Kunstgeschichte:Klare Linien für Außerirdische

Varianten der Schriftart Futura

In dieser Illustration sind die Varianten Futura Condensed Extra Bold und Futura Medium zu sehen.

(Foto: Paul Renner, Illustration: Sara Scholz)

Eine Ausstellung in der Uni-Bibliothek widmet sich dem Grafikdesigner Paul Renner. Kennen Sie nicht? Dabei gestaltete der eine der berühmtesten Schriftarten aller Zeiten.

Von Sabine Buchwald

"We came in peace for all mankind", wir kamen in Frieden für die ganze Menschheit. Diese Botschaft steht in schwarzen Großbuchstaben graviert auf einer knapp DIN-A-5 großen Metallplatte. Sie flog 1969 mit dem Apollo-11-Team zum Mond und wartet seitdem dort darauf, von einem intelligenten extraterrestrischen Lebewesen gefunden zu werden. Keine Strichlein oder sonstigen Schriftschnörkel lenken von den Worten ab. Sie sind in "Futura" gesetzt. Eine Schrift, die in den Zwanzigerjahren der Buchgestalter, Maler und Typograf Paul Renner entwickelt hat. Mit ihren gleichmäßigen Rundungen und ausgewogenen Strichlängen wirkt sie bis heute zeitlos modern. "Die typographischen Möglichkeiten, die der Futura inne wohnen, sind unbegrenzt (...)." Sie werde die Schrift der Zukunft bleiben. So warb die Bauersche Gießerei Frankfurt, eine der ersten Firmen, die die Futura setzten.

Ihr Schöpfer Paul Renner, 1878 in Sachsen-Anhalt geboren, hat in München an der Kunstakademie studiert. Ab 1907 arbeitete er für den Münchner Verleger Georg Müller, 1911 gründete er gemeinsam mit Emil Preetorius die Münchner Buchgewerbeschule und leitete von 1927 an die Münchner Meisterschule für Buchdrucker. Im selben Jahr schuf er nach intensiver Auseinandersetzung mit antiken Inschriften die serifenlose Antiqua-Schrift Futura. Für die Mondmission ausgewählt wurde sie wohl deshalb, weil die Buchstaben klar und deutlich lesbar sind. Jedenfalls für alle, die mit dem Alphabet etwas anfangen können.

Eine Replik der Platte liegt als Teil der Ausstellung "Paul Renner in seiner Zeit" in einer der zwölf Vitrinen, die seit ein paar Tagen im Eingangsbereich der Uni-Bibliothek zu sehen sind. Konzept und Themenauswahl für die Ausstellung erarbeiteten Germanistikstudenten im Rahmen eines Seminars bei Waldemar Fromm. Er leitet die Arbeitsstelle Literatur in Bayern an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU), angesiedelt am Institut für deutsche Philologie. Die Ausstellung ist das Ergebnis eines bemerkenswerten Projekts. Der Professor warf dafür seinen Lehrplan um, und die beteiligten fünf Studierenden gingen in ihrem Engagement weit über die vorgesehene Seminarstundenzahl hinaus. "So sollte Universität sein", sagte Fromm anlässlich der Eröffnung der Ausstellung.

Im Herbst 2017 hatte die in München wohnende Enkelin Paul Renners, Andrea Haushofer, der Bayerischen Staatsbibliothek dessen Nachlass übergeben. Fromm und seine Studenten durften die noch unkatalogisierten Fotos und Zeichnungen, Briefe und Bücher auswerten. "Jede Kiste war wie eine Überraschungsbox", sagt Laura Mokrohs, Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Zentrum der Buchwissenschaft der LMU und Kuratorin der Ausstellung. Wie man literarische Thematiken aufbereitet, ist ihr vertraut. Sie hat die Erich-Kästner-Schau 2016 im Literaturhaus mitgestaltet, und die aktuelle Ausstellung "Dichtung ist Revolution" in der Monacensia über Eisner, Mühsam, Landauer und Toller trägt ihre kuratorische Handschrift.

Paul Renner - Erfinder der Schriftart Futura

Paul Renner gestaltete in den Zwanzigerjahren unzählige Bücher, bekannt ist er aber vor allem als Schöpfer der Schriftart Futura.

