Schüler aus München:Mit 13 in den Dschihad

  • Ein 13-Jähriger aus München wollte sich in Syrien der Terrormiliz IS anschließen.
  • Die Polizei hat den Jugendlichen im türkisch-syrischen Grenzgebiet festgenommen.
  • Der Junge soll nicht allein gewesen sein, sondern die Reise in den Dschihad gemeinsam mit einer weiblichen Verwandten angetreten haben.

Von Katja Riedel

Ein 13-Jähriger aus München hat versucht, sich in Syrien der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) anzuschließen. Der türkischen und deutschen Polizei sowie Geheimdiensten gelang es, den Jungen am vergangenen Freitag in der türkisch-syrischen Grenzregion in Gaziantep aufzuspüren und festzunehmen.

So war es am Dienstag in dem Internet-Blog "Erasmus Monitor" zu lesen. Dieser Blog, der seit Längerem intensiv über die Szene der Gotteskrieger berichtet, soll den Behörden auch dabei geholfen haben, den Jungen aufzuspüren und auf seinem Weg nach Syrien zu stoppen.

Sicherheitskreise bestätigten der Süddeutschen Zeitung den Fall. Er ist so besonders wie typisch für die Radikalisierungsgeschichten junger Männer und Frauen aus Europa, die sich dem IS und anderen dschihadistischen Gruppen anschließen, um dem vermeintlichen Gottesstaat zu dienen.

750 sind nach aktuellen, offiziellen Zahlen aus Deutschland in die Kriegsgebiete ausgereist, darunter etwa 100 Frauen - doch die tatsächliche Zahl ist wohl deutlich höher. Etwa ein Drittel von ihnen soll inzwischen nach Deutschland zurückgekehrt sein. Ein erst 13-Jähriger, der sich selbstständig auf die Reise macht - das hat es in Bayern unter den Ausgereisten bisher noch nicht gegeben.

Mit gestohlenem Pass unterwegs

Der Junge soll nicht allein gewesen sein, sondern die Reise zum Dschihad gemeinsam mit einer weiblichen Verwandten angetreten haben, die plante, in Syrien einen IS-Kämpfer zu heiraten. Als ihr an der Grenze zur Türkei das Visum verwehrt wurde, soll der 13-Jährige, der wohl deutlich älter wirkt, alleine weitergereist sein - mit einem in München gestohlenen Pass eines Deutsch-Türken.

Der Reise in die Türkei ging offenbar eine längere Zugfahrt durch Europa voran, der 13-Jährige passierte dabei mithilfe des falschen Dokuments problemlos mehrere Grenzübergänge.

Radikalisiert hat er sich wohl in München. Es gibt Fotos und Videos, die den 13-Jährigen an den Koranverteilungsständen der "Lies"-Organisation zeigen, die der Verein "Die wahre Religion" betreibt. Er verteilt vor allem in deutschen, inzwischen aber auch anderen europäischen Großstädten kostenlos Korane in der Landessprache.

Salafistische Szene in München ist gewachsen

Immer wieder sind in den vergangenen Monaten junge Männer und auch einige Frauen von den Lies-Ständen zum IS aufgebrochen, obwohl Lies und prominente Gesichter wie der salafistische Prediger Pierre Vogel jeglichen Zusammenhang bestreiten. Die alleinerziehende Mutter des 13-Jährigen soll die Radikalisierung ihres Sohnes bemerkt und ihn deshalb in ein Jugendheim nach Dachau gegeben haben, schreibt der Blog Erasmus-Monitor.

Junge Menschen, "die in einem instabilen sozialen Umfeld leben und auf der Suche nach Orientierung, Halt und Anerkennung sind", seien die Hauptzielgruppe salafistischer Propaganda, sagt ein Sprecher des Verfassungsschutzes. Mehrere Studien haben ergeben, dass gerade das Fehlen einer Vaterfigur oder Konflikte in der Familie Jugendliche dafür anfällig machen, in die Fänge von Extremisten zu geraten. Viele Familien, vor allem solche, die selbst einen gemäßigten Islam leben, bemerken zu spät, wie weit sich die Kinder bereits von ihnen entfernt haben.

Die salafistische Szene umfasst in München etwa 200 Personen, ihre Zahl ist laut Verfassungsschutz in den vergangenen Jahren "deutlich" gestiegen. 16 von ihnen werden von den Behörden als sogenannte Gefährder bewertet und beobachtet. In der Münchner Salafistenszene trieben sich auffallend viele junge Menschen herum, ist aus Sicherheitskreisen zu hören. Zugleich beobachte man hier "intensive Rekrutierungsaktivitäten". Für den IS seien die jungen Europäer weniger als tatsächliche Kämpfer interessant, als zu Propagandazwecken.

Wie solche Radikalisierungsprozesse ablaufen, wird derzeit an mehreren Universitäten weltweit untersucht - auch, um mögliche Zeitfenster zu finden, in denen die Jugendlichen für Familien oder Sozialarbeiter noch ansprechbar sind.

Endstation am Busbahnhof

Auf die Spur des 13-Jährigen kamen die Ermittler - und vor allem der Blogger - über das Internet. In sozialen Netzwerken wie Facebook schrieb der Münchner offenbar vermeintliche Terrorhelfer an, die ihm von Gaziantep über die Grenze helfen sollten - ein üblicher Weg, diesseits und jenseits der Grenze arbeitet der IS mit zahlreichen Mittelsleuten zusammen.

In den sozialen Netzwerken tummeln sich jedoch nicht nur Terroristen, sondern auch Ermittler und Reporter, die zu Recherchezwecken falsche Profile betreiben. So fand der 13-Jährige seinen vermeintlichen Ausreisehelfer, den Journalisten. Der informierte offenbar das Auswärtige Amt und das Bundeskriminalamt, auch Verfassungsschützer sowie türkische Polizei und Geheimdienst sollen an der Aktion beteiligt gewesen sein.

So endete die Reise des 13-Jährigen nicht in der Islamistenhochburg Rakka, sondern zunächst am Busbahnhof Gaziantep. Er soll nun wieder nach Deutschland gebracht werden.

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