Schwabing:Es läuft aus dem Ruder

Dietmar Höss

Spürt Solidartät: Dietmar Höss muss eine der traditionsreichsten Bühnen der Stadt durch die Krise bringen.

(Foto: Florian Freund/Rationaltheater/oh)

Für Dietmar Höss, Chef des Rationaltheaters, wirkt Corona wie ein Brennglas für die Situation der freien Münchner Szene

Interview Stefanie Schwetz, Schwabing

"Radikale Liebe", das Stück von Armin Söder sollte am Rationaltheater eigentlich im März seine Uraufführung haben, dann wurde es auf April verschoben, dann auf Juli, dann abgesagt. Das kleine Schwabinger Theater ist wie so viele Kulturstätten geschlossen und steht vor der großen Herausforderung, ohne Einnahmen zu haben, laufende Kosten decken zu müssen. Geblieben ist Chef Dietmar Höss, und nicht nur ihm, in diesen Monaten die radikale Liebe zu seinem Theater und die Hoffnung, im September wieder spielen zu können. Ein Gespräch über Soforthilfen und die prekäre Lage freiberuflicher Künstler in München.

SZ: Seit März ist das Rationaltheater geschlossen. Wie fühlte sich das im ersten Moment an?

Dietmar Höss: Corona hat uns kalt erwischt, mitten in unserer letzten Produktion kam der Shutdown. Die Wochen danach hofften wir. Wir wollten einfach nicht wahr haben, dass sich monatelange Arbeit in Luft auflöst. Und im Theater durfte niemand etwas anfassen. Dort wirkte alles seltsam leblos, als wäre etwas noch viel Schlimmeres als Corona passiert.

Was bedeutet die Schließung für Sie und die Künstler, mit denen Sie zum Teil schon seit Jahren zusammenarbeiten?

Neben meiner Aufgabe als Geschäftsführer des Rationaltheaters, arbeite ich hauptsächlich als Autor. Für mich persönlich war der Stillstand der letzten Monate eine ausgesprochen kreative Periode. Wenn Sie so wollen, bin ich ein Krisengewinnler. Was das Theater und unsere Künstler angeht, sieht die Sache anders aus. Besonders diejenigen mit Kindern haben nichts mehr zu lachen, die landen in kürzester Zeit im Prekariat. Zwei unserer Schauspielerinnen leben inzwischen sogar von Harz IV. Das ist ziemlich demütigend. Nach einem Monat Verdienstausfall kann hier keiner mehr seine Miete bezahlen. Die Grundsicherung ist offenbar das Einzige, was der Politik dazu einfällt, was viel über die Wertschätzung der Kreativen in unserer Gesellschaft aussagt. Die Pandemie wirkt da wie ein Brennglas.

Wie sieht die finanzielle Unterstützung aus und wie weit kommt man damit?

Die gesamte Soforthilfe für das Rationaltheater wurde komplett durchgereicht an Vermieter, Energieversorger, Kreditinstitute. Künstlerhonorare durften wir davon nicht bezahlen. Die Folgen des Shutdowns müssten aber von der Gesellschaft als Ganzem getragen werden, nicht nur vom Staat, sondern auch von Banken, Versicherungen und nicht zuletzt Immobilieneigentümer. Wie lange die finanzielle Unterstützung reicht, um einen Kulturbetrieb während der Schließung aufrecht zu erhalten, hängt in den meisten Fällen von der Höhe der Miete ab. In München ist das in der Regel nicht besonders lang. Aber bezahlbarer Raum war auch vor Corona das entscheidende Kriterium, ob und in welcher Form freie Kunst und Kultur in München überhaupt stattfinden kann.

Was muss passieren, um das Rationaltheater wieder zu öffnen?

Es gibt zwei Aspekte, die für uns von Bedeutung sind. Zum einen ist unser Theater so klein, dass wir den Spielbetrieb erst wiederaufnehmen können, sobald die anderthalb Meter Abstandsregel aufgehoben wird. Zum anderen finanzieren wir einen großen Teil unserer Betriebskosten aus Zwischenvermietungen für Seminare, Filmdrehs, Fotoshootings. Diese Einnahmequelle ist komplett weggebrochen. Wenn das nicht bald wieder anläuft, wird es schwer.

Das Rationaltheater ist eine Schwabinger Institution. Wie hat die Corona-Krise das Viertel verändert?

Wenn ich abends am Wedekindplatz vorbeigehe, habe ich nicht den Eindruck die Corona-Krise hätte das Viertel verändert. Vor allem die jungen Leute haben einen enormen Hunger auf Party, vielleicht auch auf Kino oder Theater. Sie wollen wieder frei sein, ohne Richtlinien und Vorschriften. Ob das vernünftig ist, steht auf einem anderen Blatt. Aber Vernunft ist auch nicht meine Kernkompetenz, sonst würde ich kein Privattheater leiten. Was Corona für das Rationaltheater spürbar gemacht hat, ist die Solidarität des Publikums, der Nachbarn und auch der Spielstätten untereinander. Ich glaube, es gab noch nie ein so starkes Bekenntnis, dass etwas fehlt, wenn wir nicht mehr da sind. Natürlich ist das keine Garantie, dass es weitergeht, aber es ist ein gutes Gefühl.

Wie sieht Ihre Prognose für das Viertel aus?

Innerhalb von wenigen Wochen hat uns die Corona-Krise vor Augen geführt, was schon seit Jahrzehnten schiefläuft - in der Wirtschaft, der Pflege, der Kultur. Die Frage ist, welche Konsequenzen ziehen wir daraus, und das betrifft unser Viertel genauso wie unsere Stadt und unser Land. Wenn wir so weiter machen wie vor Corona, fahren wir den Laden spätestens bei der nächsten Krise an die Wand.

Das Ende der Krise ist nicht absehbar. Haben das Rationaltheater und die Münchner Off-Kultur überhaupt eine Zukunft?

Um Kunst und Kultur braucht man sich keine Sorgen zu machen. Es ist noch nicht so lange her, da wurde Theater gespielt, während Bomben ganze Städte in Schutt und Asche legten. Kunst, und Subkultur erst recht, wird es immer geben. Nur nicht mehr überall. Dass die freie Szene in München im nationalen Vergleich der großen Städte nur noch als Nebenschauplatz wahrgenommen wird, liegt an den Rahmenbedingungen. Allein in Altschwabing sind in den letzten beiden Jahren zwei der ältesten Musikbühnen Münchens und das größte Kino des Viertels verschwunden. Mehr als 70 Prozent der Berufskünstler, die im Rationaltheater auf der Bühne standen, gingen nach Berlin, Hamburg oder Wien. In keiner anderen Großstadt in Deutschland werden freiberufliche Künstler so schlecht bezahlt wie in München. Insgesamt steht der freien Szene ein jährliches Budget von ungefähr 3,7 Millionen Euro zur Verfügung, das ist weniger als ein Prozent von dem, was der Umbau des Gasteigs kostet. Wir sollten Corona nicht dafür verantwortlich machen, was hier schon seit Jahren aus dem Ruder läuft.

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