Schulsport:Gut für die Beine, gut für den Kopf

Mindestens eine Stunde am Tag sollten sich Kinder bewegen. Doch oft wird nicht mal das erreicht. Dabei ist Sport nicht nur für die Fitness von Mädchen und Jungen wichtig, sondern stärkt sie auch in anderen Bereichen.

Von Daniel Thoma

Lässig rollt Adrien Hannart auf seinem Skateboard und macht dabei klare Ansagen: "Zwei-, dreimal anschieben bis zur blauen Linie, danach auf einem Fuß das Gleichgewicht halten." Die zwölf Viertklässler, die er anspricht, schauen mit großen Augen, als er die Übung vormacht. "Wie machst du das?", fragt ein Mädchen erstaunt. "Ich glaub', ich kann das nicht", meint der Junge neben ihr. Auf Hannarts Kommando versuchen sie, die Übung dennoch gleich nachzumachen. Und fast keiner schafft es, nach dem Anschieben das Gleichgewicht zu halten. Einige Kinder nehmen den zweiten Fuß zur Hilfe, ein paar stürzen in der Turnhalle krachend vom Board.

Trotz Helm sowie Knie- und Ellbogenschonern eine schmerzhafte Erfahrung. Aber auch eine wichtige, sagt Hannart. So lernen die angehenden Skateboarder Frustrationstoleranz und Durchhaltevermögen. Und tatsächlich fängt von seinen Schülerinnen und Schülern niemand an zu weinen. Einmal hingefallen stehen sie schnell wieder auf dem Board. "Skateboardfahren ist das Mittel", erläutert Hannart. Das Ziel sei, die Kinder in ihrer charakterlichen Entwicklung zu unterstützen.

Schulsport: Skateboardfahren vermittelt Frustrationstoleranz und Durchhaltevermögen.

Skateboardfahren vermittelt Frustrationstoleranz und Durchhaltevermögen.

(Foto: Yves Krier)

Der Skateboard-Unterricht ist ein Kooperationsprojekt zwischen dem Verein High Five und der Grundschule am Ravensburger Ring. Adrien Hannart ist Programmkoordinator und Head Coach bei High Five. Alle zwei Wochen kommt der Cheftrainer an die Schule, um als Teil des Ganztagsunterrichts in den vierten Klassen Skateboardfahren zu unterrichten. Seine Ansicht, dass er damit mehr als nur die körperliche Fitness der Kinder unterstützt, ist wissenschaftlich gestützt.

"Es ist allgemein bekannt, dass Sport wichtig ist für die Entwicklung kognitiver Funktionen bei Kindern", sagt Tanja Postler, Sportwissenschaftlerin am Lehrstuhl für Präventive Pädiatrie der Technischen Universität (TU) München. Im Frühjahr hat sie mit mehreren Kollegen eine Studie veröffentlicht. Diese belegt, dass es bei Kindern einen Zusammenhang zwischen körperlicher Fitness und ihrem Konzentrationslevel gibt.

"Durch körperliche Bewegung wird das Gehirn mit mehr Sauerstoff versorgt", sagt Postler, "Es bilden sich bessere Zellverbindungen und es werden auch langfristig neue Zellen gebildet." Das wirke sich wiederum nicht nur positiv auf das kurzfristige Konzentrationsniveau aus, sondern auch auf andere kognitive Funktionen wie Wahrnehmung, Denken oder das Erinnerungsvermögen: "Alles Kognitive kann gesteigert werden, wenn man sich viel bewegt."

Generell spiele die körperliche Betätigung bei Kindern eine wichtige Rolle für die gesamte Persönlichkeitsentwicklung. Neben physiologischen und kognitiven Faktoren werden laut Postler dadurch auch emotionale und vor allem soziale Kompetenzen gefördert. "Wenn Kinder im Sportverein aktiv sind oder einfach nur zusammen auf dem Bolzplatz Fußball spielen, dann kommunizieren sie miteinander und müssen Konflikte lösen. Das hat alles einen positiven Einfluss."

