Süddeutsche Zeitung

Schwabing:Entbehrlich

Lesezeit: 2 min

In der Schwabinger Montsalvatstraße wird das Kopfsteinpflaster entfernt. Anwohner sind empört

Von Stefan Mühleisen, Schwabing

Von Alexander Roda Roda ist der Aphorismus überliefert: Es gebe Dummheiten, an die man nicht einmal denken dürfe, ohne sich ihrer schon halb schuldig gemacht zu haben. Der Schriftsteller und Satiriker wohnte von 1921 bis 1922 an der Hausnummer 3 in der Montsalvatstraße in Schwabing. Die heutigen Bewohner der Straße meinen zwar das gleiche, drücken sich aber anders aus, wenn sie in diesen Tagen die Bauarbeiten vor ihrer Haustüre kommentieren. "Der Stadt fehlt die Umsicht, die historische Substanz zu erhalten", zürnt Ulrich Boesner, ein paar Häuser weiter. Derweil liegt die historische Substanz zu Haufen aufgetürmt in der Straße herum: das Kopfsteinpflaster

Vor einigen Tagen rückten Baumaschinen an und rissen die Fahrbahn auf in der engen Straße der alten Villenkolonie Schwabing. Die Anwohner wunderten sich; sie hätten keinerlei Informationen erhalten, versichern mehrere Familien. Boesner erfuhr von einem Arbeiter: Es würden Kanalarbeiten durchgeführt; danach solle die Straße asphaltiert werden. "Aber die Pflastersteine sind Teil der Gesamtarchitektur dieses Ensembles, das muss erhalten bleiben", fordert Boesner.

Es ist ein neuer Fall eines Kopfsteinpflaster-Streits. Die Stadtgesellschaft hat eine heterogene Haltung dazu, ob solche Fahrbahnbeläge entbehrlich sind oder bewahrt werden müssen. Entbehrlich finden es jene, die sich vom Lärm der Reifengeräusche gestört fühlen. Das Lager der Bewahrer warnt hingegen davor, das Stadtbild ohne Not zu verändern.

Eine Pflasterung kann für sich allein oder als Teil eines Ensembles als eigenes Bodendenkmal eingestuft werden, teilt eine Sprecherin des Bayerischen Landesamtes für Denkmalpflege mit. Für die Montsalvatstraße ist das aber nicht der Fall. Sie gehört nach Einschätzung der Behörde nicht zu den Straßen von übergeordneter Bedeutung. Der Belag stamme wohl aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. "Es ist aber nicht so, dass die dort befindlichen Baudenkmäler zwingend einen Kopfsteinpflasterbelag verlangen", sagt die Behördensprecherin. Dieses denkmalfachliche Urteil muss jedoch nicht maßgeblich sein, wie Stadtheimatpfleger Bernhard Landbrecht durchblicken lässt. Er mag zwar über den konkreten Fall keinen Kommentar abgeben, sagt aber: "Der Erhalt des Charakters eines Viertels ist nicht zwingend eine Frage des Denkmalschutzes. Und ich würde mir wünschen, dass man darüber nachdenkt, ob sich dieser Charakter durch eine Baumaßnahme verändert."

Im Baureferat ist der Denkprozess offenbar schon abgeschlossen. Die Baumaßnahme sei zur "Aufrechterhaltung der Verkehrssicherheit" nötig, teilt ein Sprecher mit. Dabei unterliege die Montsalvatstraße nicht dem Ensembleschutz, überdies die Entscheidung zur Entfernung des Kopfsteinpflasters in Abstimmung mit dem örtlichen Bezirksausschuss geschehen sei.

Das ist umso erstaunlicher, als das Bürgergremium sich immer wieder für den Erhalt von Pflastersteinen eingesetzt hat, vor allem in Altschwabing. Der Gremiumsvorsitzende Werner Lederer-Piloty räumt ein: "Das ist uns durchgerutscht, sehr bedauerlich." Der Passus mit der Asphaltierung sei wohl übersehen worden. Er hofft nun auf eine Korrektur und kündigt an, einen Antrag auf Rückbau des Pflasters an die Stadt zu stellen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3593079
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 19.07.2017
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.