Süddeutsche Zeitung

Unternehmen:Die Prinzessin auf dem Schrottplatz

Nicole Schindelar übernahm den Betrieb ihres Vaters. Auf Instagram dokumentiert sie, wie sie sich in einer Welt voll Männern mit Tattoos und Goldkettchen behauptet.

Von Linus Freymark

Die Hände sind schwarz vom Öl, lächelnd hält sie Nicole Schindelar in die Kamera. Maniküre am Schrottplatz steht unter dem Bild, im Hintergrund stapeln sich Werkzeuge und Autoteile. Auf einem anderen Bild posiert sie im dunkelroten, samtigen Abendkleid zwischen Stoßdämpfern, um ihr linkes Handgelenk hat sie sich einen Eisenring geschnallt.

Nicole Schindelar, 31, nennt sich bei Instagram "Schrottplatzprinzessin". Sie ist in dritter Generation Chefin des Autoservices Schindelar. Ihr ist klar, dass die Schrottplatzromantik auf ihrem Profil wenig mit der Wirklichkeit zu tun hat. Aber sie braucht diesen Gegensatz aus Schönheit und Dreck irgendwie. "Das hier spiegelt mich wider", sagt sie.

2014 hat Schindelar den Schrottplatz von ihrem verstorbenen Vater übernommen. 27 Jahre alt war sie damals. Seither muss sie sich in einer Männerwelt behaupten. Mal muss sie die harte Geschäftsfrau spielen, mal die einfühlsame Psychologin, zu der ihre Mitarbeiter kommen können, wenn es Probleme gibt. "Das ist total anstrengend", sagt sie. Sie sagt aber auch, dass sie sich keinen anderen Job vorstellen kann. Es ist mittlerweile ihr Traumjob, obwohl es Seiten gibt, die einfach nur "beschissen" sind.

Warum sie sich vor vier Jahren dazu entschlossen hat, auf einem Schrottplatz zu arbeiten, weiß sie nicht genau. Vielleicht hat sie es zur Trauerbewältigung gemacht - der Vater war ihr enorm wichtig. Vielleicht hat sie es auch gemacht, weil es ihr Vater so gewollt hätte. Denn mit Mitte 20 ist Schindelar eine junge Frau, die es allen recht machen möchte. Als letztes hat sie damals an sich selbst gedacht. Heute sagt sie: "Man braucht ein gesundes Maß an Egoismus."

"Nur weil ich auf einem Schrottplatz arbeite, muss ich keinen Blaumann tragen"

Schindelar läuft in Röhrenjeans und kurzen Stiefeln durch die Werkstatt, die zum Schrottplatz gehört. Ein Auto steht aufgebockt in der Halle, Öl und Wasser fließen auf den Boden. Schindelar ist es egal, ob die Klamotten schmutzig werden. "Das gehört dazu", sagt sie. Sie trägt eine schicke Bluse unterm Pulli. "Nur weil ich auf einem Schrottplatz arbeite, muss ich keinen Blaumann tragen", sagt sie.

Schindelar hat immer darauf geachtet, ihre "Weiblichkeit", wie sie es nennt, zwischen dem ganzen Testosteron, das auf einem Schrottplatz zu spüren ist, zu behalten. Die Welt, in der sie sich seit vier Jahren bewegt, wird von breitschultrigen Männern mit Tattoos und Goldkette dominiert. Schindelar hat das zu spüren gekriegt. Es gab Kunden, die nicht mit ihr sprechen wollten. Kunden, die ihr ins Gesicht gesagt haben, dass das daran liegt, dass sie eine Frau ist. Und es gab Mitarbeiter, die sie nicht als Chefin akzeptiert haben. Mitarbeiter, die ihr ins Gesicht gesagt haben, dass das daran liegt, dass sie eine Frau ist. Autos sind wichtiger Bestandteil einer sexistischen Männerwelt - Frauen, so das Vorurteil, haben in einer Werkstatt nichts zu suchen. Und wenn, dann nur halb nackt auf einem Kalender, der auch bei Schindelars Betrieb in der Garage hängt.

