Schwabing:Die Projektoren

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Mit ihrer Galerie "Dia" haben Lena Engel und Simon Kalienke einen neuen Raum für die Fotokunst in der Stadt geschaffen

Von Ellen Draxel, Schwabing

Der Raum ist klein, aber hat es in sich. 18 Quadratmeter, weiß getünchte Wände, eine hohe, indirekt beleuchtete Decke. 40 Jahre lang war die Georgenstraße 72 die Adresse eines Versicherungsbüros. Seit ziemlich exakt einem Jahr aber hängen dort immer wieder wechselnde Bilder. Die Fotografen Lena Engel und Simon Kalienke haben die ehemalige Stube in eine Galerie namens "Dia" verwandelt - ein Schatzkästchen für Fotokünstler, von denen es in München viel zu wenige gibt.

"Wir haben in der Stadt einen Mangel an Ausstellungsräumen für Fotografen", weiß die 32-jährige Engel. Möglichkeiten, Arbeiten zu zeigen, existieren zwar durchaus, etwa im Kunstfoyer der Versicherungskammer Bayern, im Lothringer 13 oder im Fotomuseum innerhalb des Stadtmuseums. Auch im Farbenladen beim Feierwerksgelände an der Hansastraße, im Köşk an der Schrenkstraße oder beim Nachbarn 84 GHz an der Georgenstraße sind immer wieder Fotos zu sehen. Doch kleine, überschaubare Räumlichkeiten, die auf Fotoausstellungen spezialisiert und gleichzeitig zu fairen und leistbaren Konditionen zu haben sind, bleiben rar.

Engel und Kalienke, die oberhalb des Dia wohnen, haben deswegen zugestimmt, als ihr Vermieter ihnen den Raum als Galerie anbot. "Allerdings erst im dritten Anlauf", sagt Kalienke, der hauptberuflich als Programmierer arbeitet, lachend. Nach Feierabend rückte das Paar also im Spätsommer vergangenen Jahres mit Bohrer, Malereimer und Pinsel an, entfernte eine nachträglich eingezogene Decke und sanierte das Zimmer von Grund auf. Seitdem gab es im Dia-Raum für Kunst 15 Ausstellungen, gewechselt wird im Schnitt alle zwei bis drei Wochen.

Vertraut Unvertrautes: Ein Foto aus Lena Engels Serie "hidden", das sie auch in der aktuellen Schau in der Galerie "Dia" zeigt. (Foto: Lena Engel)

"Der Bedarf an der Galerie-Nutzung ist immens, bei uns fragen wirklich auch sehr viele renommierte Künstler an", erzählt die gebürtige Münchnerin Engel. Nachbar Florian Heine kennt die Gründe: "In dem Raum kann man, ohne große Hürden überwinden zu müssen, Projektideen ausprobieren", weiß der Fotograf, Kunsthistoriker und Autor, der unter anderem für die Gestaltung der U-Bahn-Station Feldmoching verantwortlich zeichnet. Außerdem sind die Galeristen nicht auf Profit aus. "Wir geben nur die Mietkosten weiter", erklärt Simon Kalienke das Konzept. Würden er und Engel ihr zeitintensives Engagement in die Berechnung mit einfließen lassen, wäre die Schwabinger Galerie ein Minusgeschäft.

Kommendes Jahr wollen die beiden Dia-Gründer mit Unterstützung Heines nun noch einen Schritt weiter gehen. Geplant ist ein zweiwöchiges Foto-Festival im Frühling als künftig alljährlich stattfindendes und sich stetig vergrößerndes Langzeitprojekt, zur Stärkung und Vernetzung der lokalen und später auch internationalen Fotoszene. "Die Idee ist, die Fotokunst langsam über die Stadt zu verbreiten", sagt Heine. "Damit die Leute merken, dass es noch etwas anderes gibt als Handys." In Ausstellungsräumen und an öffentlichen Plätzen sollen verschiedene, auch partizipative Formate ausprobiert werden, Bildbesprechungen für Laien beispielsweise, Vorträge, Diskussionen oder Workshops. Für den Elisabethmarkt etwa können sich die Initiatoren für 2020 eine Open-Air-Ausstellung vorstellen, für den Sankt-Jakobs-Platz eine begehbare Camera obscura. Auch den Bogen von analoger zu digitaler Fotografie wollen die Veranstalter im Rahmen dieses Festivals spannen. Engel gibt schon seit 2013 Workshops für Kinder, Erwachsene und Studenten, in denen sie die Grundlagen der Fotografie lehrt, die Wahrnehmung sensibilisiert und ihre Teilnehmer experimentieren lässt. Solche Kurse könnte sie auch während des Festivals anbieten.

Die Kick-Off-Schau für das Foto-Festival mit dem Titel "Spektrum" läuft noch bis 2. November im Dia-Raum, eine Gruppenausstellung von zwölf Künstlern mit rund 60 meist kleinformatigen Bildern. Gezeigt wird das gesamte Spektrum der Fotografie, Dokumentationen ebenso wie Kunst und Reportagen. Die Themen der Ausstellung reichen von familiären und politischen Statements bis hin zu Szenen der Stadtentwicklung und Auswirkungen des Klimawandels. Auch Engel, Kalienke und Heine sind dort mit eigenen Arbeiten vertreten.

Die Galerie "Dia" betreibt Lena Engel zusammen mit Simon Kalienke an der Georgenstraße. (Foto: Tim van den Oudenhoven, oh)

Aufmerksamkeit in der Szene ist der kleinen Galerie bereits sicher. Bei einer Schau mit Performance im Dia vor einigen Monaten drängten sich 80 Leute in dem kleinen Raum. Es war so eng, dass einige der Besucher sogar aufs Fensterbrett stiegen, um einen Blick auf die Ausstellungsstücke zu erhaschen. Ein Foto der aktuellen Ausstellung ist indes gut sichtbar für jeden: eine großformatige Landschaftsaufnahme des in Belgien geborenen und heute in Berlin lebenden Fotografen Tim van den Oudenhoven. Sein Bild hängt an der Decke.

Zu sehen ist die Ausstellung "Spektrum" mit Fotografien von Lena Engel, Lena Giovanazzi, Stefano Giuriati, Verena Hägler, Florian Heine, Carolin Hirschfeld, Stefanie Höll, Simon Kalienke, Maren Katerbau, Franziska Martin, Tim van den Oudenhoven und Jessica Siegel bis 2. November jeweils mittwochs bis freitags von 15 bis 20 Uhr und an den Wochenenden sowie am 1. November zwischen 12 und 17 Uhr.

© SZ vom 19.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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