Schwabing:Mit Klötzchen zum Erfolg

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Neuer Baustein: Die Leiterin des Schwabinger Duden-Instituts, Diana Lucas, und Geschäftsführer Gerd-Dietrich Schmidt bei der Eröffnung der Dependance; solche Lerntherapie-Einrichtungen sind in München dünn gesät. (Foto: Stephan Rumpf)

Kinder mit Lese-, Rechtschreib- oder Rechenschwäche benötigen spezielle Hilfe, um ihr Potenzial auszuschöpfen. Das neu eröffnete Duden-Institut für Lerntherapie kann das leisten, was in der Schule oft nicht möglich ist

Von Stefan Mühleisen, Schwabing

Nach dem Scheitern kommt die Scham, gefolgt von Selbstzweifeln - oder sogar Depressionen. Kinder mit Lernstörungen können mitunter in einen Strudel von psychosozialen Belastungen geraten, es ist ein Teufelskreis: Sie leiden an Lese-/Rechtschreib- oder Rechenschwäche (Legasthenie oder Dyskalkulie), wovon die Eltern zunächst nichts ahnen. Sie pauken mit ihrem Kind das Einmaleins, üben das Schreiben - doch das fruchtet nicht. Das Kind hält sich für dumm, völlig zu Unrecht. Denn es bräuchte wohl nur professionelle Anleitung - doch die Anlaufstellen in München sind rar. "Der Bedarf übersteigt das Angebot, die Wartelisten bei den Jugendpsychologen sind lang", sagt Wolfgang Fladerer, Leiter des Lion-Feuchtwanger-Gymnasiums.

Er steht am Dienstagvormittag an einem kleinen Buffet, das im Erdgeschoss des Rückgebäudes an der Jakob-Klar-Straße 4 in Schwabing-West aufgebaut wurde. Die erste Münchner Dependance des Duden-Instituts für Lerntherapie feiert Eröffnung; und der Schulleiter ist gekommen, um sich die neue Einrichtung anzuschauen. "So eine spezielle Förderung können wir an der Schule nicht leisten", sagt er.

Das kann kaum eine städtische oder auch staatliche Schule in München. Oft, wie auch am Lion-Feuchtwanger-Gymnasium, gibt es zwar Schulpsychologen, die ein geschultes Auge für die Lernstörungs-Symptome haben - doch für eine therapeutische Begleitung fehlt das ausgebildete Personal. Fladerer und Kollegen bleibt oft nur, den Eltern eine private Einrichtung anzuempfehlen - und die sind in München noch dünn gesät. Die gemeinnützige Legakids-Stiftung, ein Projekt zur Lese-, Schreib- und Rechenförderung, listet nur insgesamt ein knappes Dutzend psychologische Praxen und Lernstudios auf. Das Referat für Bildung und Sport will zu dem Mangel keine Einschätzung abgeben. Doch Diana Lucas ist sich sicher: "In jeder Klasse sitzen zwei bis drei Kinder mit einer Lernstörung."

Sie ist die Leiterin vom neuen Münchner Ableger des Duden-Instituts, einer der bekanntesten Anbieter auf dem Therapiemarkt; die Organisation lässt nach dem Franchise-Prinzip seit 25 Jahren deutschlandweit Dependancen betreiben, inzwischen sind es gut 70 mit derzeit 3500 Klienten. Das Konzept stemmt sich von Beginn an gegen das Vorurteil, Legastheniker seien schlicht dumm; vielmehr ist es so: Lernschwächen in Mathematik oder Deutsch haben in den seltensten Fällen etwas mit Intelligenz zu tun. Es sind meist "Teilleistungsstörungen": Die Kinder können gut rechnen, haben aber Probleme mit Lesen und Rechtschreiben oder umgekehrt. "Das sind Entwicklungsverzögerungen von bestimmten Fähigkeiten. Doch die Entwicklung kann man fördern", sagt Lucas.

Schätzungen zufolge sind fünf Prozent aller Schüler von einer Legasthenie betroffen, ein Prozent sollen an Dyskalkulie leiden. Der Bundesverband Legasthenie und Dyskalkulie glaubt, dass bis zu acht Prozent der Schüler allein an einer Lesestörung leiden. Eine Studie der Duden-Institute hatte vor zwei Jahren Ergebnisse aus der Therapiepraxis ausgewertet. Demnach haben 70 Prozent der Betroffenen mit psychosozialen Belastungen zu kämpfen, die sich aus ihrer Lernstörung ergeben. Abhilfe kann eine individuelle Förderung schaffen. "Die mittlere Verweildauer der Schüler an unseren Instituten sind etwa anderthalb Jahre", sagt der Deutschland-Geschäftsführer der Duden-Institute, Gerd-Dietrich Schmidt.

Auch er ist zur Eröffnung der Schwabinger Filiale gekommen. Er führt durch die Räume, in denen nun zehn Therapeuten in Einzelsitzungen bis zu 60 Betroffene behandeln können. Auf einem Tisch liegen allerlei Lernmaterialien, bunte Karten, Würfel, kleine Klötzchen. Diese Klötzchen sind ein einfaches, aber probates Hilfsmittel, um Kindern mit Dyskalkulie eine - ihnen bisher fehlende - Vorstellung von Zahlen zu vermitteln. Nachdem eine Diagnose gestellt wurde, können zwar viele Betroffene durch den gesetzlich garantierten "Nachteilsausgleich", etwa mehr Zeit für Klassenarbeiten, entlastet werden. Doch ihre Lernschwäche überwinden Kinder und Jugendliche zumeist nur durch eine spezifische Therapie. "Wir sind oft die letzte Station nach dem Förderunterricht", sagt Lucas.

Eine Station, die viele Eltern allerdings selbst bezahlen müssen. Nach Erfahrungen von Geschäftsführer Schmidt tragen mehr als 60 Prozent der Klienten die Kosten selbst. Die Krankenkassen springen hier nicht ein. Und nach dem Sozialgesetzbuch besteht Anspruch auf Finanzhilfe vom Jugendamt nur, wenn die seelische Gesundheit und daher die "Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist". Dies muss durch ein ärztliches Gutachten belegt werden. Das bedeutet: Die öffentliche Hand springt erst dann ein, wenn der Teufelskreis von Scheitern und Scham bereits eingesetzt hat. "Man müsste das Gesetz ändern, viel früher Hilfen anbieten - und nicht erst warten, bis die Symptome auftreten", sagt Schmidt.

© SZ vom 31.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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