Kultur in München:Eine Institution verschwindet aus Schwabing

Kultur in München: Wolfgang Roucka, Fotograf, Galerist und Schwabinger mit Leib und Seele, muss nach 54 Jahren sein Geschäft am Wedekindplatz räumen. Er hat es zeitlich nicht geschafft, alles rechtzeitig leer zu räumen. Foto:Alessandra Schellnegger

Wolfgang Roucka, Fotograf, Galerist und Schwabinger mit Leib und Seele, muss nach 54 Jahren sein Geschäft am Wedekindplatz räumen. Er hat es zeitlich nicht geschafft, alles rechtzeitig leer zu räumen. Foto:Alessandra Schellnegger

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Wolfgang Roucka muss seine Studio-Galerie am Wedekindplatz räumen, der Vermieter gewährt keinen Aufschub. Ein neuer Standort in der Nachbarschaft war gefunden, doch der Vertragsabschluss scheitert in der Corona-Krise.

Von Stefan Mühleisen

Wie sehr die ganze Sache Wolfgang Roucka mitnimmt, lässt sich in diesen Tagen nicht nur an seinem betrübten Gesichtsausdruck ablesen, sondern auch an seinem Sakko. Der 79-Jährige war immer zuverlässig in einem sehr bunt gestreiften Papageien-Sakko anzutreffen, das sein Naturell ganz gut spiegelt: fröhlich, spleenig, optimistisch. Doch beim Termin mit der SZ-Fotografin am Montag trägt Roucka ein graues Jackett, das Gesicht ist blass. Am Telefon klingt er kraftlos, resigniert. "Ich bin sprachlos", sagt er, der sonst nie um einen Spruch verlegen ist. Dann sagt er doch etwas: "Es beschäftigt mich, dass es uns jetzt nicht mehr gibt."

Er meint sich, die vier Mitarbeiter und insgesamt die Studio-Galerie Roucka, sein Foto- und Postergeschäft am Wedekindplatz, das seit Langem als Schwabinger Institution gilt. Nach 54 Jahren muss Roucka, der einst als "Posterkönig" bekannt war, mitten in der Corona-Krise, die Gewerbeflächen räumen. Es verschwindet damit mehr als nur eine Galerie. Das Geschäft war Schauplatz von Soireen, Ausstellungen, Konzerten, kulturellen Ereignissen, dazu Treffpunkt der Schwabinger Kunstszene. "Es ist eine kulturelle Institution im Herzen Schwabings, und Wolfgang Roucka ist hier eine prägende Figur", sagt Ekkehard Pascoe, Organisator des Corso Leopold, für die Grünen im örtlichen Bezirksausschuss und langjähriger Freund Rouckas. "Und nun wird er kalt abserviert."

Pascoe bezieht sich auf das Verhalten des Hauseigentümers. Der hatte bereits Anfang November 2019 die Kündigung ausgesprochen und eine Frist für den Auszug bis 31. März gesetzt - und darauf besteht er nun, ungeachtet der Umstände durch die Ausgangsbeschränkungen, wie in einem Brief deutlich wird, den Roucka vergangene Woche erhalten hat: "Entsprechend der Positivliste des Bayerischen Ministeriums für Gesundheit und Pflege (...) steht Ihrem fristgerechten Auszug - unter Beachtung notwendiger Schutzmaßnahmen - absolut nichts im Wege", heißt es in dem Papier.

Der Vermieter lässt sein Unverständnis erkennen, dass Roucka fünf Monate hat verstreichen lassen, und kündigt an, Schadenersatz "in vollem Umfang" geltend zu machen, was auch den Erhöhungsbetrag einer künftigen Neuvermietung einschließe. "An dieser Stelle möchten wir unserer Enttäuschung Ausdruck verleihen, wie sie die derzeitige Krisensituation schamlos zu ihrem persönlichen Vorteil gebrauchen."

Wolfgang Roucka zeigt sich fassungslos. Er ringt damit, seine eigenen Enttäuschung in Worte zu fassen. Entschieden, so sagt er, weise er zurück, die Corona-Krise auch nur in irgendeiner Art und Weise für seine Zwecke auszunutzen. Gerne hätte die SZ die Position des Eigentümers erfahren. Doch der lehnt auf telefonische Anfrage hin "jedweden Kommentar" ab.

Nach Rouckas Darstellung lief es so ab: Er habe im September 2019 dem Vermieter ein neues Konzept für sein gut 150 Quadratmeter großes Ladengeschäft vorgestellt. Er wollte den Verkaufsraum zu einem Kleinkunstcafé umgestalten, auf eigene Kosten, wie er sagt; betreiben sollte das Café ein Partner. Doch der Vermieter habe abgelehnt und bereits die Kündigung angedeutet. "Er hat gesagt, dass er eine deutlich höhere Miete verlangen will", berichtet Wolfgang Roucka.

Nach der schriftlichen Kündigung habe er keine andere Möglichkeit gesehen, als nach einem Alternativstandort zu suchen und parallel den Geschäftsbetrieb aufrechtzuerhalten, da er die Gehälter und die Monatsbruttomiete von gut 7400 Euro bis zum Schluss zu zahlen habe. Unterdessen stand er nach seinen Worten mit dem Eigentümer des Hauses Haimhauserstraße 5 in Verhandlungen, der Mietvertrag - mit Cafébetrieb - sei nahezu unterschriftsreif gewesen. "Doch mit der Corona-Krise hat sich das zerschlagen, denn verständlicherweise will der Eigentümer abwarten, bis wieder normaler Geschäftsbetrieb möglich ist." Er habe dann seinen Vermieter um Aufschub gebeten - ohne Erfolg.

Nun ist er seit Tagen damit beschäftigt, Hunderte Grafiken und Drucke auszuräumen, dazu Druckmaschinen und Schränke, die bei einer Messebaufirma eingelagert werden sollen. Doch diese Firma habe ihre Mitarbeiter coronabedingt in Kurzarbeit geschickt. "Wir bemühen uns nach Kräften, den Auflagen des Vermieters gerecht zu werden", sagt Roucka und fügt hinzu: "Mein Lebenswerk ist zerstört."

Dieses Lebenswerk, dem der Bayerische Rundfunk eine Folge der "Lebenslinien"-Reihe widmete, ist beachtlich. Rouckas Geschäft gehört, wie er selbst, quasi zum Schwabinger Inventar. Hier lichtete der gelernte Fotograf Uschi Obermaier ab, zog die Bilder auf Poster, die bald in Studentenbuden hingen - und Obermaiers Konterfei so zu einer Ikone der 68er-Bewegung machten. Er war ein Pionier in der Fotoleinwand-Technik und nebenbei Schwabinger Impresario, aktiv beim Corso Leopold, beim Seerosenkreis und dem Verein "Rettet die Traumstadt", ferner umtriebiger Fest-Organisator, etwa zur Neugestaltung des Wedekindplatzes oder zum 85. Geburtstag der Schwabinger Gisela.

OB Christian Ude verlieh Roucka 2011 die Medaille "München leuchtet - Den Freunden Münchens" und würdigte ihn als jemand, der für sich in Anspruch nehmen dürfe, den Mythos Schwabing mitgestaltet zu haben.

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