Süddeutsche Zeitung

Schwabing:Kulturhistorisch unbedeutend

Der Abriss des Hauses an der Leopoldstraße, in dem Heinrich Mann 14 Jahre lang wohnte, steht kurz vor der Genehmigung

Von Alfred Dürr, Schwabing

Der Abriss und Neubau des Wohn- und Geschäftshausemit Tiefgarage an der Leopoldstraße 59-61 steht wohl kurz bevor. "Die Prüfung des Bauantrags ist weit fortgeschritten", heißt es aus dem städtischen Planungsreferat. Dass an der boulevardähnlichen Flanier-Einkaufsmeile Schwabings gleich westlich der Münchner Freiheit ein moderner Komplex entsteht, ist an sich kein spektakulärer Vorgang. In den vergangenen Jahrzehnten hat sich hier baulich viel verändert, und die Planungen für weitere Neubauten sind noch längst nicht abgeschlossen. Doch an dem aktuellen Fall hatte sich besonders heftiger Bürgerprotest entzündet.

Vor allem die Initiative Altstadtfreunde München sah ein kulturhistorisch wertvolles Gebäude in Gefahr. Bevor der Komplex im Zweiten Weltkrieg schwer zerstört und später wieder aufgebaut worden war, wohnte der Schriftsteller Heinrich Mann 14 Jahre lang in dem 1894 errichteten Gebäude. Zahlreiche bedeutende Persönlichkeiten haben sich hier aufgehalten, darunter auch Mitglieder der Widerstandsgruppe Weiße Rose. Das "Heinrich-Mann-Haus" müsse in Erinnerung an diese besondere Vergangenheit unter Denkmalschutzgestellt und erhalten werden, forderte die Initiative.

Eigentümer des Hauses ist der Wittelsbacher Ausgleichsfonds (WAF), der das aus Ländereien, Immobilien und Kunstsammlungen bestehende Vermögen der Wittelsbacher-Dynastie verwaltet. Mitte 2015 waren erste Ideen bekannt geworden, den in die Jahre gekommenen Komplex abzubrechen. An ihm sei nicht mehr viel Originales vorhanden, hieß es. Zahlreiche Umbauten und Veränderungen hätten stattgefunden. Der WAF müsse für die Zukunft planen.

Relativ schnell war auch klar, dass das "Heinrich-Mann-Haus" nicht als Einzeldenkmal ausgewiesen werden kann. Die historische Bedeutung sei nach den vielen baulichen Eingriffen und zum Beispiel auch Grundriss-Veränderungen "nicht mehr ablesbar", stellte das Landesamt für Denkmalpflege fest. Die einstige Wohnung des Schriftstellers existiert nicht mehr. Allerdings spielt nun eine andere Frage eine Rolle. Im Zug des Baugenehmigungsverfahrens muss auch geprüft werden, wie sich ein neuer Komplex in das Denkmal-Ensemble Nordschwabing einfügt. Die bestehende Fassade des Hauses hatte einen prägenden Einfluss auf das Erscheinungsbild der Leopoldstraße und kann also nicht ohne weiteres durch eine völlig andere Gestaltung ersetzt werden. Das Genehmigungsverfahren hat sich so lange hingezogen, weil immer wieder Veränderungen und Anpassungen am Entwurf für den Neubau erfolgten.

"Wir nehmen beim neuen Haus Stilelemente des Vorgängerbaus auf", sagt Alfred Herrmann, der Immobilienchef des WAF. Der Neubau werde einen besonderen Akzent an der Leopoldstraße setzen: "Von einer beliebigen Einheitsarchitektur an dieser Stelle sind wir weit entfernt."

Herrmann verweist außerdem darauf, dass im Neubau deutlich mehr Mietwohnungen entstehen werden. Die Zahl der Einheiten soll sich von bisher acht auf 16 verdoppeln. Die bisherigen Mieter könnten in andere Objekte des WAF umziehen. Darüber werde gerade verhandelt. "Wir machen keinen Druck", sagt Herrmann, "ein Schritt nach dem anderen, dann können wir mit dem Neubau loslegen."

Im Bezirksausschuss (BA) herrscht alles andere als Vorfreude auf dieses Projekt. "Es ist bedauerlich, dass das historisch bedeutsame Haus verschwindet", sagt der BA-Vorsitzende Patric Wolf (CSU). Das Gremium habe dem Vorhaben nur zähneknirschend mehrheitlich zugestimmt. Neben der geschichtlichen Dimension gehe es auch um Nachhaltigkeit. Wolf fragt: "Das Haus funktioniert, muss man es dann abreißen?"

"Wir schaffen deutlich mehr Mietwohnungen als bisher an einer besonderen Lage. Das sollte die Stadt zügig genehmigen", sagt Alfred Herrmann. An der Fassade des Neubaus werde auf jeden Fall eine Tafel angebracht, die auf die besondere Vergangenheit des Hauses 59-61 an der Leopoldstraße hinweist.

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SZ vom 27.07.2021
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