Süddeutsche Zeitung

Schwabing:"Die verschanzen sich hinter ihren Zahlen"

Lesezeit: 2 min

Ein Umleitungsvorschlag von Google erbost die Anwohner der Gundelindenstraße, die Stadt sieht keinen Handlungsbedarf

Von Stefan Mühleisen, Schwabing

Es waren 15 Nachbarn, die sich an einem späten Werktagnachmittag im August 2018 am Westende ihrer kleinen Straße versammelten. Die einen unwirsch, andere wütend, schauten sie der Auto-Karawane zu, die sich durch die Gundelindenstraße drängte, einer engen, verkehrsberuhigten Einbahnstraße im Schwabinger Biederstein-Viertel.

Der Berufsverkehr nahm Fahrt auf - und damit auch die Empörung der Anwohner. Das Missfallen brach sich Bahn über die Routenplanerdienste, welche den Autofahrern ihre Straße als Passage empfehlen. "Google flutet unser Wohngebiet", schimpfte damals ein Teilnehmer. Nun schwillt die Wut erneut an - doch diesmal ist die Verkehrsbehörde der Stadt das Ziel erbitterter Reaktionen. Denn das Kreisverwaltungsreferat (KVR) mag nach monatelanger Prüfung keinen Handlungsdruck erkennen, wie aus einer E-Mail an Anwohnersprecher Reinhold Kocaurek, hervorgeht. "Die verschanzen sich hinter ihren Zahlen. Doch die Bürger sind ihnen egal", sagt er.

Die Anwohner hatten mit Filmaufnahmen dokumentiert, dass immer mehr Autos von der Ungererstraße in die Seitenstraße abbiegen. Zwischen 450 und 600 wollen sie in der Rushhour gezählt haben. Und sie zeigten sich überzeugt, dass die Fahrer einer offenbar neuen Empfehlung auf dem Navi-Bildschirm folgen. Am Ostende der Gundelindenstraße gibt es eine Auffahrt zum Mittleren Ring Richtung Süden, wobei kein Schild anzeigt, dass man über diese Furt zum Isarring vor den Biederstein-Tunnel gelangt. Der Google-Maps-Dienst führt den Routenverlauf zwar nicht durch die Gundelindenstraße - doch wer dieses Tool zu nutzen weiß, lässt sich die Staulage nach Uhrzeit anzeigen: Und zum Feierabend markiert eine grüne Linie durch die Gundelindenstraße die Verkehrslage als "fließend"; auf der Dietlindenstraße, dem üblichen Transitweg, ist sie per roten Balken als "stockend" gekennzeichnet. Die Anwohner legten der Stadt nahe, ein Abbiege-Verbot an der Ungererstraße einzurichten, die Einbahnstraße umzukehren oder die Furt zum Isarring zeitweise zu sperren.

Den Protest der Nachbarn nahm das KVR durchaus wahr und kündigte an, "verlässliche Verkehrszahlen" zu erheben. Nun liegen diese vor - und sie führen die Behörde zu dem Schluss, nichts zu tun. In den Worten des KVR: "Wir bitten daher um Verständnis, dass wir aufgrund der gebotenen Gleichbehandlung aller Stadtviertel und der klaren gesetzlichen Vorgaben derzeit keine Möglichkeit sehen, das Verkehrsaufkommen in der Gundelindenstraße mittels Beschilderung zu reduzieren."

Zur Begründung heißt es, dass für solcherlei Eingriffe eine Gefährdung vorliegen müsse, "die über das übliche Maß hinausgeht", also signifikant viele Raser unterwegs sind und der Verkehr übermäßig zunimmt. 400 Autos setzt das KVR für die Gundelindenstraße pro Stunde als zumutbar an. Die Behörde hat jeweils zur Spitzenzeit zwischen 17 und 18 Uhr insgesamt nicht mehr als 1400 Fahrzeuge in der Woche gezählt, woraus ein "Stundendurchlauf" von "unter 300 Autos" abgeleitet wird, wobei es beidseitig Bürgersteige gebe, die Straße sehr übersichtlich sei. Das Fazit: "Insgesamt lässt sich festhalten, dass das Fahrzeugaufkommen in der Gundelindenstraße aufgrund des Google-Umleitungsvorschlages sicher gestiegen ist, die Zahlen aber auch bei großzügigster Auslegung noch im Bereich des für eine Tempo-30-Zone Zumutbaren liegen."

"Das ist sehr desillusionierend für alteingesessene Münchner wie uns", sagt Anwohner Kocaurek, der nach eigenen Angaben seit 1954 in der Gundelindenstraße wohnt. In seiner Replik an das KVR führt er einen Vorfall während des U-Bahnbaus Ende der Sechzigerjahre an, als der Verkehr in die Seitenstraße abgeleitet worden sei, "und erst ein Verkehrsunfall mit zwei Toten an der Kreuzung Gundelinden-/Kunigundenstraße das Kreisverwaltungsreferat aktiv hat werden lassen". Die Nachbarn hoffen nun auf den Stadtrat, Kocaurek hat allen Rathausfraktionen eine Eingabe geschickt. Ansonsten herrscht Fruststimmung in der Siedlung, "ernüchternd trifft es wohl am besten", so ein Anwohner in einer Rundmail; eine Nachbarin gibt sich kämpferisch und empfiehlt "Demos auf der Straße zur Rushhour". Wer Zeit habe, diese bei den Behörden anzumelden, fragt sie in die Runde.

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SZ vom 03.01.2019
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