(Foto: Bayerische Staatsbibliothek)

Nun also Paul Renner. "Wir hätten doppelt so viele Vitrinen füllen können", sagt Mokrohs. Nach dem derzeit gültigen Ausstellungsmotto "Weniger ist mehr" aber haben sie und die Studenten sorgsam ausgewählt und die Schaukästen luftig gestaltet. Die wenigen Porträtfotos Renners zeigen einen streng wirkenden, korrekt gescheitelten Mann mit hellen Augen und einer markant geraden Nase. Unerwartet sei für alle Renners Bedeutung als Maler gewesen, erzählt die Kuratorin. So sieht man ihn etwa auf einer Fotografie zusammen mit seiner Frau Anna "en plein air", im Freien, an der Staffelei stehen. Entstanden ist das Foto um 1904 auf einer Italienreise. Auf Vorder- und Rückseite einer Postkarte an Tochter Christine beweist er sich als Zeichner mit fast comichaftem Stil. In Fotografien seiner Ölgemälde erkennt man den versierten Landschaftsmaler. Seine akademische Ausbildung aber konnte Renner vor allem als Buchgestalter brauchen. Eindrücklich in der Ausstellung sind die Einbände, die Renner in der Art des Jugendstils entworfen hat.

Als Katalysator für seine Karriere stellt sich die Zusammenarbeit mit dem Verleger Georg Müller heraus. Von 1907 an gestaltet er mehrere hundert Bucheinbände für dessen Verlag. In den besten Zeiten brachte Müller, hoch verschuldet, bis zu 300 Neuerscheinungen pro Jahr auf den Markt. Man bedenke: ohne digitale Unterstützung, wie man sie heute in der Branche zeitsparend einsetzt. Die Korrespondenz wurde per Brief geführt, jede Skizze und auch die Ornamente auf den Buchdeckeln waren Handarbeit. Das hat dem jungen Familienvater offenbar viel Schlaf geraubt. Überliefert sind folgende Zeilen von ihm: Von früh bis tief in die Nacht musste ich zeichnen. Er sei sich vorgekommen, als ob er in den falschen Zug eingestiegen wäre.

Das Verhältnis zu seiner älteren Tochter Luise spielte in Renners Leben eine besondere Rolle, was auch in der Ausstellung herausgearbeitet ist. Renner war ein wacher Geist, der sich mit dem Zeitgeschehen befasste. Er hatte bereits 1926 auf einer Veranstaltung zum Thema "Kampf um München als Kulturzentrum", bei der neben anderen Thomas Mann, der Initiator, und dessen Bruder Heinrich sprachen, die Kulturpolitik der Nationalsozialisten kritisiert. Eine solche Haltung blieb nicht ohne Folgen. Im April 1933 verlor er prompt seine Stelle als Leiter der Meisterschule und wurde sogar kurzzeitig verhaftet. Scheu, Renners Schrift zu verwenden, hatten die Nazis aber nicht. Seinen Kopf rettete letztlich die Ehe Luises mit Heinz Haushofer, dessen Vater mit Rudolf Heß verkehrte. Paul Renner war sich dieses Schutzes in den folgenden Jahren sehr wohl bewusst. 1946 schreibt er in einem Brief an Luise anerkennend, dass er sein Leben dessen "Fürsprache und Verwendung" verdanke.

Die Kriegsjahre und auch das letzte Jahrzehnt bis zu seinem Tod 1956 verbrachte Renner in Hödingen am Bodensee, wo er malte, so viel er konnte. Obwohl seine klar strukturierte Futura etwas anderes vermuten ließe, wurde er künstlerisch nie abstrakt. "Schrift ist nicht nur der charakteristische Ausdruck des Einzelnen; sie kann auch der charakterologische Ausdruck eines Zeitalters sein", schrieb Renner als Theoretiker. Sicher hätte er sich darüber gefreut, dass Weltkonzerne wie Ikea, Volkswagen, FedEx, Calvin Klein die Futura im neuen Jahrtausend benutzen.

Paul Renner in seiner Zeit, bis 26. April 2019, geöffnet 9-22 Uhr, Universitätsbibliothek der LMU München, Ausleihhalle, Geschwister-Scholl-Platz 1.

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