Schulplanung:Allen Platz den Kindern

Schulplanung: Schulplanerin Andrea Lehner hat eine bundesweite Diskussion um eigene Toiletten für das dritte Geschlecht angestoßen.

Schulplanerin Andrea Lehner hat eine bundesweite Diskussion um eigene Toiletten für das dritte Geschlecht angestoßen.

(Foto: Catherina Hess)

Geht es um die Schule der Zukunft, beginnt die Arbeit von Andrea Lehner. Auch die Diskussion um eigene Toiletten für das dritte Geschlecht hat sie angestoßen

Von Gudrun Passarge

Seit ihrer Pensionierung geht es Andrea Lehner um die Zukunft. Nicht um ihre eigene, sondern um die Zukunft der Schulkinder. Die Region rund um München wächst unaufhörlich. Das bedeutet für viele Kommunen: Ihre Schulen platzen aus allen Nähten, überall fehlen Klassenzimmer. Sie sind zu klein, zu alt oder noch gar nicht gebaut - hier beginnt die Arbeit von Andrea Lehner. Schulen der Zukunft zu planen, ist das Metier der ehemaligen Schulrätin. Die 70-Jährige verfügt nicht nur über viel Erfahrung, sie hat sich auch einen visionären Blick bewahrt. Eine zukunftssichere Schule ist für sie ein Gebäude, "das genug Räume zur Verfügung stellt für alle Aufgaben, die Schulen künftig erfüllen müssen", sagt sie.

Dabei ist Lehner immer auf der Höhe des Zeitgeschehens. Nicht zufällig hat die Schulplanerin die bundesweite Diskussion um eigene Toiletten für das dritte Geschlecht angestoßen. Weil es gesetzlich jetzt möglich ist, als Geschlechtsangabe divers eintragen zu lassen, brachte sie zu Beginn des Jahres das Thema im Pullacher Gemeinderat vor, wo gerade die Planung einer neuen Schule ansteht. Lehner winkt ab. Der Rummel in den Medien, der auf die Gemeinderatsitzung folgte, war ihr eher lästig, unter anderem in der taz und der Frankfurter Rundschau zitierte man sie - wohlgemerkt die mediale Aufmerksamkeit, nicht das Thema. "Das ist nur ein kleiner, aber durchaus wichtiger Punkt." Lehner findet, "es ist es nicht wert, eine Diskussion darüber in der Republik zu führen, aber es ist es wert, dass Architekten sich darüber Gedanken machen". Zu ihren Aufgaben als Schulplanerin gehöre es eben, solche Dinge zu bedenken. Der Anstoß sei über das dritte Geschlecht gekommen, sagt sie, "aber was herauskommt, sind ganz andere Toilettenanlagen". Vielleicht Unisex-Klos.

Lehner ist von ihrem ganzen Auftreten her eine typische Lehrerin. Stets elegant gekleidet, gewohnt, das Wort zu ergreifen, aber auch zuzuhören, sitzt sie im Gemeinde- oder Stadtrat und erläutert ihre Zahlen. Im Saal ist es still. Was auch daran liegen kann, dass der ein oder andere Lokalpolitiker zunächst schockiert ist, wenn sie zu ihrer Generalanalyse ansetzt. Denn Lehner rechnet alle Eventualitäten ein. Sie schaut sich die geplanten Baugebiete an, die Bevölkerungsentwicklung, den Ist-Zustand der Schulen, die Neueinschreibungen. Dabei rechnet sie für die Zukunft lieber nicht mit Durchschnittswerten, sondern mit den genauen Zahlen der Gemeinden. Auf dieser Basis erstellt sie dann Schulraumentwicklungskonzepte. Den Anfang hat sie in Freising gemacht. Dieses Konzept sollte die Stadt in die Lage versetzen, genau zu wissen, was sie braucht und in welchem Zustand sich ihre Schulen befinden, wo erweitert werden muss, wo eine Sprengeländerung helfen könnte, die Schüler besser zu verteilen, wo ein Neubau ansteht. "Das ist wie eine Blaupause. Wenn sie vom Stadtrat beschlossen ist, wird sie bei jeder Veränderung hergenommen."

