Schwabing:Klasse kreiert

Berufsschülerinnen der Fachakademie für Ernährungs- und Versorgungsmanagement gründen in einem Planspiel ein Start-up, das Brotzeittaschen produziert und verkauft - womöglich entsteht daraus eine reale Firma

Von Irini Bafas, Schwabing

Mariangela Santoro arbeitet für 30 Cent pro Stunde, zahlt Abgaben und sagt: "Ich könnte mir schon vorstellen, hier in Zukunft zu bleiben." Konzentriert führt sie die Enden eines weißen Stoffteils zusammen, das kaum größer ist als ein Fünfcentstück. Wenn sie den winzigen Stoff auf die Stichplatte der Nähmaschine legt, muss sie aufpassen, dass die Nadel nicht ihren Zeigefinger trifft. Die Spitze bohrt sich rhythmisch ins Material, immer und immer wieder. Die 20-Jährige ist Mitarbeiterin der Firma Re Däsch, einer so genannten Juniorfirma.

Berufsschülerinnen der Fachakademie für Ernährungs- und Versorgungsmanagement in Schwabing haben im vergangenen Herbst eine Art Start-up gegründet, das Brotzeitsäcke herstellt. Das Re steht dabei für re-use, also wiederverwendbar, und re-pellent, also wasserabweisend. Däsch soll für die umgangssprachliche Version von Tasche stehen. Die "Brotzeitsackerl", wie sie die Berufsschülerinnen nennen, sollen leicht transportierbar und spülmaschinenfest sein.

Schwabing: Berufsschülerinnen der Fachakademie für Ernährungs- und Versorgungsmanagement produzieren und verkaufen Brotzeittaschen.

Berufsschülerinnen der Fachakademie für Ernährungs- und Versorgungsmanagement produzieren und verkaufen Brotzeittaschen.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Re Däsch ist ein Projekt im Zuge eines Unternehmensplanspiels. Entstanden ist die Idee im Unterrichtsfach Existenzgründung. In der ersten Stunde stellte Lehrerin Angelika Baumann die 15 Schülerinnen vor die Wahl: Theorie oder Praxis? Nach kurzer Diskussion fiel die Entscheidung einstimmig für die Praxisübung. Nun lernen die 20- bis 31-Jährigen am realen Beispiel, wie es ist, eine Firma zu gründen und zu führen.

Der Begriff "Juniorfirma" ist nicht beliebig gewählt. Re Däsch wird von der Firma Junior betreut, einer gemeinnützigen GmbH mit Sitz in Köln. Sie unterstützt Schüler aus ganz Deutschland dabei, für ein Schuljahr eine eigene Firma zu gründen und sie möglichst realitätsnah zu führen. Re Däsch hat somit einen Vorstand, eine Marketingabteilung, betreibt Öffentlichkeitsarbeit, macht Buchführung und produziert Waren. Mit dem Verkauf der Produkte verdient das Juniorunternehmen Geld und bezahlt seine Mitarbeiter. Der Lohn bei Re Däsch beträgt allerdings nur 30 Cent pro Stunde - so empfiehlt es die Junior GmbH.

Jeden Mittwoch funktionieren die Schülerinnen für zwei Stunden ihre Klassenzimmer zu Firmenräumen um: Während die eine Hälfte Marketingkonzepte entwirft und die Bücher führt, schneiden die anderen in einem Produktionsraum Stoffe zurecht und näht sie zu Taschen zusammen.

In Bayern gibt es in diesem Schuljahr mehr als 70 Schülerfirmen, die bei der Junior GmbH gemeldet sind. Jedes Mitglied einer Schülerfirma zahlt von seinem Lohn einen Teil an das Unternehmen, Sozialabgaben sozusagen. Wer die Abrechnung zu spät einreicht, wird ermahnt und muss Strafe zahlen. "Die sind so etwas wie unser Finanzamt", sagt Jessica Meier und lacht.

Schwabing: Re Däsch statt Plastiktüte für das tägliche Pausenbrot: Die Schülerinnen der Fachakademie sind Feuer und Flamme für ihre Geschäftsidee. Den Herstellungsprozess an der Nähmaschine haben sie dabei längst optimiert.

Re Däsch statt Plastiktüte für das tägliche Pausenbrot: Die Schülerinnen der Fachakademie sind Feuer und Flamme für ihre Geschäftsidee. Den Herstellungsprozess an der Nähmaschine haben sie dabei längst optimiert.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Die 20-Jährige ist Vorsitzende von Re Däsch. Ihre dunklen Haare hat sie zu seitlichen Zöpfen geflochten, die am Hinterkopf in einen Zopf übergehen. Sie sitzt am Tisch, neben dem Mariangela Santoro und eine Mitschülerin nähen. "Zu Beginn haben wir noch eine Stunde gebraucht, um ein Brotzeitsäckchen herzustellen", erzählt Meier und blickt auf einen Stapel fertiger Taschen. Mittlerweile dauere es nur noch 15 Minuten. "Wir haben viel zu kompliziert gedacht. Wir wollten Knöpfe und Reißverschlüsse anlegen, alles viel zu aufwendig." Jetzt ist Meier mit dem Produkt und dem Produktionsablauf zufrieden. Und ihre Kolleginnen sind es auch.

Obwohl es sich bei den Juniorfirmen eigentlich nur um Übungen handelt, bekommt man bei den Schülerinnen von Re Däsch den Eindruck, es gehe um mehr. Meier würde Re Däsch nach der Ausbildung gerne weiterentwickeln - und damit ist sie nicht allein. Auch einige ihrer Mitschülerinnen könnten sich vorstellen, aus dem Unterrichtsprojekt eines Tages eine echte Firma zu machen. Aus dem Planspiel ist ein Berufswunsch geworden, vielleicht sogar eines Tages eine Perspektive. Denn auch wenn die Junior GmbH verlangt, dass die Schüler ihre Firmen zum Ende des Schuljahres auflösen, bleibt die Geschäftsidee. "Es ist alles schon konzipiert, da stecken viel Stunden Arbeit drin. Es wäre schade, das wegzuschmeißen", sagt Jessica Meier. Ihre Kolleginnen nicken zustimmend.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: