Süddeutsche Zeitung

Polizei in München:Drei Schüsse, die Fragen aufwerfen

  • Ein Polizist hat am Mittwoch in Trudering auf das Auto eines fliehenden Betrügers geschossen.
  • Zwar dürfen Polizisten laut Polizeiaufgabengesetz auf fliehende Personen schießen, "wenn sie eines Verbrechens dringend verdächtig sind".
  • Allerdings hätten auf der belebten Truderinger Straße Passanten durch Querschläger verletzt werden können.

Von Julian Hans

Nach den Schüssen auf ein Fluchtauto am Mittwoch im Stadtteil Trudering versucht die Polizei den Ablauf der Ereignisse zu rekonstruieren. Insbesondere die Frage, ob es angemessen war, auf einer belebten Straße auf das Auto eines einfachen Betrügers zu schießen, beschäftigt die Ermittler.

Ausgelöst wurde der Einsatz nach einem Anruf des Juweliers Baier in der Truderinger Straße. Dieser hatte seit Mitte des Monats in sechs Fällen von drei Unbekannten Ware gekauft, die er nach erster Prüfung für echtes Zahngold hielt. Insgesamt bezahlte er etwa 10 000 Euro dafür. Nachdem er das vermeintliche Gold zum Einschmelzen gebracht hatte, stellte sich heraus, dass es sich um wertloses Material handelte. Als die Betrüger am Mittwoch erneut kommen wollten, verständigte er die Polizei.

Die Polizeiinspektion in Perlach schickte eine Zivilstreife; ein Beamter wartete im Juweliergeschäft auf die Täter, der andere davor. Als der erste Tatverdächtige gegen 12.30 Uhr das Geschäft betrat, wurde er festgenommen. Der zweite Tatverdächtige hatte in der Nähe in einem BMW gewartet. Als der zweite Polizeibeamte ihn kontrollieren wollte, versuchte er zu fliehen. Der Polizist schoss drei Mal auf den Wagen. Ein Projektil traf ein Seitenfenster, die anderen den Radkasten und das Fahrgestell.

Dem Tatverdächtigen gelang dennoch die Flucht; gegen 14 Uhr fand die Polizei den leeren BMW in der Nähe des Tatorts. Trotz einer Großfahndung konnte der Flüchtige am Mittwoch nicht gefunden werden. Die Polizei verzichtete auf eine öffentliche Fahndung mit Personenbeschreibung, da es vielversprechende andere Fahndungsansätze gebe, erklärte Polizeisprecher Marcus da Gloria Martins am Donnerstag: "Ein abgestelltes Fluchtauto ist eine Goldgrube an Spuren", sagte er. "Wir sind sehr zuversichtlich, dass wir den Tatverdächtigen in Kürze identifizieren, wenn nicht sogar festnehmen können."

Insgesamt waren am Mittwoch mehr als drei Dutzend Beamte mit dem Fall befasst. In einer ersten Alarmierungswelle wurden alle verfügbaren Streifen der umliegenden Polizeiinspektionen zur Fahndung abgestellt. Dazu kommen im nächsten Schritt die Experten der Fachdienststellen: Die Spurensicherung und die Beamten des Kommissariats 11, das immer ermittelt, wenn Polizeibeamte von ihrer Dienstwaffe Gebrauch gemacht haben. Allein mit dem Absuchen des zurückgelassenen Fluchtfahrzeugs sind mehrere Beamte beschäftigt. Die Befragung der Anwohner übernahmen Beamte der Bereitschaftspolizei.

Der Gebrauch der Schusswaffe ist im Polizeiaufgabengesetz geregelt, eine umstrittene Reform aus dem vergangenen Jahr hat daran nichts geändert. Nach Artikel 83 dürfen Schusswaffen nur gebraucht werden, wenn alle anderen Maßnahmen erfolglos angewandt wurden oder keinen Erfolg versprechen. Schüsse auf Personen sind nur als letztes Mittel erlaubt.

Im aktuellen Fall greift Artikel 84 Absatz 3. Demnach darf auf fliehende Personen geschossen werden, "wenn sie eines Verbrechens dringend verdächtig sind". Die Polizei wertet den wiederholten Verkauf von Falschgold als gewerbsmäßigen Bandenbetrug, womit ein Verbrechenstatbestand gegeben wäre. Allerdings bleibt der Gebrauch der Pistole selbst dann Abwägungssache. Eine wichtige Frage ist dabei eine mögliche Gefährdung Unbeteiligter. Auf der belebten Truderinger Straße hätten um die Mittagszeit durchaus Passanten von Querschlägern verletzt werden können. "Schusswaffengebrauch ist unzulässig, wenn für den Polizeibeamten erkennbar Unbeteiligte mit hoher Wahrscheinlichkeit gefährdet werden", heißt es in Artikel 83. Das K11 versucht daher unter anderem zu rekonstruieren, aus welchem Winkel genau und mit welchem Ziel der 41-jährige Beamte schoss.

In der Ausbildung werden Polizisten vor Schüssen auf Autos gewarnt. Ein beschädigter Pkw, der außer Kontrolle gerät, kann Dritte in Gefahr bringen. In München schießt die Polizei selten. Drei Schüsse waren es im vergangenen Jahr, davon zwei Warnschüsse, einer gegen Sachen und kein einziger gegen Personen. Am Donnerstag fiel in München ein weiterer Warnschuss: Ein Polizist hatte sich von einem Hund bedroht gefühlt.

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SZ vom 29.03.2019/baso
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