Schwabing:Bürger proben den Aufstand

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Während der Sanierung des Oskar-von-Miller- und des Maximiliansgymnasiums sollen in den kommenden vier Jahren täglich bis zu 50 Lastkraftwagen durch die engen Straßen der umliegenden Siedlung rollen. Das wollen die erbosten Anwohner keinesfalls hinnehmen

Von Stefan Mühleisen, Schwabing

Der Wind fegt eiskalten Schneeregen über den Ernst-Toller-Patz in Schwabing, benannt nach dem sozialistischen Revolutionär und Protagonisten der Münchner Räterepublik. Insofern ist das Lokal "Savoy", an der Südostspitze des Platzes gelegen, ein geeigneter Treffpunkt. Die neun Anwohner im frühmorgens noch verwaisten Wirtshaus sehen sich zwar nicht als Revolutionäre. Aber sie wollen ein System stürzen: die städtische Baustellenorganisation vis-à-vis dem Lokal. "Es ist ein Plan ohne Rücksicht auf die Bürger", sagt Wolfgang Ferchl.

Gerade hat er noch Handzettel an die Scheiben der parkenden Autos geklemmt. "Wir gründen eine Bürgerinitiative", steht darauf, Gründungstermin am Montag, 14. Januar, am gleichen Ort, im Savoy. Der Name: "Pro Max und Oskar". Die Stimmung im Lokal ist aufgekratzt, sie wissen alle, dass der Stadtrat den Rund-Corso der Schwerlaster beschlossen hat

Es geht den Nachbarn um die Generalsanierung des hufeisenförmigen Komplexes von Oskar-von-Miller- und Maximiliansgymnasium, mit der es in diesen Tagen so richtig losgehen soll. Das heißt: Bis zu 50 Lastwagen sollen qua Konzept des Baureferats zu Spitzenzeiten täglich durch die Siedlung fahren. "Wir sprechen hier nicht von sechs Wochen, sondern von vier Jahren", sagt Savoy-Wirt Stefan Schmalschläger. Keiner, so betont er, habe etwas gegen das Projekt. "Aber warum muss es einen Lkw-Corso durch das Viertel geben?" Die Sanierung des Bauwerks ist komplex. Bis Schuljahresbeginn 2022 sollen Dachgeschosse ausgebaut, Neubauten errichtet, unter dem Innenhof eine Turnhalle versenkt, die Gebäudetechnik ausgetauscht sein. Im laufenden Betrieb geht das nicht; beide Gymnasien mit insgesamt gut 1600 Schülern mussten in Interimsquartiere umziehen.

Ein verzwicktes Mammutprojekt, das durch die Lage noch verzwickter wird: Das Gebäude ist in ein dichtes Gefüge nordwestlich der Münchner Freiheit eingebettet, umschlossen von engen Straßenzügen. Die Lkw müssen durch das Portal an der Karl-Theodor-Straße, um den Aushub von 26 000 Kubikmetern abzutransportieren, oder gleich Material zum zentralen Logistikplatz an der Morawitzkystraße zu bringen - und dann müssen sie wieder weg, nur wie?

Das Kreisverwaltungsreferat (KVR) stellt sich das so vor: Die Lkw kommen vom Bonner Platz, rollen durchs Hauptportal und wieder hinaus, dann durch die Morawitzkystraße ums Schulgebäude herum durch die Stury- und Siegfriedstraße zurück zur Karl-Theodor-Straße, von wo aus es wieder zum Bonner Platz geht. Die An- und Abfahrt über die Leopoldstraße wurde verworfen - es käme zu "gefährlichen Situationen" für Radler und Fußgänger an der Kreuzung, so die Behörden-Auffassung. Ebenfalls ad acta gelegt ist die Route über die Clemens- zur Leopold- oder nach Westen, zur Belgradstraße. Einfach von Norden her rein und wieder raus, also Wenden in der Morawitzkystraße, sei aus Platzgründen nicht möglich, heißt es. Das Konzept drang im Sommer 2018 an die Öffentlichkeit, in der Bezirksausschuss-Sitzung und der Bürgerversammlung; im November hielt die Stadt eine Infoveranstaltung ab. Doch die Gruppe im Savoy fühlt sich schlecht behandelt. "Ich habe vom Ausmaß der Baustelle aus der Nachbarschaft erfahren", sagt Schmalschläger. Die angegebene Mail-Adresse auf einer Postwurfsendung der Stadt sei falsch gewesen, ans Telefon sei niemand gegangen, berichten Anwohner.

Vor allem sind die Bürger sauer auf den Bezirksausschuss (BA) Schwabing-Freimann. "Ich komme mir abserviert vor", kritisiert die 69-jährige Marina Storp den Umgang des BA und seines Vorsitzenden Werner Lederer-Piloty (SPD) mit ihren Bedenken. "Der hat uns abgekanzelt und gesagt, es gibt nur diese Lösung", berichtet auch Bernd Dostert. Bernardo Reis, Inhaber eines Feinkostladens an der Karl-Theodor-Straße, befürchtet, ebenso wie Schmalschläger im Savoy, massive Umsatzeinbußen, wenn wegen der Lkw-Kolonnen die Gäste auf der Freifläche ausbleiben. Er erwägt nun eine Klage auf Schadenersatz. Im Gespräch mit der SZ hatte Lederer-Piloty zuletzt eine Bürgerbeteiligung zur Baustellenlogistik als "Ding der Unmöglichkeit" bezeichnet. Da seien Experten gefragt, "und nicht Laien", sagte er.

Die Gruppe steht jetzt am Westausgang des Schulkomplexes an der Morawitzkystraße vor dem Logistikplatz. "Es gibt eine Möglichkeit, das anders zu gestalten", sagt Joseph Grill. Er hat sie eingezeichnet in eine Planskizze: Schwarze Linien mit Pfeilen zeigen an, dass die Laster gar nicht erst bis zur Sturystraße vorstoßen, sondern schon vorher in einer Schleife zur Karl-Theodor-Straße zurückfahren. "Man muss nur die Container umsetzen, dann ist eine Wendeschleife möglich", sagt Bauingenieur Grill. Ferchl fügt hinzu: Damit schaffe man einen einzigen Gefahrenpunkt. "Wenn die Laster durchs Viertel fahren, sind es viele."

Die Bürgerinitiative wird das am 17. Januar am runden Tisch mit Vertretern der Behörden und der Polizei zur Sprache bringen. Bürgermeisterin Christine Strobl (SPD) hat ihr Kommen zugesagt. "Wir erwarten", sagt Wolfgang Ferchl, "dass der Bezirksausschuss sich beteiligt und mit uns zusammenarbeitet".

© SZ vom 10.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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