Süddeutsche Zeitung

Schwabing:In letzter Minute

Drei Häuser an der Sailerstraße sollen in Kürze abgerissen werden, denn die Gebäude stehen trotz ihrer idyllischen Architektur nicht unter Denkmalschutz. Landtagspolitiker wollen nun den Status durch Experten prüfen lassen

Von Ellen Draxel, Schwabing

Die Fenster sind erst vergangene Woche aus dem Gebäude an der Sailerstraße 6 herausgerissen worden. Ebenso ein Geländer, das mehr als einhundert Jahre alt war - so erzählen es wenigstens die früheren Mieter Helga und Abdul Hassan, die von 1990 an im zweiten Stock des Hauses wohnten. Helga Hassan ist aufgebracht, als sie den Politikern des Bayerischen Landtags am Mittwochnachmittag von der Historie des Hauses erzählt. "In der Sailerstraße 6 wurden seinerzeit die Marmortische für die Titanic gefertigt", erklärt sie den Abgeordneten - eine Aussage, die an diesem Nachmittag nicht weiter hinterfragt wird. "Das Gebäude", unterstreicht Helga Hassan, "ist geschichtsträchtig, es muss unbedingt erhalten werden."

Genau deshalb sind die Mitglieder des Ausschusses für Wissenschaft und Kunst zum Besichtigungstermin gekommen. Sie wollen versuchen, die Schwabinger Häuserzeile an der Sailerstraße 2, 4 und 6 vor dem Abriss zu retten. Auch Vertreter der Lokalbaukommission, der Unteren Denkmalschutzbehörde, des Landesamts für Denkmalpflege, des Bezirksausschusses Schwabing-West und zahlreiche Anwohner sind da, um das noch Machbare auszuloten.

Um die Zukunft der drei Giebelhäuschen wird seit Monaten gerungen. Die Gebäude wurden 1898 errichtet, vielen gelten sie ihrer pittoresken Fassade wegen als denkmalschutzwürdig. Martin Schreck vom Verein der Altstadtfreunde nimmt einem Geschichtsbuch für Milbertshofen zufolge sogar an, "dass die Häuser zu den Kavalleriegebäuden des ehemaligen Oberwiesenfeldes zählten". Die derzeitigen Eigentümer aber wollen die Häuserzeile abreißen und neu bauen, Abrissgenehmigungen liegen bereits seit Längerem vor. Die Gebäude, argumentieren die Eigentümer, seien teils marode, eine Sanierung wäre nur Flickwerk. Und für "Liebhaberei" sei der Erhalt der Optik einfach zu teuer.

Debattiert wird nun darüber, wie der Abriss, in Kenntnis des hohen Alters der Häuschen, von der Stadt überhaupt hatte genehmigt werden können. Die Lokalbaukommission hatte die Anträge positiv beschieden, weil das Ensemble trotz seiner idyllischen Architektur nicht unter Denkmalschutz steht. Das Landesamt für Denkmalpflege, das die Denkmaleigenschaften von Bauten prüft und die Schutzwürdigkeit hätte anerkennen können, wurde erst 2016 auf die gründerzeitlichen Häuser aufmerksam - zu diesem Zeitpunkt aber waren die Genehmigungen bereits erteilt. Und einmal erlassene Verwaltungsbescheide genießen Vertrauensschutz.

"Wir haben rechtlich keine Möglichkeit, den Abbruch zu stoppen, ohne schadenersatzpflichtig zu werden", bestätigt die Mitarbeiterin der Lokalbaukommission den Abgeordneten an Ort und Stelle noch einmal. Und Burkhard Körner, beim Landesamt für Denkmalpflege unter anderem zuständig für München, betont, er könne es als Einzelperson "einfach nicht leisten, überall durchzugehen" und zu schauen, welche Gebäude denkmalschutzwürdig sein könnten. "Ich habe allein in der Stadt mehr als 7000 Denkmäler und 67 Ensembles eingetragen, das ist sehr viel."

Für Körner ist die Denkmalschutzwürdigkeit des Dreigespanns an der Sailerstraße auch "nicht eindeutig". Zum einen, weil an dieser Stelle früher einmal fünf Häuser standen, "und das schränkt dann die Wertigkeit ein". Dass die fehlenden zwei Gebäude bereits im Krieg zerbombt wurden, wie Schreck einwirft, sei dabei "irrelevant". Zum anderen müsste das Innere der Häuser laut Körner mitbetrachtet werden.

Die Landtagspolitiker um Michael Piazolo (Freie Wähler), Robert Brannekämper (CSU), Ruth Waldmann und Isabell Zacharias (beide SPD) wollen deshalb nun im Schulterschluss mit dem Bezirksausschuss Schwabing-West alle drei Eigentümer um Erlaubnis bitten, "uns reinzulassen und den Abriss um zwei Wochen aufzuschieben". Denn bislang war keiner der Denkmalschützer innerhalb der Gebäude. Zugleich soll der Generalskonservator des Bayerischen Landesamts für Denkmalpflege, Mathias Pfeil, gebeten werden, im Eilverfahren die Denkmaleigenschaften der Häuschen zu prüfen. Denn nur, wenn den Gebäuden der Denkmalschutz schwarz auf weiß attestiert werde, könne die Stadt die Abrissgenehmigung mit der Begründung, sie sei "rechtsfehlerhaft" gewesen, wieder zurücknehmen, sagt die Mitarbeiterin der Unteren Denkmalschutzbehörde im Planungsreferat. Und nur dann wäre der Vertrauensschutz, den die Eigentümer genießen, wieder auszuhebeln.

Den Landtagspolitikern ist dabei bewusst, dass sie nichts erzwingen können, auch wenn der Ausschuss für Wissenschaft und Kunst des Landtags die Petition voraussichtlich am 5. April formal behandelt. Der Ball liegt nun bei den Eigentümern. Aber um Verständnis werben können die Mandatsträger.

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SZ vom 23.03.2017
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