75 Jahre Grundgesetz:Kann Schule Demokratie?

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Sie wollen mitreden: Im Publikum der Podiumsdiskussion zur Demokratie in der Schule sitzen 80 Kinder und Jugendliche. (Foto: Florian Peljak)

Im Unterricht sollen Werte vermittelt und Kinder zu Demokraten erzogen werden. Aber kann das in einem hierarchischen Schulsystem überhaupt funktionieren?

Von Kathrin Aldenhoff

Die Jugendlichen an der Mittelschule in Großhadern haben den Schulbeginn verschoben. Morgens länger schlafen, erst zur zweiten Stunde kommen - und das Beste: Die Schülerinnen und Schüler haben das selbst entschieden. Nicht ganz allein, es gab Gespräche mit den Eltern, mit Lehrkräften und der Schulleitung, und natürlich musste die Schulstunde hinten drangehängt werden. Aber: Es war ein Versuch, die Neunt- und Zehntklässler mitentscheiden zu lassen - und er ist gelungen, so erzählt es Schulleiterin Gabriele Orsolleck. Ein kleines Stückchen Mitbestimmung, ein kleines Stückchen Demokratie.

In der Schule lernt man lesen, ja, aber Schule hat auch den Auftrag, aus Kindern mündige Bürger zu machen. Ihnen Werte zu vermitteln, sie zu Demokraten zu erziehen. Nur: Kann das in solch einer hierarchischen Institution überhaupt gelingen? Kann Schule Demokratie? Um diese Fragen zu diskutieren, haben sich Stadtschulrat Florian Kraus (Grüne), Martin Fuchsberger vom Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverband (BLLV), Schulleiterin Orsolleck und der Schüler Hans Cahn auf einem Podium im Haus der Schüler versammelt. Und rund 80 Schülerinnen und Schüler im Publikum.

Damit zumindest diese Podiumsdiskussion demokratischer ist, haben alle im Publikum zwei Zettel bekommen, einen grünen und einen roten; die sollen sie heben, je nachdem ob sie einer Aussage zustimmen oder nicht.

Orsolleck erzählt auch vom Schülerparlament und vom Klassenrat, den es einmal die Woche gibt. Die Schüler reichen Themen ein, dann rücken sie die Tische beiseite und besprechen eines nach dem anderen. Mal geht es um Ausflüge, mal um einen Streit zwischen Kindern, einen Konflikt mit einer Lehrkraft. Oder auch um die Menge der Hausaufgaben. "Wir sind oft überrascht, was für Ideen unsere Schüler haben, um mit Problemen umzugehen", sagt Orsolleck.

Nur: Von den etwa 80 Kindern und Jugendlichen, die im Publikum sitzen und der Podiumsdiskussion lauschen, haben gerade einmal zwei einen Klassenrat. Alle anderen heben auf die Frage danach ihren roten Zettel in die Höhe. "Das habe ich befürchtet", sagt Martin Fuchsberger. Er ist Grundschullehrer und erzählt, er mache seit 20 Jahren Klassenrat mit seinen Schülern. "Leider machen meine Kolleginnen da selten mit." Zu wenig Zeit, das sei oft das Argument. Und bei vielen sei da auch Angst, Macht und damit Kontrolle abzugeben.

"Wir leben Demokratie zu wenig an den Schulen", sagt Hans Cahn, 18 Jahre alt und Abiturient, der als Vertreter der Schüler auf dem Podium sitzt. "Schulleiter nehmen Schülervertreter zu wenig ernst. Dabei sind die Schüler der größte Teil der Schulgemeinschaft, und das sollte endlich so gewichtet werden." Es ist der erste Satz vom Podium, dem das Publikum laut applaudiert. Wie es aussieht, besteht bei den Schulen noch Nachholbedarf in Sachen Demokratie - auf jeden Fall aus Sicht dieser Schülerinnen und Schüler.

