Süddeutsche Zeitung

Schwabing-West:Auch der andere könnte recht haben

Die neue Bezirksausschuss-Vorsitzende Gesa Tiedemann (Grüne) will einen kooperativen Stil pflegen - wie ihr Vorgänger

Von Thomas Kronewiter, Schwabing-West

Wer das Ausmaß der politischen Umwälzung im westlichen Schwabing begreifen will, braucht an diesem Mittwochabend bloß auf die Namenstäfelchen im Festsaal des Alten Rathauses zu blicken. Nahezu die ganze linke Hälfte des großzügigen Saals unter dem Tonnengewölbe besetzen die Grünen, in der Mitte sitzen die Vertreter von FDP, der Linken, von SPD und ÖDP/FW dicht gedrängt, die CSU findet sich, räumlich gesprochen, am äußersten rechten Rand wieder. Gesa Tiedemann, deren Grüne so viele Politiker stellen wie CSU und SPD zusammen, nämlich zwölf, wählen die Anwesenden für die nächsten sechs Jahre zu ihrer Vorsitzenden, bei 25 Ja- und nur zwei ungültigen Stimmen. Einen Gegenkandidaten gibt es nicht, ebenso wenig wie bei den übrigen Wahlen des Abends. Denn so konsensorientiert wie es im westlichen Schwabing seit Jahrzehnten gehalten wird, läuft die Ämtervergabe des Bezirksausschusses einmal mehr ab, einvernehmlich und streng nach den Mehrheitsverhältnissen.

Den engeren Vorstand komplettieren zwei weitere Frauen: Ingrid Sufi-Siavach (SPD) als erste, Christine Müller von der CSU als zweite Stellvertreterin, nahezu einstimmig gewählt. Thomas Rock (SPD) wird Kassier, auf Beisitzer verzichtet das Gremium, das seine Vorstandssitzungen unter Corona-Bedingungen bis zur Sommerpause nur mehr mit den Fraktionssprechern und nicht auch noch den Unterausschuss-Vorsitzenden abhalten will - um die Zahl überschaubar zu halten.

Tiedemann, die in der fast 36 Jahre währende Ära des Vorsitzenden Walter Klein (SPD) zuletzt schon Stellvertreterin war, übernimmt die weitere Sitzungsleitung mit großer Ruhe und Besonnenheit - wenngleich noch nicht ganz sattelfest bis in die letzten Verästelungen der Geschäftsordnung. "Muss ich das jetzt zählen?", fragt sie bei einer der später folgenden offenen Abstimmungen kurz nach rechts, in Richtung Geschäftsstelle. Oder: "Reicht das jetzt als Vorsprache?"

Die neue Chefin hat vor ihrer Wahl ihre Schwerpunkte für die kommenden sechs Jahre kurz skizziert. Bezahlbaren Wohnraum will sie ebenso erhalten wie Grünflächen im dicht bebauten westlichen Schwabing, Plätze wie den Elisabethplatz ansprechend gestalten, ebenso das neue Schwabinger Krankenhaus und das Kreativfeld. "Wem gehört eigentlich der öffentliche Raum", fragt sie und definiert das als eines ihrer sehr persönlichen Anliegen. Die gelernte Lehrerin, die aber schon seit Längerem als Geschäftsführerin der Petra-Kelly-Stiftung in der politischen Bildung tätig ist, bekennt sich ausdrücklich zu einer kollektiven Zusammenarbeit im Bezirksausschuss. "Ich kann zuhören und ich kann mich zuwenden, und ich räume immer auch die Möglichkeit ein, dass der andere recht haben könnte."

Zwei der vier neu formierten Unterausschüsse dürfen die Grünen besetzen, einen die SPD, einen die CSU. Dass sich Stefanie Netter (Grüne) als Leiterin von "Ökologie, Klimaschutz und öffentlicher Raum" durchsetzt, dient der Kontinuität und ist keine Überraschung, eher schon die neue Vorsitzende von "Mobilität und Verkehr", die frisch gewählte Undine Schmidt. Die Grüne ist als Studentin an der Technischen Universität sozusagen vom Fach. Markus Meiler von der CSU übernimmt "Bauen, Wohnen, Wirtschaft", Ingrid Neumann-Micklich (SPD) ist die neue Chefin von "Soziales, Bildung und Kultur".

FDP-Vertreter Moritz Ostwald sorgt für den einzigen Missklang des Abends, als er die Korrektheit ihres Berufsbegriffs "Altenpflegerin" und damit Neumann-Micklichs Wahl zur Unterausschuss-Vorsitzenden in Frage stellt. Das finden nicht nur die so Attackierte, sondern offenkundig auch andere Gremiumsmitglieder "beschämend", wie die spontanen Reaktionen und das anschließende Stimmverhalten pro Neumann-Micklich zeigen.

Dass Einzelkämpferin Maria Müller (FW/ÖDP) überhaupt in einen Unterausschuss einziehen darf, verdankt sie einer großzügigen Geste der Linken, die dafür einen Platz abgibt. Die einzige Debatte des Abends löst der Beschluss aus, die Juni- und die Juli-Sitzung als verkleinerter Sonderausschuss abzuhalten. Theo Glauch (Linke) und Ani-Ruth Lugani (FDP) plädieren angesichts vieler neuer Mitglieder dafür, der Suche nach geeigneten Räumen Priorität einzuräumen, um als Plenum tagen zu können. Die Mehrheit sieht es anders und will angesichts der Corona-Pandemie, wie es Markus Meiler formuliert, "verantwortungsvoll mit der Situation umgehen".

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SZ vom 15.05.2020
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