir Frauen erwachen", der später in "Bürgerliche Boheme" umbenannt wurde.

Gemessen daran bleiben die Tagebücher aus jenen Jahren an der Oberfläche der Erscheinungen haften, gewinnen vor allem die weniger erotischen als vielmehr sexuellen Eskapaden des Autors einen Stellenwert, der für den erlebenden Schriftsteller, der ein Büchlein über "Don Juan, Casanova und andere erotische Charaktere" schrieb, von Bedeutung gewesen sein mag (er wäre wohl gerne in diesem Bunde der Dritte gewesen), für den Leser jedoch eher einen Eindruck von Ödnis hinterlässt.

Wenn wir Dandys erwachen

Bedeutend gesündere Frauen

Dass die vielen Münchner "Malweiber" und Pariser Grisetten, die hier paradieren, keine Gesichter haben, ebensowenig wie die prominenteren Freunde und Bekannten, mag noch hingehen, dass aber nahezu jeder Funke von Selbsterforschung, gar von Selbstironie fehlt, mindert den Eindruck der Lektüre.

Man vergleiche nur einmal die Tagebücher des älteren Frank Wedekind, vor allem aus seiner Pariser Zeit, der nur wenige Jahre vor Schmitz in dieser Stadt war, mit zum Teil dem gleichen Personal der deutschen Kolonie dort und ähnlichen Erfahrungen in jenen Häusern, die den so schönen Namen "maisons de tolérance" trugen, um zu ermessen, was bei Schmitz so empfindlich fehlt.

Nicht viel besser wird es, wenn es um seine intellektuellen und künstlerischen Erlebnisse geht: "Ich spiele viel Mozart. Er ist der größte aller Musiker. Bei ihm ist das Apollinische nur Gefäß des Dionysischen. Er ist die höchste Erfüllung des rein Musikalischen." Und der Mann, der so viele Länder und Städte gesehen hat, was hat er uns über Deutschland und das italienische Brescia zu sagen? "Das aufstrebende Deutschland ist darum weniger dekadent als Frankreich, weil seine Frauen noch bedeutend gesünder sind.

Neulich einen Tag in Brescia gewesen. Eine lebendige, sehr italienische Stadt." Auch die prominenten Namen, die seinen Weg kreuzen, bleiben schemenhaft: "Um ½7 bei Hofmannsthal im Hôtel. Er warnt mich vor Landsberger." Das war es auch schon. Schmitz präsentiert sich hier als geistiger An- und Abschmecker, als die deutsche Version der Dandys und Snobs vom Typus Robert de Montesquiou oder Oscar Wilde, und wir würden ihm einiges verzeihen, wenn auch nur ein mokanter Aphorismus vom Niveau Wildes im Geröll der Notizen auftauchen würde, aber wir warten vergebens.

Oscar A.H. Schmitz erscheint zumindest in seinen Aufzeichnungen nicht unbedingt so vorteilhaft, wie ihn Thomas Mann und Wolfskehl empfanden. Der Frauenverbraucher hatte deutlich misogyne Züge, der mütterlicherseits jüdisch konnotierte Lebemann war nicht frei von antijüdischen Affekten, ragt aber in dieser Hinsicht keineswegs über den Durchschnitt seiner Zeit hinaus.

Die Tagebücher, die nun vorliegen, sind von ihrem Verfasser offensichtlich mehr oder weniger deutlich nachträglich redigiert. Der dritte Band ist in seiner schonungslosen Selbstkritik sicher der aufschlussreichste, nur, dass manches hier wiederum so privat verschlüsselt wird, dass es sich trotz der peniblen Anmerkungen des Herausgebers dem Leser nur partiell erschließt.

Dennoch bietet dieser letzte Band faszinierende Notizen, so zu Schmitz' schließlich erfolgreichem Bemühen, sich dem Kriegsdienst zu entziehen. Ein Simulant war er nicht, aber der Komplex "Militär" destruierte sein fragiles seelisches Gleichgewicht. Aufregend zu lesen sind die in Zwischentexten des Herausgebers präsentierten Ausschnitte aus Briefen an Alfred Kubin, deren Veröffentlichung sich wohl lohnen würde.

Diese und die genannten autobiographischen Bücher, die schon lange vergriffen sind, könnten den Nachruhm dieses aufmerksamen Zeitbeobachters und vielseitigen Autors wahrscheinlich noch nachdrücklicher befördern.

Oscar A. H. Schmitz: Tagebücher. Band 1. Das wilde Leben der Boheme. 1896-1906. Band 2: Ein Dandy auf Reisen. 1907-1912. Band 3: Durch das Land der Dämonen. 1912-1918. Herausgegeben von Wolfgang Martynkewicz. Aufbau-Verlag, Berlin 2006 und 2007. Zus. 1494 Seiten, je Band 58 Euro.

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