Wie gerecht ist Bildung?, fragt ein 14-Jähriger. Und trifft damit eines der zentralen Themen der Bildungspolitik. (Foto: Florian Peljak)
Rot heißt in diesem Fall Nein: Die Schülerinnen antworten auf die Frage, ob sie einen Klassenrat haben. (Foto: Florian Peljak)
Was bedeutet Demokratie, seit wann gibt es sie? Und wo ist sie entstanden? Solche Fragen stellen Schülerinnen und Schüler den Erwachsenen auf dem Podium. (Foto: Florian Peljak)

Ja, es gibt eine Klassensprecherwahl, die Schülersprecherwahl, und bei Ausflügen dürfen sie mitbestimmen, wohin es geht, erzählen einige. Viel mehr fällt ihnen auf die Frage, was an ihrer Schule demokratisch ist, nicht ein. Wann Pause gemacht wird, in welchem Tempo gelernt wird und wo, in welcher Reihenfolge die Themen aus dem Lehrplan durchgenommen werden - all das entscheiden meist die Lehrkräfte allein.

Und dann sind da ja noch die Noten. Stadtschulrat Florian Kraus spricht es an: "Solange Lehrer die Macht der Noten haben, haben wir nie die volle Demokratie in der Schule." Bisher würden Versuche, daran etwas zu ändern, skeptisch gesehen. Aber man müsse Dinge ausprobieren, neue Verfahren entwickeln und aus Fehlern lernen. "Die Schule insgesamt ist noch sehr hierarchisch", sagt Kraus. "An den städtischen Schulen versuchen wir, das mit einer erweiterten Schulleitung zu verändern. Aber am Ende steht eine Person an der Spitze, das wird man nicht vollkommen abschaffen."

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Von Kathrin Aldenhoff

Das Bildungsreferat hat eine Aktionswoche zu 75 Jahren Grundgesetz organisiert, verschiedene Projekte sollen Kinder und Jugendliche für das Grundgesetz begeistern, für die Demokratie. Die Podiumsdiskussion ist eine der Aktionen. "Wir wollen dazu beitragen, dass sie die Demokratie zu schätzen wissen", sagt Kraus. Was ihn selbst am Grundgesetz begeistert? "Dass der Mensch ganz am Anfang steht. Dass Demokratie unsere Freiheit schafft."

Noch kann sich nicht jedes Kind im Publikum das Wort Demokratie merken, aber die ganz großen Themen werden doch angesprochen. Wie gerecht ist Bildung?, fragt ein 14-Jähriger. Schüler Hans Cahn sagt, die Kinder würden in Bayern zu früh auf das dreigliedrige Schulsystem aufgeteilt. Und dass es eine Ganztagsbetreuung brauche, die alle Kinder unterstütze, und mehr Förderung für Familien mit wenig Geld. Mehrmals wird betont, wie wichtig die demokratische Bildung an den Schulen sei, und dass sie dringend gestärkt werden müsse, und zwar jetzt, wo doch die AfD bei der Jugendwahl in Bayern vergangenes Jahr 15 Prozent der Stimmen erhielt.

"Wir müssen im Kleinen anfangen und miteinander gut und vernünftig umgehen. Und nicht andere abwerten oder beleidigen, weil sie anders aussehen oder eine andere Nationalität haben", sagt Schulleiterin Orsolleck. Sie hat noch ein Beispiel mitgebracht, wie es gelingen kann, Schüler mitentscheiden zu lassen: Die jüngeren Kinder beschwerten sich, dass nur die älteren in der Pause in der Aula bleiben dürfen, sie aber raus auf den Pausenhof mussten. Sie wollten selbst bestimmen, wo sie ihre Pause verbringen. Alle Lehrer seien skeptisch gewesen, erzählt Orsolleck. Seit einigen Monaten probieren sie es aus, und sie merken: Die Schüler sind zufriedener. Es funktioniert, sagt die Schulleiterin. Und gibt zu, dass das alle überrascht hat.

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