Schwabing/Milbertshofen:Hindernis-Lauf

Schwabing/Milbertshofen: Orientierungslos im Behörden-Dschungel: Das sind viele Neuankömmlinge.

Orientierungslos im Behörden-Dschungel: Das sind viele Neuankömmlinge.

(Foto: Stephan Rumpf)

Der "Lotsendienst Pontis", der Migranten bei Behörden unterstützt, soll nach Schwabing-Freimann ausgeweitet werden und braucht Geld. Im Rathaus regt sich Widerstand - man befürchtet Begehrlichkeiten an anderer Stelle

Von Stefan Mühleisen, Schwabing/Milbertshofen

Ob es um Arbeitslosen-, Eltern- oder Wohngeld geht - die Sozialbehörde verlangt vom Antragsteller ein penibel ausgefülltes Formular. Doch vor allem Migranten haben oft ihre Not mit der Bürokratie. Für Betroffene im Münchner Norden gibt es von der Diakonie Hasenbergl dazu kostenlose Unterstützung: "Lotsendienst Pontis" nennt sich das Projekt. Das würde die Diakonie jetzt gerne dauerhaft auch im Stadtbezirk Schwabing-Freimann etablieren. Der Sozialverein, das Sozialreferat und auch das zuständige Sozialbürgerhaus sehen das als nötig an - doch die Rathauspolitik zögert.

Sowohl SPD als auch CSU vermuten: Wird die Förderung von gut 100 000 Euro gewährt, könnte dies in allen anderen Stadtbezirken als Signal gewertet werden, ein ähnliches Projekt im Sinne der Gleichbehandlung einzufordern. Doch das wirft Fragen nach der Finanzierung auf. Von "einer grundsätzlichen Frage" spricht der sozialpolitische Sprecher der CSU-Stadtratsfraktion, Marian Offman - und das nicht nur wegen der Haushaltslage. Er lässt auch anklingen, dass diese Art der Beratung wohl Aufgabe aller Sozialbürgerhäuser sei. Sein Fachkollege von der SPD-Fraktion, Christian Müller, sagt: "Es müssen alle Menschen in der Stadt die gleiche Chance haben auf Beratung für ihre Leistungen."

Das "Lotsenprojekt Pontis" hat die Diakonie Hasenbergl in den vergangenen acht Jahren in den Stadtteilen Hasenbergl, Harthof und Am Hart aufgebaut; es gibt drei Standorte, für die Geld aus der Regelförderung der Stadt fließt. Das Grundmodell: Migranten sollen qua Sprach- und Kulturkompetenz andere Migranten als Geringbeschäftigte, Ein-Euro-Jobber, beim Kontakt mit Ämtern helfen. Oft sind die "Lotsen" selbst arbeitssuchend und sollen durch diese Tätigkeit an den Arbeitsmarkt herangeführt werden. "Es ist eine Erfolgsgeschichte", sagt der Bereichsleiter der Diakonie Hasenbergl, Stefan Fröba. Von anfangs 900 betreuten Menschen ist der Beratungsbedarf auf aktuell 2400 Kundenkontakte im Jahr angestiegen.

Das erfolgreiche Projekt blieb im Nachbarstadtbezirk nicht unbemerkt; 2015 fragte die Nachbarschaftseinrichtung Heidetreff, betrieben vom Kinderschutz München, an, ob eine Kooperation möglich sei. "Wir haben eine Minimalfinanzierung über Spenden zusammengekratzt", sagt Fröba; seitdem werden Lotsen auch in Freimann eingesetzt. Fröba sieht Potenzial für sieben Lotsen sowie eine halbe hauptamtliche Stelle. Mit Raummiete und Ausstattung hat er nun bei der Stadt 100 000 Euro dafür beantragt. "Wir erkennen, dass es dringenden Handlungsbedarf gibt", sagt Fröba und fügt hinzu, dass die Zusammenarbeit mit Sozialbürgerhaus und Jobcenter sehr gut funktioniert.

Das kann die Leiterin des Sozialbürgerhauses Schwabing-Freimann, Gertrud Reiter-Frick, bestätigen: "Das Lotsenprojekt ist eine Initiative, die wir dringend brauchen." Es gebe im Stadtbezirk sehr viele Menschen, die diese Art von niederschwelliger Beratung benötigten. Und von den Mitarbeitern des Sozialbürgerhauses sei dieses Angebot "bei der hohen Zahl von Migranten nicht ohne Weiteres zu leisten. Das Lotsenprojekt würde uns sehr unterstützen". Die übergeordnete Behörde, das Sozialreferat, schätzt das ebenso ein. "Das Projekt findet auf einer niederschwelligen Ebene den Zugang zu den Menschen. In dieser Intensität können die Sozialbürgerhäuser das nicht leisten", sagt Behördensprecher Ottmar Schader. Das Lotsenprojekt habe sich sehr bewährt, "deshalb erachten wir einen zusätzlichen Standort als sinnvoll". Der Behördensprecher weist darauf hin, dass die Politik das zu entscheiden habe. Zuschussfragen im sozialen Bereich für das Haushaltsjahr 2017 behandelt der Stadtrat am 22.

November. Ob die Appelle im Rathaus fruchten, ist indes fraglich. Die Sozialpolitiker der Koalition lassen durchblicken, dass sie den Service durchaus bei den Sozialbürgerhäusern sehen - und nicht bei einem freien Träger. "Die Verwaltung muss in der Lage sein, die Menschen so zu beraten, dass sie sich orientieren können", sagt CSU-Politiker Offman. Er betont, wie wichtig das bestehende Lotsenprojekt sei. Dieses soll auch erhalten bleiben: "Doch angesichts der Haushaltslage gibt es eine gewisse Skepsis."

Sein SPD-Kollege Christian Müller wird deutlicher: "Es könnte der Ruf aus den anderen Stadtbezirken nach einer solchen Leistung kommen. Wir können dieses Solitärprojekt aber nicht automatisch auf alle Stadtviertel übertragen." Wie Offman, so verweist auch Müller auf einen sorgsamen Umgang mit dem Etat. "Wir müssen grundsätzlich diskutieren über die Leistungsverteilung der Sozialbürgerhäuser und wie die Dienstleistungen dort in Anspruch genommen werden." Bei der Diakonie mahnt Stefan Fröba unterdessen zur Eile: "Wir und auch die Menschen vor Ort können nicht darauf warten, bis eine Anpassung der Behördenstellen passiert ist. Wir brauchen schnell eine Lösung."

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