Was die Klasse 2d der Bergmannschule in den vergangenen Wochen erlebt hat, das kennen sehr viele Münchner Kinder. Zuerst war ihre Lehrerin nur krank, doch dann zeichnete sich ab, dass sie in diesem Schuljahr gar nicht mehr kommen würde. Die 20 Kinder wurden erst aufgeteilt, dann hatten sie ein paar Tage lang doch eine gemeinsame Lehrkraft, nur um anschließend wieder auf andere Klassen verteilt zu werden. In diesen Wochen bekamen die Mädchen und Buben erstmals Noten. "Ein unglücklicher Zufall", sagt Mutter Katharina Lindemann. Für die Kinder, gerade die leistungsschwächeren, sei diese chaotische Zeit sehr zermürbend gewesen.
Doch nun scheint die Welt an der Bergmannschule wieder in Ordnung zu sein. Plötzlich zauberte die Schule eine engagierte Klassenlehrerin aus dem Hut, zwar nur an vier Tagen in der Woche, aber immerhin. Über diese Lösung hätten sich die Eltern sehr gefreut, sagt Lindemann, bis sie erfahren hätten, woher die Lehrerin kam. Sie unterrichtete die Förderklasse für Kinder, die kaum Deutsch sprechen, und die wurde aufgelöst. Statt Sprachunterricht in einer kleinen Gruppe sitzen die Schüler in der regulären Klasse. Eine Zumutung für die Kinder, eine riesige Mehrbelastung für die Lehrer, resümiert Lindemann.
Tatsächlich passiert das in München häufig. Die Stadt ist von einem ständigen Lehrkräftemangel geplagt, vor allem in der Grundschule. Fast 300 Aushilfslehrer führt das Schulamt in einer Liste, deren Zahl wurde im September erst um 79 Personen aufgestockt. Doch schon im Winter waren sie alle an Schulen eingesetzt, sei es, weil eine Lehrkraft erkrankte, schwanger wurde oder in Pension ging. Vertretungslehrer gibt es nurmehr, wenn eine mobile Reserve frei wird. Sonst muss die Schule sich selbst organisieren.
An der Bergmannschule ist das nicht leichtfertig geschehen. Schon seit November 2016 fehlt eine Lehrkraft, für die das Schulamt Ersatz geschickt hat. Eine weitere mobile Reserve gibt es nicht. Die Auflösung der Deutschförderklasse sei pädagogisch möglich gewesen, sagt Schulamtsleiterin Alexandra Brumann. Ein Großteil der betroffenen Eltern sei mit der jetzigen Lösung zufrieden.
Ein Einzelfall ist die Bergmannschule dennoch nicht: 36 von 2670 Klassen an Grund- und Mittelschulen hätten derzeit keine eigene Klassleitung. Dort gebe es besagte schulinterne Lösungen: Zusätzlicher Unterricht wie Arbeitsgemeinschaften oder Deutschstunden fällt aus, damit der Pflichtunterricht stattfinden kann. "Dies involviert vereinzelt auch Übergangsklassen und Deutschförderklassen", sagt Brumann. Zum Vergleich: Im vergangenen Jahr fehlten zum gleichen Zeitpunkt 44 Klassenleiter.
Keine Lehrkräfte für die Förderklassen
Der Münchner Lehrerverband sieht solche Maßnahmen kritisch, auch wenn derzeit wenige Klassen betroffen sind. Kinder, die vor kurzem erst nach Deutschland gekommen seien, bräuchten den geschützten Rahmen einer Deutschförder- oder Übergangsklasse, sagt die Vorsitzende Waltraud Lučić. Deutschförderklassen gibt es in den Jahrgangsstufen eins und zwei. Die Kinder werden mit ihren Altersgenossen in den Hauptfächern unterrichtet und haben eigenen Deutschunterricht. In den Übergangsklassen in den Stufen drei mit neun sind die Schüler die ganze Zeit über zusammen im Verband und werden speziell gefördert.
Höchstens zwei Jahre bleiben die Kinder und Jugendlichen dort, dann wechseln sie in eine Regelklasse. Diese Zeit sollte man ihnen auch geben, sagt Lučić. In den Förderklassen lernten die Schüler nicht nur Deutsch, sondern auch, wie man einkaufen geht, die U-Bahn benutzt oder einen Arzttermin ausmacht. Und für traumatisierte Flüchtlingskinder, die nicht wissen, ob und wie lange sie in Deutschland bleiben dürften, seien die Klassen auch ein Stück Heimat und Sicherheit, sagt Lučić. Zur Not müsste die Lehrerreserve in München eben mehr aufgestockt werden als im restlichen Bayern.
Ähnlich sieht das auch Katharina Lindemann, die Mutter aus der Bergmannschule: In einer Stadt,in die jeden Monat durchschnittlich knapp 2500 neue Bürger ziehen, müsse es doch einen größeren Puffer an Lehren geben. Schließlich sei München eine reiche Stadt in einem reichen Bundesland.