Süddeutsche Zeitung

Schwabing:Bei den Engeln ganz oben

Die griechische Gemeinde Münchens nimmt bewegend Abschied vom Musiker und Kämpfer Mikis Theodorakis

Von Hans Holzhaider, Schwabing

Am Sonntag lag Jannis Kallias noch am Strand auf Lefkas, seiner Heimatinsel im Ionischen Meer, als sein Handy klingelte. Es war Apostolos Malamoussis, Erzpriester der griechischen Gemeinde der Allerheiligenkirche an der Ungererstraße. Drei Tage zuvor war Mikis Theodorakis gestorben, und Erzpriester Malamoussis wollte ein Konzert zu dessen Gedenken organisieren.

Muss man sich darüber wundern? Theodorakis war Kommunist. Wenn, sagen wir, Wolf Biermann sterben würde (ohne ihn auf eine Stufe mit Theodorakis stellen zu wollen), dann wäre die katholische Kirche wahrscheinlich die letzte, die ein Konzert zu seinem Andenken veranstalten würde. Aber mit Theodorakis und der orthodoxen Kirche war das anders. "Wir haben dieses Konzert organisiert aus Anteilnahme und zur Erinnerung an den großen Komponisten, dessen griechisches Herz für Gerechtigkeit und Freiheit in der ganzen Welt schlug", sagte Apostolos Malamoussis am Mittwochabend, als er die Konzertgäste begrüßte. Theodorakis selbst habe dafür ein schönes Bild gefunden: "Wenn ich dirigiere", habe er einmal gesagt, "trage ich immer schwarze Kleidung wie der orthodoxe Priester, der das Heilige vertritt, als Zeichen, dass auch ich die frohe Botschaft der Gerechtigkeit und der Liebe vertrete."

Darüber hinaus hat Apostolos Malamoussis aber auch eine sehr persönliche Erinnerung an Theodorakis. Im Juli 1995 war er einer der 13 000 begeisterten Fans beim Open-Air-Konzert auf dem Königsplatz, als Theodorakis mit Anthony Quinn, dem Darsteller des Alexis Sorbas, seinen Sirtaki tanzte. "Heute tanzen wir nicht", sagte Malamoussis, "heute ist ein Tag der Trauer."

Jannis Kallias, seit vielen Jahren Musiklehrer in München, zögerte jedenfalls keine Sekunde, als der Priester ihn am Strand von Lefkas anrief. Am Montag war er zurück in München, am Dienstag traf er sich mit seinen Musikerkollegen Lefteris Armyras und Alexandros Rantos, sie besprachen das Programm, probten ein bisschen - mehr war nicht nötig. "Wir sind alle mit ihm aufgewachsen", sagt Jannis Kallias. "Er war unser Stern", sagt Lefteris Armyras. "Das ist mein Leben."

Auch Costas Gianacacos ist zum Konzert im Hof der Allerheiligenkirche gekommen, der Leiter des Griechischen Hauses im Westend, einer der unermüdlichsten Aktivisten der griechischen Szene in München, und selbst Dichter und Übersetzer griechischer Lyrik. "Theodorakis ist etwas Einmaliges gelungen", sagt er. "Er hat die großen griechischen Dichter des 20. Jahrhunderts, Ritsos, Seferis, Elytis, als Teil von uns bekannt gemacht." Gianacacos stammt aus Pyli, einem, wie er sagt "gottverlassenen Dorf" in Thessalien, aber selbst dort erlebte er hautnah die Unterdrückung durch die Militärjunta. "Ich kam von einem Besuch bei meinen Eltern in Nürnberg zurück", erzählt er, "mit einer neuen, roten Cordhose, auf die ich sehr stolz war. Ich wurde sofort für eine Woche von der Schule verwiesen, weil ich eine rote Hose anhatte." 1974, nach dem Ende der Militärdiktatur, sei Theodorakis die große Leitfigur für seine Generation geworden, sagt er. "Wir entdeckten die Welt, und Mikis war der Mann, dem wir folgen wollten."

Eine knappe Stunde lang spielen und singen Jannis Kallias (Klavier), Lefteris Armyras (Gitarre) und Alexandros Rantos (Bouzouki) Lieder von Mikis Theodorakis. Sie beginnen mit "Arnisi" (Die Verweigerung), dem ersten Welterfolg von Theodorakis, der zur heimlichen Hymne des Widerstands gegen die Junta wurde: "Mit wie viel Herz und Geist / Mit wie viel Sehnsucht und Leidenschaft / Haben wir unser Leben falsch gelebt! / Und wir änderten unser Leben." Vater Giorgios Vletsis, der zweite Priester der Allerheiligenkirche, singt mit mächtiger Stimme "Die Sonne der Gerechtigkeit", nach dem Gedicht von Odysseas Elytis. Das Konzert endet mit einem Instrumentalstück, in dem sich Alexandros Rantos mit seiner Bouzouki zu atemberaubendem Tempo steigert: "Gitonia ton Aggelon", die "Nachbarschaft der Engel". "Ich denke, Mikis ist in die Nachbarschaft der Engel umgezogen", sagt Erzpriester Malamoussis.

Am Donnerstag ist Mikis Theodorakis in Galata, dem Heimatdorf seiner Familie, auf Kreta beerdigt worden. Man erzählt sich, er habe darauf bestanden, sein zukünftiges Grab eigenhändig zu vermessen, um sicherzugehen, dass er auch hineinpasse, denn er war ein sehr großer Mann. "Mikis wusste: Der Tod ist nur eine Station in unserem Leben", sagt Costas Gianacacos.

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SZ vom 10.09.2021
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