Schwabing:Die Krux mit dem Gschau

Nach dem Tohuwabohu um das Denkmal für Regisseur Helmut Dietl steht Nikolai Tregor kurz vor der Fertigstellung des Modells für den Bronzeguss. Seit Wochen feilt der Künstler am angemessenen Gesichtsausdruck - und lebt dabei seinen Traum, wie er sagt

Von Stefan Mühleisen, Schwabing

Es muss ein halbes Jahr vor seinem Tod gewesen sein, als Helmut Dietl dem Schöpfer begegnete, der sechs Jahre später ein Denkmal von ihm schaffen sollte. "Es war an der Münchner Freiheit", erinnert sich Nikolai Tregor.

Der 73-Jährige sitzt auf der Couch in seiner Atelierwohnung in Schwabing und erzählt, wie das war, als der berühmte Regisseur und Drehbuchautor gerade in ein Auto steigen wollte, dann aber innehielt und ihn anschaute. "Sehr lange, mit tiefem Blick", sagt Tregor. Dietl habe ihn gekannt, habe gewusst, dass er Bildhauer sei. "Und er ahnte vielleicht, dass ich ihn einmal modellieren werde."

Der Künstler lacht jetzt laut und wirft seinerseits einen tiefen Blick hinüber zu einem brusthohen Arbeitsbock. Darauf ruht ein gut hundert Kilogramm schwerer, anatomisch etwas überdimensionierter Kopf aus Ton - Dietls Konterfei, an dem er schon vier Wochen herummodelliert. Tregor, strubbelige Haare, schwarzes T-Shirt mit der Aufschrift "I love Molotow", bringt es fertig, gleichzeitig gramvoll zu schauen und hochvergnügt zu sprechen. Er wolle die Anekdote nicht esoterisch verstanden wissen, die Begegnung mit Dietl, der lange, tiefe Blick. "Aber es war eben ein magischer Moment. Und angesichts meines Alters könnte er mein letztes Werk sein."

Schwabing: Tregor hat in seiner Atelierwohnung viele Bilder von Helmut Dietl als Vorlage für das Tonmodell des Kopfes.

Tregor hat in seiner Atelierwohnung viele Bilder von Helmut Dietl als Vorlage für das Tonmodell des Kopfes.

(Foto: Robert Haas)

Es wird deutlich, dass hier ein Künstler ein Herzensprojekt durchzieht: Helmut Dietl, dem 2015 gestorbenen Schöpfer von bissig-komischen und lakonisch-liebenswürdigen Serien und Filmen wie "Münchner Geschichten", "Monaco Franze", "Schtonk!" eine Statue zu errichten. Und zwar neben der Bronze-Plastik von Helmut Fischer, seinem Freund zu Lebzeiten, der den Monaco Franze so glänzend spielte. Diese Skulptur vor dem Café Münchner Freiheit hatte ebenfalls Nikolai Tregor geschaffen. "Ich lebe gerade meinen Traum", sagt der Künstler fidel.

Traumhaft ist dabei, dass der Verlauf des Skulpturenprojekts in den vergangenen zwei Jahren seinerseits eine kuriose Geschichte abgibt, die sich Dietl als Virtuose hintersinniger Plots nicht besser hätte ausdenken können. Die Gedenk-Initiative ging von der Café-Betreiberfamilie Eisenrieder und dem Bezirksausschuss-Vorsitzenden Werner Lederer-Piloty (SPD) aus; sie sammelten gut 70 000 Euro Spenden auf einem eigens eingerichteten städtischen Konto. Der Kulturausschuss des Stadtrates sah das Projekt mit Wohlgefallen - doch das städtische Direktorium im Frühjahr 2019 plötzlich nicht mehr. Die Behörde zahlte die Spenden wieder zurück, weil diese, so hieß es, wegen Schulden Tregors womöglich an Gläubiger flössen. Es ging hin und her, nicht wenige Münchner schimpften wütend, die Stadt wolle offenbar gar kein Dietl-Denkmal, bis sich der Kulturausschuss dann im November 2019 schließlich entschloss, sie jetzt aber wirklich und ausdrücklich zu wollen.

Schwabing: In etwa acht Wochen will Nikolai Tregor mit der Bronze-Statue fertig sein.

In etwa acht Wochen will Nikolai Tregor mit der Bronze-Statue fertig sein.

(Foto: Robert Haas)

Tregor war zwischenzeitlich als Künstler aus dem Rennen, bekam den Auftrag aber dann doch wieder. Es wird wohl aufgefallen sein, dass er das Urheberrecht an der Monaco-Statue hält, die Ergänzung zur Figurengruppe also nur ihm selbst erlaubt sein dürfte. Wobei nicht unerwähnt bleiben sollte, wie viele berühmte Köpfe der ausgebildete Bronzegießer, geboren in Zug in der Schweiz, schon für diese Stadt modelliert hat. Eine kleine Auswahl: die Büste von Sophie Scholl in der Gedenkstätte der Ludwig-Maximilians-Universität, der Kopf von Franz Josef Strauß für die Bayerische Staatskanzlei, der von Sergiu Celibidache für den Gasteig.

Der 73-Jährige deutet auf eine Ecke seiner Wohnung, an die er stilisierte Steinblöcke aufgemalt hat, darüber der scheinbar schwebende Schriftzug "No Pussys". Das sei keinesfalls despektierlich auf Frauen gemünzt, erklärt der Künstler - kein Kitsch und keine Stümperei, solle das bedeuten. "Dafür habe ich in meinem Alter keine Zeit mehr." Er sagt es im Angesicht des fast fertigen Dietl-Kopfes auf dem Arbeitsbock. Dessen Mimik wirkt wie ein Kommentar zu dem ganzen Denkmal-Tohuwabohu. Versonnen scheint der Ton-Dietl in sich hinein zu schmunzeln, als freue er sich still über irgendetwas. Doch Tregor schaut gar nicht zufrieden. Er nimmt einen Spatel in die Hand, verformt sanft Dietls rechte Pupille. "Nein, nein", schimpft er, "das passt noch nicht!" Seit Wochen spiele er mit dem Gesichtsausdruck, erzählt er selig vom Herantasten an das ideale Gschau für den Geehrten. Je nach Blickwinkel soll er melancholisch, ernst oder spöttisch die Monaco-Plastik respektive die Passanten ansehen.

In etwa einer Woche, so schätzt Tregor, wird er wohl zufrieden sein. Dann kommt der Kopf in einen Ofen, in dem das Wachs in einer Silikon-Negativform eine Woche lang als Hohlraum für den Bronzeguss herausgebrannt wird. Währenddessen will Tregor die Modelle für Torso, Arme und Beine machen ("Das ist die wenigste Arbeit"), die dann ebenfalls in Bronze gegossen werden. Dann werden die Teile verschweißt, bekommen in weiteren sechs Wochen den letzten Schliff. Eine Zigarette soll das Denkmal des zu Lebzeiten Ketterauchenden übrigens nicht in die Hand bekommen. Witwe Tamara Dietl hatte diesen Vorschlag gemacht. "Ich verehre diesen Mann", stellt Tregor klar. "Und Zigaretten waren der Malus, an dem er gestorben ist."

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