Süddeutsche Zeitung

Nachhaltiger Konsum:Sie verkauft, was Unternehmen wegwerfen

Viele Produkte kommen wegen winziger Fehler niemals in die Läden. Jessica Könnecke hingegen hat mit den Mängelexemplaren nachhaltiger Firmen ein Geschäft entwickelt.

Von Pia Ratzesberger

Die Idee kam ihr in Berlin. Im Sommer, auf einem Spaziergang im Wedding. Ein Kunstmarkt an der Leopoldstraße, mit Porzellantellern und Ketten, und Jessica Könnecke fielen die Kisten am Boden auf. Kisten voller Keramik, die auf den ersten Blick so aussah wie die andere Ware an den Marktständen. Nur dass sie niemand verkaufte. Die Händlerinnen und Händler erklärten ihr dann, dass sie die Keramik wegen winziger Fehler nicht mehr anbieten könnten. Einer Narbe im Porzellan zum Beispiel.

Jessica Könnecke sprach mit mehr Unternehmern, mit Modeschneiderinnen, mit Herstellern von Naturkosmetik und alle erzählten das gleiche. Viele Waren würden aussortiert, weil sie kleine Makel haben, weil sich die Rezeptur einer Creme verändert habe oder aus einer früheren Kollektion nur ein einziger Pullover übrig geblieben sei. Es wird oft kritisiert, dass Menschen Dinge kaufen, um sie wieder wegzuwerfen. Aber die Absurdität des Systems zeigt sich schon einen Schritt vorher: Waren werden mit viel Aufwand hergestellt und kommen wegen winziger Mängel niemals in die Läden.

Auf dem Elisabethmarkt in Schwabing wird Könnecke in dieser Woche deshalb nur Produkte verkaufen, die Unternehmen aussortiert haben. Nach ihrem Besuch in Berlin vor zwei Jahren gründete sie einen kleinen Versandhandel, der sich "Mit Ecken und Kanten" nennt. Im Internet verkauft sie ausschließlich Mängelexemplare von nachhaltigen Firmen - um doppelt nachhaltig zu sein. Zu Beginn machten weniger als zehn Unternehmen mit, deren Waren nahm sie erst einmal in Kommission. Sie wusste nicht, ob sie die Sachen überhaupt loskriegen würde. Doch schnell sprach sich herum, dass in ihrem Laden faire Produkte, die ansonsten relativ teuer sind, zu niedrigeren Preisen zu haben sind. Heute arbeitet Jessica Könnecke auch mit bekannteren Unternehmen wie Weleda, Melawear oder Erlich Textil zusammen. Mittlerweile nimmt sie die Sachen nicht mehr in Kommission, sondern kauft sie den Firmen ab. "Viele denken immer, dass ich die Ware geschenkt bekomme", sagt Könnecke. "Das ist natürlich nicht so."

Ihre Geschäftsidee ist wahrscheinlich nicht nur aufgegangen, weil Cremes und Pullover in ihrem Laden 30 bis 50 Prozent weniger kosten, sondern vor allem auch, weil sie auf faire Firmen setzt. Die Kundinnen und Kunden, die solche Produkte kaufen, sind meistens ohnehin darauf bedacht, möglichst nachhaltig einzukaufen. Sie stören sich wahrscheinlich weniger an einem falsch herum eingenähten Etikett als andere.

Einmal im Monat öffnet Jessica Könnecke ihr Lager im Bleiweißviertel in Nürnberg, um dort zu verkaufen. Um jeden Tag aufmachen zu können, müsste sie mehr Leute einstellen, momentan sind sie nur zu dritt. Sie selbst und zwei Werkstudentinnen, ihr Freund hilft am Wochenende mit. Irgendwann hätte sie gerne einen richtigen Laden, vielleicht sogar mehrere. Jetzt aber verkauft sie erst einmal dort, wo die Idee entstand. An einem Marktstand. Wenn auch nicht in Berlin, sondern in München.

Pop-up-Laden "Mit Ecken und Kanten", Stand 22 am Elisabethmarkt. Öffnungszeiten am Freitag, 30. August, von 15 bis 19 Uhr und am Samstag, 31. August, von zehn bis 16 Uhr. An diesem Tag finden auch Workshops zum plastikfreien Leben und Gespräche übers Gründen statt. Eine Anmeldung ist nicht nötig.

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SZ vom 29.08.2019/syn
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