Süddeutsche Zeitung

Schwabing:Offene Ohren

Schwabings Lokalpolitiker stehen hinter dem Wunsch aus dem Gisela-Gymnasium, die modellhafte Hörgeschädigten-Pädagogik auszubauen. Aus der Schulfamilie kommen konkrete Standortvorschläge

Von Ellen Draxel, Schwabing

So schnell geben die Schwabinger nicht auf. Das Ziel, am Gisela-Gymnasium Kinder und Jugendliche mit einer Hörschädigung bereits von der fünften Klasse an unterrichten zu können - und nicht, wie jetzt, erst von der Oberstufe an - eint Lehrer und Lokalpolitiker. Seit im Juli überraschend das Nein zu einer Erweiterung der Schule auf dem ehemaligen Stadtwerke-Areal nebenan kam, gibt es Überlegungen zu Alternativen. Die Lehrer könnten sich eine Aufstockung der Zweifach-Turnhalle des Gymnasiums vorstellen. "Wenn man auf die Sporthalle drei Stockwerke oben draufsetzt, hätten wir Platz für mindestens sechs zusätzliche Inklusionsräume", sagt Direktorin Marianne Achatz.

Der Westschwabinger Bezirksausschuss sieht noch eine andere Möglichkeit. Falls, wie die Bürgervertreter erfahren haben wollen, die Berufsschule für Kraftfahrzeugtechnik am Elisabethplatz 4 in einigen Jahren nach Feldmoching verlegt wird, "ergäbe sich die Gelegenheit, Räume für Inklusionsklassen direkt nebenan zu schaffen". Für diesen Fall sei "der Bau einer Halle im Hof zu überprüfen", heißt es in einem jetzt einstimmig verabschiedeten Antrag der Lokalpolitiker an die Stadt. Die Berufsschule ist der direkte Nachbar des Gymnasiums, einzig die Agnesstraße trennt die beiden Komplexe voneinander.

Das Gymnasium an der Arcisstraße leidet seit Jahren unter akuter Raumnot. Ausgelegt ist das Gebäude für 800 Schüler, unterrichtet werden dort aber inzwischen mehr als 1000. Die Besonderheit der Schule aber sind ihre Inklusionsklassen. Lange, bevor die Idee der Inklusion zu einem zentralen Ziel im Bildungswesen wurde, stellte sich das Gisela-Gymnasium der Herausforderung: 1984 nahm die Schule erstmals vier hörbehinderte Jugendliche in Regelklassen der Oberstufe auf. Mehr als 30 Jahre ist das inzwischen her - 150 Schüler, die sich mit dem Hören schwerer tun als ihre Klassenkameraden, haben hier mittlerweile ihre Hochschulreife erlangt.

"Das ist ein Meilenstein in der Hörgeschädigten-Pädagogik unseres Landes", betont Eva Straub-Kölcze. Sie weiß, wovon sie spricht: Seit 15 Jahren unterrichtet sie Deutsch, Religion und Philosophie am Gisela-Gymnasium, und nur, weil es diese Schule gibt, traute sie sich überhaupt an ein Referendariat heran. Denn Straub-Kölcze ist selbst schwerhörig. "Die Existenz des Gisela-Gymnasiums hat bei mir ungeahnte Kräfte mobilisiert."

Die Weiterentwicklung dieses bundesweit immer noch einzigartigen Erfolgsmodells hält die Lehrerin für längst "überfällig". Es brauche "viel pädagogisches Geschick, Kreativität, eine passende technische Ausstattung und vor allem viel Zeit und Geduld, um hörgeschädigte Heranwachsende zu intellektuell aktiv gestaltenden und selbständig agierenden Persönlichkeiten heranzubilden". An der Arcisstraße sei all das vorhanden: "Hier ist das Know-How, hier gibt es derzeit gleich zwei Lehrkräfte, die selbst hörgeschädigt sind, hier ist bei den gut hörenden Mitschülern und auch unter den gut hörenden Kollegen bereits Verständnis gereift." Eine solche Chance nicht zu nutzen, hält die Pädagogin für "ein nicht wieder gut zu machendes Versäumnis". Derzeit müssen Kinder, die schwerhörig sind, noch an der Pasinger Samuel-Heinicke-Realschule die Mittlere Reife ablegen, bevor sie ans Gisela-Gymnasium wechseln können.

Mindestens fünf Klassenzimmer à 45 Quadratmeter würde die Schule für die Realisierung eines eigenen Zweigs mit gemischten Klassen für hörgeschädigte und gesunde Kinder und Jugendliche von der fünften Jahrgangsstufe an benötigen. Inklusionsklassen sind kleiner als klassische Schulklassen: Etwa 15 Schüler sitzen im Halbkreis, so können die Jugendlichen einander immer von den Lippen ablesen.

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SZ vom 07.10.2015
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