Schulplanung war auch für Lehner Neuland. Nach ihrer Pensionierung 2012 bot sie in kleinem Umfang Schulberatung an. Dann kam der große Auftrag aus Freising, seitdem ist Lehner in verschiedenen Kommunen vor allem im Landkreis München unterwegs, um dort Entwicklungskonzepte und konkrete Schulplanungen zu übernehmen. Sie spricht von der "Phase null", die den Architekten vorgelagert ist. Um sich ein Bild vom Ist-Zustand zu verschaffen, beruft sie am Anfang Gremien ein, in denen die Vertreter der Schulen, der Kommunen, des Baureferats sitzen. "Vier bis fünf Sitzungen, dann steht das Ding", sagt Lehner, die schon in ihrer Zeit als Schulrätin gute Erfahrungen mit Konferenzen und Arbeitskreisen gemacht hat. Dort hat sie viel darüber erfahren, wie andere Berufsgruppen, etwa Schulpsychologen oder Sozialarbeiter denken und was für deren Arbeit wichtig ist, wie sie sagt.

Was ihr wichtig erscheint, nimmt sie in die Pläne mit auf. Immer das eine Ziel vor Augen: eine zukunftsfähige Schule zu bauen, die Inklusion berücksichtigt, die Digitalisierung und natürlich auch Ganztagszüge. Wie also muss eine solche Schule ausschauen? Lehner nennt zwei Dinge, die in Balance zueinander stehen müssen. Da sind zum einen große Klassenräume mit mindestens 75 Quadratmetern. "Eine Klasse lebt aus der Klassengemeinschaft und die findet im Klassenzimmer statt", sagt Lehner. Die Größe ist auch dem Gedanken geschuldet, dass vielleicht in Zukunft mal zwei Lehrkräfte dort unterrichten könnten, dass ausreichend Platz da ist für Kinder mit Beeinträchtigungen, die mit einem Schulbegleiter in der Klasse sitzen.

Dem gegenüber steht der Lernbereich, der neudeutsch als Cluster bezeichnet wird. In der Regel, so Lehner, werden hier vier Klassen zusammengefasst, die durch eine große Mitte verbunden sind, die individuelles Lernen oder Gruppenarbeit ermöglicht. Hinzu kommen noch zwei Mehrzweckräume, die sich für unterschiedliche Nutzungen eignen. Alles in allem sei so ein Lernbereich wie ein kleines Schulhaus. Getrennt von diesen Lernräumen plant Lehner noch die Räume für den Ganztagszug. Hier plädiert sie für eine strikte Trennung zwischen Lernbereich und Freizeitpädagogik. Denn ihrer Ansicht nach kann es nicht gut sein, "wenn die Kinder von halb acht bis 16 Uhr immer im Klassenzimmer bleiben müssen".

Doch das ist noch nicht alles, was eine Schule der Zukunft haben muss. Hinzu kommen Räume für das Personal. Lehrer, Schulsozialarbeiter, Psychologen, Berufsberatung und natürlich die vielen Ehrenamtlichen. "Eine Schule von heute hat bis zu 50 Ehrenamtliche und weiteres pädagogisches Personal", sagt Lehner, etwa Lesemütter oder Mentoren. Und all diese Menschen brauchen natürlich auch Platz. Lehner schlägt deswegen Besprechungszimmer und Einzelbüros vor. Manch Politiker zuckt dann zusammen und fragt, ob es denn wirklich so große und so viele Räume sein müssen.

Lehner ist froh, dass das Kultusministerium mittlerweile seine Förderung nicht mehr nach Räumen, sondern nach Fläche berechnet. Da lägen ihre Pläne meist nicht sehr viel darüber, sagt sie. Den Lokalpolitikern hält sie entgegen, diese flexibel einsetzbaren Räume seien keineswegs Luxus. Es gehe darum, ein Umfeld zu schaffen, in dem Kinder gut lernen könnten und sich wohlfühlten. Außerdem, so lautet einer ihrer Lieblingssätze: "Es gibt nichts Teureres, als eine zu klein gebaute Schule." In München kennt sie eine Schule, die kurz nach der Eröffnung schon wieder zu wenig Klassenzimmer hat. Nun muss ein Teil der Kinder wieder umziehen in Container, die Schule wird für viel Geld erweitert. Das sollte den Kommunen, für die sie plant, nicht passieren.

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