Süddeutsche Zeitung

Schwabing:Grüne Theorie, graue Realität

Der Domagkpark gilt als Modellquartier urbanen Städtebaus - doch eine Bürgerinitiative wirft der Stadt vor, die Vorgaben für öffentliches Grün nicht umzusetzen. "Wir leben in einer Asphaltwüste", sagt ein Wortführer

Von Stefan Mühleisen, Schwabing

Der Domagkpark gilt als Avantgarde unter den Münchner Neubauvierteln. Schon die Bauherrenstruktur mit dem vielgliedrigen Konsortium war ein Novum, nun ist das 24 Hektar große Gebiet der einstigen Funkkaserne in Schwabing eine Art Modellquartier für zukunftsweisendes städtisches Leben: Es gibt ein Quartiersmanagement, einen Concierge-Dienst, jede Menge alternative Mobilitätsangebote, dazu preisgekrönte Architektur. Doch jetzt ertönen erste Misstöne über den Primus unter den Neubausiedlungen: Bewohner lassen erkennen, dass sie ihr Wohnumfeld nicht als Vorreiter-Viertel sehen, im Gegenteil. "Wir leben in einer Asphaltwüste", sagt Thomas Maier.

Er steht am Dienstag am Mikrofon im Freimanner Freizeittreff, wo an diesem Abend der Bezirksausschuss Schwabing-Freimann tagt. Maier ist einer der Wortführer der neuen Bürgerinitiative "Mehr Grün im Domagkviertel". Die Aktivisten haben nach eigenen Worten 546 Unterschriften für einen Forderungskatalog gesammelt. Die Ausgestaltung der Straßenräume mit Grün entspreche "in keinster Weise unseren Erwartungen", heißt es da. Es ergeht der Appell an den Bezirksausschuss, sich für eine Verbesserung einzusetzen.

Der Aufschrei der Bürger kommt überraschend und er wirft, auch für einige BA-Politiker, Fragen auf, wie es trotz ausgefeilter Grünplanung zu diesem Ergebnis kommen konnte. Erst vergangenes Jahr hatte das Projekt als zukunftsorientierter Stadtumbau eine Auszeichnung bekommen. Von Anfang an war der Plan gewesen, auf dem Areal zwischen Domagkstraße und Frankfurter Ring keinen Allerweltsstadtteil, sondern ein besonders lebenswertes Quartier mit 1800 Wohnungen entstehen zu lassen. Für die Bauabschnitte fanden gesonderte Wettbewerbe statt, auch für die vier Hektar große Parkanlage mit altem Baumbestand, das Herzstück des Viertels. Das Gestaltungskonzept für die Freiflächen sieht "alleebestandene Straßenräume" vor, die "als verbindendes Gerüst innerhalb des Ensembles" dienen sollen.

Das Großprojekt kommt nun bald zum Abschluss; doch viele Bewohner sehen die Zielvorgaben für die Freiräume nicht verwirklicht. Maier lässt in der Sitzung eine Skizze aus dem Bebauungsplan an die Wand projizieren, auf der die Gertrud-Grunow-Straße gesäumt ist von vielen kleinen Kreisen, welche die geplanten Allee-Bäume darstellen. Daneben ein Foto des Istzustandes: nur vereinzelte Bäume in einem versiegelten Straßenraum. "Es wurde nicht einmal jeder zweite Baum gepflanzt, wie es geplant wurde", sagt Birgit Rieder von der Bürgerinitiative. Es sei überdies nicht nachvollziehbar, wieso der Gehweg 8,50 Meter breit sein müsse, ergänzt sie - und gut zwei Dutzend Gäste auf den Besucherstühlen klatschen. Dann richtet sie ihre Rede direkt an die anwesenden Vertreter der Stadtverwaltung: "Wieso betonieren Sie alles zu?"

Freundlich, aber bestimmt weist Wolfgang Mesenich von der Abteilung Gartenbau im Baureferat den Vorwurf zurück, es werde gegen den Bebauungsplan verstoßen. Er führt aus, dass gemäß dem Konzept im Abstand von acht bis zehn Metern Großbäume vorgesehen seien. Pflanzungen in Tiefgaragen- und Feuerwehrzufahrten seien aber nicht möglich und bei unterirdischen Leitungsschächten oder technischen Anlagen problematisch. "Ich verstehe Ihren Unmut", sagt Mesenich, "doch wir versuchen das Maximum an Baumpflanzungen herauszuholen". Burkhard Krüpe vom federführenden Büro Latz + Partner Landschaftsarchitekten erinnert daran, das breite Gehwege Teil des Quartierskonzepts seien, als urbanes Motiv und Begegnungsraum für die Bewohner.

Im Gremium teilen vor allem die Grünen die Ansicht der Anwohner, dass im Domagkpark Anspruch und Wirklichkeit auseinanderklaffen. "Es ist für uns nicht einsichtig, warum die Planung so umgesetzt wurde", merkt Barbara Epple an. Bernhard Dufter spricht minutenlang konsterniert über das Ausmaß der Versiegelung und eine Planung, "die daneben gegangen ist". Er fordert im Sinne der Bürgerinitiative einen Rückbau der Asphaltflächen - und dringt, wie auch einzelne aus SPD- und CSU-Fraktion, auf eine intensive Analyse mit den Bewohnern, wo mehr Grün möglich ist.

Genau dazu soll es nun kommen: Die Lokalpolitiker vereinbaren mit der Bürgerinitiative und den Mitarbeitern des Baureferats noch am Abend einen baldigen gemeinsamen Ortstermin, bei dem detailliert Verbesserungen erörtert werden sollen. Einen mahnenden Einwurf an ihre Kollegen steuert dann noch Dagmar Föst-Reich (FDP) bei. Sie wundere sich, dass wegen der unterirdischen Technik, den so genannten Sparten, offenbar Baumpflanzungen nicht möglich seien. "Da sollten wir im Hinblick auf die Planungen für die Bayernkaserne genau hinschauen", sagt sie.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4173783
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 18.10.2018
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.