Süddeutsche Zeitung

Schwabing:Erster sein

Lesezeit: 1 min

Lokalpolitiker wollten mit einer Kampagne die Warteschlangen vor Geschäften regeln. Doch das braucht es gar nicht

Von Stefan Mühleisen, Schwabing

Zum Stadtbild in der Corona-Krise gehören seit Monaten auch Warteschlangen vor Geschäften; die Abstandsregeln gebieten es, dass sich im Laden nur zwei bis drei Leute aufhalten dürfen, die anderen müssen draußen ausharren und sich bitteschön in angemessener Distanz anstellen. Die lokale Politik im Stadtbezirk Schwabing-Freimann fand schon im Juni: Schwangere und Menschen mit Behinderung sollten da den Vortritt haben, die Geschäftsleute ihre gesunden und mobilen Kunden auffordern, den körperlich Eingeschränkten an die Spitze der Schlange zu lassen - bestenfalls, so befand der Bezirksausschuss, sollte die Stadt eine Kampagne (Sloganvorschlag: "Wir stehen zusammen") mit Unternehmen, Berufskammern, Verbänden starten. Allerdings, eben diese Organisationen finden sinngemäß: Das braucht's net. Das Referat für Arbeit und Wirtschaft formuliert es so: "Die Umfrage bei den zuständigen Verbänden, Kammern und Institutionen ergab, dass alle Befragten keinen Bedarf für einen derartige Kampagne sehen." Auch der Behindertenbeirat, so die Behörde in dem Antwortbrief an das Lokalgremium, unterstütze eine solche Kampagne nicht, "da eigentlich ein viel größerer Personenkreis bevorrechtigt werden müsste", was jedoch nicht mehr praktikabel sei. Soll heißen: Es könnte ja vielleicht nicht jeder, aber ziemlich viele kommen und sich als Vorrück-Kandidaten angesprochen fühlen: Eltern mit kleinen Kindern oder Seniorinnen und Senioren, die zwar schon noch, aber vielleicht nicht mehr ganz so gut zu Fuß sind. Dazu ansonsten Gesunde aber ausgerechnet jetzt gerade kranke Zeitgenossen.

Die bayerischen Berufsverbände fürs Hotel- und Gaststättengewerbe, für Handel und Industrie sowie die Handwerkskammer, auch der Münchner Innenstadt-Händlerverband City Partner, glauben dem Behördenbrief zufolge gar, dass die Leute die Kampagne als bevormundend auffassen und, so wird angedeutet, sich womöglich verprellt fühlen könnten, sich also fortan überhaupt nicht mehr in die Schlange stellen wollen. "Sie könnte von der Kundschaft, die man halten wolle, negativ aufgefasst werden, da man ihr ,mangelnde Kinderstube' unterstellen würde", heißt es in dem Brief.

Getadelt sollen sich die Schwabinger und Freimanner Politiker für ihre Initiative nicht fühlen. Das Referat dankt abschließend ausdrücklich für das "Engagement im Interesse der Bürgerinnen und Bürger".

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5115671
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 16.11.2020
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.