60 Minuten körperlicher Betätigung am Tag werden oft nicht erreicht

Sehr wichtig sei es daher, die Kinder schon früh für das Thema körperlicher Fitness zu sensibilisieren. "In der Schule müssen Kinder von klein auf eigentlich schon wissen, wie wichtig Bewegung für sie ist. Und sie müssen auch immer wieder daran erinnert werden", sagt Postler.

60 Minuten körperliche Betätigung am Tag sind laut der Weltgesundheitsorganisation bei Kindern und Jugendlichen das Minimum für eine gesunde Entwicklung. Dieses Ziel wird häufig nicht erreicht, gerade während und in Folge der Corona-Pandemie. Dass diese Problematik weder durch die Politik noch durch die Öffentlichkeit groß zum Thema gemacht worden sei, hat laut Katharina Köble, die mit Postler gemeinsam an der Studie gearbeitet hat, einen einfachen Grund. "Beim Thema Bewegung geht es um Prävention. Deshalb ist es schwierig, das in die Köpfe der Politik oder der Leute zu bekommen, weil es in der Regel nicht akut ist. Deshalb wird oft kein dringender Handlungsbedarf gesehen." Dabei sei es enorm wichtig, so früh wie möglich mit einem aktiven Lebensstil anzufangen. "Es ist bekannt, dass inaktive Kinder auch zu inaktiven Erwachsenen werden."

An der Grundschule am Ravensburger Ring haben Schulleitung und Lehrkörper diese Warnung verstanden. Sportförderung ist dort Teil des gesamten Schulkonzepts. Das Kultusministerium hat die Einrichtung am Ravensburger Ring als Sportprofil-Grundschule ausgezeichnet. Dadurch erhält sie unter anderem die finanziellen und personellen Mittel, um in den ersten Klassen eine Sportstunde pro Woche mehr anzubieten. Außerdem haben die Schülerinnen und Schüler die Möglichkeit, den vom Referat für Bildung und Sport angebotenen Sportförderunterricht zu besuchen.

Auch in Mathematik oder Deutsch versuchen Lehrer, Bewegungselemente einzubauen

Für Rektorin Bettina Aufhauser ist das vor allem wegen der Zusammensetzung ihrer Schülerschaft sehr wichtig. "Hier in der Gegend sind ein sehr hoher Migrationsanteil und viele ärmere Familien, die nicht die finanziellen Mittel haben, ihre Kinder in einen Sportverein zu schicken." Diese Defizite will sie an ihrer Schule auffangen. Man habe deshalb immer wieder Aktionen gestartet wie Morgensport für die ganze Schule oder auch Projekte zum Thema gesunde Ernährung. Die Lehrkräfte versuchen außerdem, auch in Unterrichtsfächern wie Mathematik oder Deutsch regelmäßig Bewegungselemente einzubauen. Damit versuchen Aufhauser und ihr Kollegium nicht zuletzt, den Mangel an körperlicher Betätigung während der Pandemie wieder auszugleichen.

"Die zwei Corona-Jahre waren keine Glanzleistung, was die Fitness von Kindern angeht." Sportlehrer Volker Hübner nennt als Beispiel das Radfahren. Deutlich weniger Kinder als vor der Pandemie seien mittlerweile noch sicher auf dem Fahrrad unterwegs. Für Hübner kommt der Sportunterricht generell zu kurz. "Wir haben drei Stunden Religion und zwei Stunden Sport in der Woche", meint er vielsagend. Mit den aktuellen Kapazitäten könnten die Schulen allein das Defizit in der körperlichen Betätigung bei Kindern nicht auffangen. Darunter leidet dann nicht nur die Fitness der Kinder, sondern auch ihre kognitive, soziale und emotionale Entwicklung.

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