Schwabing:Dunkle Träume

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Markus Hummel und Sonja Graf sind die Protagonisten in "Die Herzogin von Malfi", nach John Webster. (Foto: oh)

Sonja Graf und Markus Hummel leben für ihr "Theater des hölzernen Gelächters". Im Amphitheater des Englischen Gartens zeigen sie ein abgründiges Stück aus der Shakespeare-Zeit

Von Jutta Czeguhn, Schwabing

Das Licht fällt schräg ein von links oben und verdunkelt mehr, als es erhellt. Im Schattenspiel wirft der goldgelbe Vorhang dramatische Falten. Auf der kreidebleich geschminkten Stirn des Mannes im Vordergrund glitzern Schweißtropfen. Die harte Lineatur seiner Züge wirkt im Lichtschein nur noch unerbittlicher. Eine Gefahr geht von diesem grüblerischen Menschen aus. Der Frau, die im schwarzen Hintergrund kauert, hängt eine Haarsträhne ins Auge. Stummverzweifelt ist ihr Blick. So hat Caravaggio seine Gemälde ausgeleuchtet und dabei eigentlich Bühnenbilder geschaffen, die immer eine düstere Geschichte erzählen. Doch das traurige Paar, um das es hier geht, hängt in keiner Sammlung alter Meister.

"Wir hatten für das Foto nur eine Lichtquelle zur Verfügung. Und die da, einen Moment . . .", bittet Markus Hummel und kramt in einer Tasche. Schließlich findet er, was er sucht, das 08/15-Modell einer Digitalkamera. Völlig unbelastet also vom Besitz kostspieliger Fototechnik, zaubert man beim "Theater des hölzernen Gelächters" mal eben magische Bilder auf die Chipkarte. Wer als Low-Budget-Projekt über die Runden kommen will, muss sich zu helfen wissen, auch beim Marketing. Vom kommenden Dienstag, 1. September, an wird wieder gespielt im Amphitheater im Nordteil des Englischen Gartens. Sonja Graf und Markus Hummel, die Frau und der Mann auf dem Caravaggio-Foto, wollen das Publikum, das sonst parkettierte Theatersäle gewohnt ist, mit einem "nachtschwarzen Traumstück" in den nächtlichen Park locken. Zu entdecken gilt es wie immer einen verschollenen Edelstein des Welttheaters, der von den beiden geschliffen und neu eingefasst wird. Diesmal ist es "Die Herzogin von Malfi", frei nach John Webster, einem Zeitgenossen William Shakespeares.

Für die Proben hat ihnen das TamS in der Haimhauserstraße einen kahlen Raum zur Verfügung gestellt. Als man sie dort besucht, sitzen die Theaterleute über dicke Textbücher gebeugt. Markus Hummel reibt sich die Augen. Er sieht müde aus, seine Haare stehen wild ab, als hätte er sie beständig gerauft. Sonja Graf nippt an einer Tasse Kaffee. Anstrengende Monate liegen hinter den beiden. Für gewöhnlich machen Graf, 42, und ihr vier Jahre älterer Partner alles unter sich aus. Sie sind die Regisseure, sind das Ensemble, Stücke-Auswähler und Um-Schreiber, Fundraiser, Bühnen- und Kostümbildner, Komponisten, Souffleur und Souffleuse, sich gegenseitig die strengsten Kritiker - und die größten Ermutiger. Vor allem das. Denn seit 18 Jahren ist es ein Kampf ums finanzielle Überleben.