Nicole Schindelar läuft an der Schrottpresse vorbei, die gerade knirschend einen schrottreifen Opel zerdrückt. Schindelars Pferdeschwanz wippt beim Gehen. Etwas weiter steht ein Autowrack, das so verkohlt ist, dass man die Marke nicht mehr erkennt. Ein Unfallwagen. Was mit dem Fahrer passiert ist, weiß Schindelar nicht. Bei manchen Wracks, die von den Unfallorten zu ihr gebracht werden, will sie das auch lieber gar nicht wissen.

Schindelar hat mittlerweile gelernt, Autos auszuschlachten. Als Chefin sollte man wissen, was die Mitarbeiter können müssen, sagt sie. Und auch selbst mit anpacken. Nicole Schindelar, das Mäuschen von früher, wie sie sich selbst nennt, ist heute viel zufriedener mit sich. "Mittlerweile mag ich mich sehr gerne", sagt sie. Sie ist stolz auf ihren "Schrotti", auf dem zwar nicht alles so "cheezy" ist, wie es auf Instagram aussieht, aber von dem sie auf gar keinen Fall mehr weg möchte.

Sie ist den ganzen Tag unterwegs. In der Werkstatt. Bei der Schrottpresse. Bei den Autowracks. "Herumwuseln" nennt Schindelar ihre Runden über den Schrottplatz. Jedem ihrer Mitarbeiter ruft sie dabei ein "Servus!" zu und stört sich nicht an dem zurückgeraunzten "Mahlzeit!" An den rauen Umgangston in der Werkstatt hat sie sich inzwischen gewöhnt.

Im Büro oben im ersten Stock ist sie immer nur für ein oder zwei Stunden. Vielleicht liegt das an der Einrichtung. Schindelar hat hier nach dem Tod ihres Vaters nur wenig verändert. Der halbe Raum wird von einem Besprechungstisch ausgefüllt, Stühle mit schwarzem Lederüberzug stehen um ihn herum.

Wenn sie von ihrer Anfangszeit auf dem Schrottplatz im Osten von München erzählt, wird Schindelar nachdenklich. Ihr Blick wandert dann zum Fenster. Zwischen den Sätzen macht sie lange Pausen. Einfach waren die ersten Jahre nicht.

Schindelar hat nach dem Abitur Kommunikationsdesign studiert und eine kleine Agentur gegründet. Dann stirbt der Vater und Schindelar, "ein absolutes Papakind", tritt in seine Fußstapfen. Anstatt im sauberen Büro in Schwabing arbeitet sie nun zwischen ölversifften Motoren und durchgerosteten Heckklappen. Hinzu kommt die Verantwortung für 50 Mitarbeiter, bei denen sie tagtäglich um Autorität kämpfen muss.

Ständig muss sie Führungsstärke an den Tag legen, die sie sich gerade erst aufbaut. Sie muss sich in Geschäftsbilanzen und Personalverwaltung einarbeiten. Dazu kommt der finanzielle Druck, Schindelars Existenz hängt vom Schrottplatz und der Werkstatt ab. Sie arbeitet wie eine Besessene, manchmal 15 Stunden am Tag. Die Angst, es nicht zu schaffen, nimmt sie mit nach Hause. Sie bekommt Migräne, Magenprobleme. Nachts kann sie nicht schlafen.

Wieder lässt Nicole Schindelar den Blick aus dem Fenster schweifen, wieder macht sie eine Pause zwischen den Sätzen. Dann sagt sie, dass sie in den vergangenen vier Jahren ein komplett anderer Mensch geworden ist und dass ihre Sekretärin, die sie noch von früher kennt, manchmal sagt: "Es ist traurig, wie ernst du geworden bist."

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Quelle:
SZ vom 03.11.2018/huy/bhi
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