Schwabing/Freimann:Reliquien aus dem Erdmittelalter

200 Millionen Jahre übersteigen die menschliche Vorstellungskraft. In seiner Ausstellung in der Halle 50 erkundet Julian Kerkhoff den Urkontinent "Pangaea"

Von Lea Hruschka, Schwabing/Freimann

Im weißen Raum hängen Gemälde in schimmerndem Tiefblau von Stahlträgern, so als würden sie schweben. U-förmig bauen sie sich um den Betrachter herum auf. "Gleißend hell" soll das Licht in die Halle scheinen und auf der glatten Oberfläche der Werke reflektieren. Exakt so hat Julian Kerkhoff das Arrangement seiner Kunst im Raum geplant, so wünscht er sich ihre Wirkung. Mit seiner ersten Einzelausstellung "The Presence of Thetys" will der junge Künstler "einen Moment erzeugen, wo alles zusammenkommt". Denn die elf Kunstwerke, die er zeigt, funktionierten zwar solitär, seien aber eigentlich ein Kollektiv. Zu sehen sind sie von Mittwoch, 25. August, an in der "Halle 50" im städtischen Atelierhaus am Domagkpark.

Als man ihn dort besucht, stehen die Bilder noch ein Stockwerk höher. Im Atelier "M.O.19" lehnt eines am Türrahmen. Es wirkt, als wollte einen das kräftige, dunkle Blau hineinziehen - in eine andere Zeit. Seine Werke seien als "vermeintliche Reliquien" aus der Trias, einer Periode im Erdmittelalter, zu verstehen, erklärt Kerkhoff. Der 34-jährige Architekt sitzt, passend im dunkelblauen Hemd gekleidet, im Atelier und erzählt, erklärt, gestikuliert. Mit seinen Werken behandelt er das Auseinanderbrechen des Superkontinents "Pangaea" vor 200 Millionen Jahren. Am östlichen Rand befand sich die Meeresbucht "Thetys", benannt nach einer Titanin der griechischen Mythologie. "Er ist nach wie vor hier, nur anders", erklärt Kerkhoff den Wandel des einstigen Meeresbodens, der heute das europäische Festland im Mittelmeerraum bildet. "200 Millionen Jahre - davon hat man keine Vorstellung", sagt er und schüttelt den Kopf: Diese Zeitspanne könne man gar nicht verstehen. Zu dieser Dimension will er stattdessen einen Zugang über Gefühle schaffen. Nicht religiös oder esoterisch, wie er betont, sondern "nüchtern, klar, erdgeschichtlich". Er habe sich wahnsinnig viele Gedanken über Transformationen, Dimensionen und Proportionen gemacht. Von seinen Überlegungen erzählen will Kerkhoff aber nicht. "Ich will ja nicht over-explainen", meint er mit einem Lachen. Der Anspruch sei, dass der Betrachter die Metaebene seiner Ausstellung selbst entdeckt.

Julian Kerkhoff Pangaea I

"Wie ein Dinosaurier, ein lebendes Fossil": Ein Mammutblatt war der Zündfunke für Julian Kerkhoffs Beschäftigung mit dem Urkontinent.

(Foto: Julian Kerkhoff/oh)

Entstanden ist sie in zweieinhalb Jahren "konstanter, fleißiger, harter Arbeit". An deren Anfang steht ein Mammutblatt aus dem Besitz seines Großvaters. "Wie ein Dinosaurier, ein lebendes Fossil", schwärmt Kerkhoff. Heute hängt "der Zündfunke" vertrocknet in der Ecke seines Ateliers. Gegenüber steht der dazu passende beige Gipsguss, der einen Kontrast zu den sonst rein blauen Werken schafft. Über das "mineralische Material", den Gips, sagt Kerkhoff: "Ich liebe es und hasse es. Es ist steinern, fest und doch zerbrechlich." Für den Glanz, der seine Werke ummantelt, nutzt er Wachs. "Es ist für mich der Inbegriff der Formbarkeit." Beim ersten Versuch, die Enkaustik-Technik, also Heißwachsmalerei, anzuwenden, ist die Leinwand aus reinem Gips gerissen. "Also habe ich mein eigenes Material entwickelt." Dafür vernäht Kerkhoff zuerst verschiedene Pappeschichten miteinander, um sie zu stabilisieren. Dann spachtelt er darauf Gips und schleift anschließend die Oberfläche ab. "Das dauert ewig", meint er, "aber das ist okay, weil man sich das Material erst selbst verdienen muss". Macht er einen Fehler, muss er die Leinwand aufwendig neu erschaffen. "Ich arbeite dadurch noch genauer." Im Anschluss grundiert er die geschliffene Gipsoberfläche in Blautönen.

Danach, erklärt Kerkhoff mit Begeisterung, komme das Wachs. Er zieht einen Topf aus dem Regal und zeigt den fest gewordenen Inhalt. Indem er es im weichen Zustand verschieden stark aufträgt, erzeugt er mit nur zwei Pigmenttönen die verschiedenen Blauschattierungen, die den Bildern ihre Tiefe verleihen. An einem Bild - ein Blatt, eingeschlossen in Wachs - zeigt Kerkhoff den nächsten Arbeitsschritt, das Polieren. Mit einem Lappen in jeder Hand streicht er kreisförmig über die Oberfläche. Das habe er zwei Wochen lang gemacht, bis alle Bilder fertig waren. "Das war wie eine Fitness-Übung", sagt Kerkhoff und lacht. Am Ende versiegelt er das Gemälde noch mit Lack, denn "Wachs zieht Staub an", der die schimmernde Oberfläche matt werden lässt.

Julian Kerkhoff Künstler

Künstler und Architekt: Julian Kerkhoff.

(Foto: Privat)

Vielleicht wird das unfertige Bild, das Kerkhoff mit seinen Händen poliert, schon Teil seines nächsten Projekts, sozusagen eine Fortsetzung. Festlegen will er sich darauf aber nicht: "Das könnte die Kreativität beschneiden." Bei der Entscheidung, ob er denn jetzt Architekt oder Künstler sei, ist er dagegen entschlossen: "Eindeutig Künstler." Durch seine Arbeit als Architekt sei er aber an das "Privileg des Ateliers" gelangt. Was er damit meint, erklärt er an der Tür des Raums, die eine runde, schwarz-weiße Scheibe ziert. "BDA Preis Bayern" lautet die Inschrift. Kerkhoff hat 2019 den Nachwuchspreis des Bundes Deutscher Architekten für seine Masterarbeit gewonnen. Die Arbeit des damaligen Architektur-Studenten, in der er eine Keltereianlage an der neuseeländischen Küste entworfen hat, habe anschließend alles "katalysiert". Im Mai 2019 hat er die Zusage für das Atelier bekommen, das vom Kulturreferat gefördert wird. Statt Architektur hat er dort jedoch angefangen, Kunst zu machen. Mit Blick auf seine blauen Reliquien aus der Trias sagt Julian Kerkhoff darüber: "Kein Hobby, sondern Herzblut."

Julian Kerkhoff, "The Presence of Thetys", Vernissage Mittwoch, 25. August, 17 Uhr. Öffnungszeiten am 26. und 27. August von 17 bis 20 Uhr. Am Samstag, 28. August, öffnet die "Halle 50" im Atelierhaus an der Margarete-Schütte-Lihotzky-Straße 30 von 15 bis 18 Uhr, am Sonntag, 29. August, von 13 bis 16 Uhr. Zusätzliche Öffnungszeiten können unter hello@juliankerkhoff.de vereinbart werden.

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