Mitte der 90er haben sie sich bei einer Produktion in München kennen gelernt. Und entdeckt, dass sie die gleiche leidenschaftliche Unbedingtheit für das Theater empfinden, auch wenn sie aus verschiedenen Richtungen darauf gestoßen sind. "Ich hatte damals mein Studium der politischen Wissenschaften abgebrochen und war an kleinen Theatern der Mann für alles", erzählt Markus Hummel. Irgendwann sei er dann nicht länger nur hinter dem Vorhang, sondern auf der Bühne gestanden. Sonja Graf, gebürtige Wienerin, ist den klassischen Weg gegangen. Sie hat das Max-Reinhardt-Seminar absolviert, später in ihrer Heimatstadt in der freien Szene gespielt und mit vielen Regisseuren gearbeitet. Als ihre eigene Theaterchefin schätzt sie die völlige Freiheit. "Mir gibt das sehr viel, weil wir unsere Kreativität leben und etwas erschaffen können", sagt sie und wirkt dabei nachdenklich.

Nachhaltig kreativ war die Taufe der kleinen Compagnie. Der sperrige, lautmalerische Name war den beiden während der Vorbereitung zu ihrer ersten gemeinsamen Produktion, einem Stück von Euripides, im Ohr kleben geblieben. "Hölzernes Gelächter" - das ist schlicht die Übersetzung von "Xylofon", was ja im Griechischen klingt und schwingt, den Zuhörer durchdringt. Emotionalität erzeugen wollen Sonja Graf und Markus Hummel mit ihrem Theater, obwohl es - wie die Wienerin es formuliert - "stark abstrakt gedacht ist, viel mit Sprache und Bildern arbeitet". Vor allem versuchen sie, Naturalismus zu vermeiden und auf die Fantasie des Publikums zu setzen.

Konzentration auf das Wesentliche als Arbeitsprinzip, dieser Anspruch der Theatermacher an die Schauspielkunst zeigt sich auch im Probenraum des TamS: Ein Vorhang aus dünnen Papierbändern, ein weißer Türstock, eine Fuchsmaske. Viel mehr ist da nicht, und viel mehr wird nicht sein bei den Vorstellungen des "nachtschwarzen Traumstücks" im Amphitheater. Die Geschichte um die Herzogin liest sich erst einmal wie ein ziemlicher Reißer: Amalfi um das Jahr 1500. Eine Frau zwischen zwei Brüdern, die getrieben sind von Habsucht und der Gier nach Macht. Eine Liebe, die nicht gelebt werden darf, Inzest und Rachefantasien. Sonja Graf und Markus Hummel waren angezogen vom Abgründigen dieses blutschweren Stoffes, der vielschichtigen Zeichnung der Charaktere und der Entwicklung, die sie durchlaufen, von der Gesellschaftskritik. Für Sonja Graf ist die Herzogin eine starke Frauenfigur: "Sie nimmt am Machtspiel teil, auch wenn sie am Ende verliert." Markus Hummel wird in alle Männerrollen schlüpfen. Die selbst entworfenen Kostüme helfen ihm bei der Transformation. Er setzt sich ein purpurnes Kardinalskäppi auf. Seine Nähmaschine steht im Probenraum, für alle Fälle.

Unterm Jahr kann man das Theater des hölzernen Gelächters hin und wieder an Münchner und Wiener Off-Bühnen erleben. Ein magischer Ort aber ist für Graf und Hummel das Amphitheater im Englischen Garten. Gespielt wird nur bei schönem Wetter, verlegt wird nicht, das ist radikal-konsequent. Ach nein, sagt Hummel. Sein Theater sei im Bunde mit den Elementen, Teil des Naturschauspiels. Er schwärmt vom Wetterleuchten, das einmal während eines Lenz-Stückes den nahen Wald erhellte. Von einem Gewitter, das mit donnerndem Gelächter über München wütete und das kleine Amphitheater auf wundersame Weise verschonte.

Aus technischen Gründen fallen die Vorstellungen am Samstag/Sonntag, 29. / 30. August aus. Premiere ist im Amphitheater im Englischen Garten am 1. September. Weitere Vorstellungen: 2., 3., 4., 5. und 6. September, jeweils um 20 Uhr. Der Eintritt ist frei, Infos jeweils unter Telefon 089/210 315 64 oder 0162/4251892. Gespielt wird nur bei schönem Wetter.

© SZ vom 29.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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