Schorsch "Nikolaus" Thaller:Kein Osterhasi

Jeden Advent-Nachmittag verwandelt sich Schorsch Thaller in den Nikolaus. Bald will er ein Buch schreiben über die "poltschen" Erlebnisse am Marienplatz.

Agnes Fazekas

Wenn der Münchner Nikolaus über den Christkindlmarkt läuft, dann geht es tatsächlich zu wie in einem Klassiker von Gerhard Polt: Da werden Sportbuggies herumgerissen, um den stattlichen Heiligen unsanft ins Blickfeld der lieben Kleinen zu rücken und größeren Kindern wird in die Rippen geboxt, um sie Richtung Rauschebart zu bewegen. Die Kinder bekämen gar nicht die Chance, sich erst einmal mit seiner Gestalt vertraut zu machen, sagt Berufsnikolaus Schorsch Thaller. Obwohl er seine Erlebnisse zwischen Marienplatz und Rindermarkt fast wie der Komiker Gerhard Polt schildert, kann er die "Nikolausi...Osterhasi...." -Rufe nach fast fünf Jahren als Nikolaus bald nicht mehr hören.

Schorsch "Nikolaus" Thaller: Huldvolles Winken und bayerischer Humor - fast immer bleibt Nikolaus Michael Thaller locker.

Huldvolles Winken und bayerischer Humor - fast immer bleibt Nikolaus Michael Thaller locker.

(Foto: Foto: Agnes Fazekas)

Jeden Tag im Advent um 16 Uhr verschwindet der Künstler in der Christkindl-Werkstatt am Marienhof. Sein Einsatz als Nikolaus ist nur ein Zwischenspiel: Vorher hat er Hörgeräte verkauft, nachher wird er zur Gesangsprobe für das Gärtnerplatztheater gehen. Im Baucontainer schlüpft er in sein weißes Kleid, legt roten Mantel und Stola an und stülpt sich die Mitra über die falsche Lockenpracht. Die unpassende Brille legt er ab, für den Rundgang mit dem Bollerwagen muss es auch ohne gehen. Eigentlich tut auch die kalte Luft seiner Sängerstimme gar nicht gut. Damit er sich wenigstens keine Erkältung holt, trägt er drei paar Socken und Lammfelleinlagen in den Schuhen.

Nun sieht man nur noch seine Augen und die blitzen überraschend jung aus der liturgischen Verkleidung hervor. Denn in das passende Alter für einen echten Nikolaus muss der 36-jährige Thaller noch hineinwachsen. Trotzdem spielt er seine Rolle so gut, dass sich sein eigener Sohn bei einem Kindergartenauftritt freute: "Cool, mein Papa hat die gleichen Schuhe wie der Nikolaus."

Jetzt geht es hinaus in die Kälte, die meisten Kinder auf dem Chritskindlmarkt sind noch klein und bis zur Nase in ihren Buggys verpackt. Doch die verstohlenen Blicke auf das Holzwagerl kommen eher von den Erwachsenen. Schlichte Gaben sind darin: Mandarinen, Nikolausäpfel und Nüsse - manchmal auch Holzschmuck von einem der Stände. Die Marktleute kennt Thaller schon vom Oktoberfest vor einigen Jahren, da arbeitete er auf der Wiesn-Post und wurde von ihnen angesprochen, ob er nicht den Nikolaus spiele möchte. Kaum dreht er den neugierigen Blicken den Rücken zu, greift ein Erwachsener frech ins Wägelchen.

"Die Erwachsenen sind die Schlimmsten", ärgert sich Thaller und erzählt lachend, wie ihm einmal einer den Bart runterreißen wollte. Da hat er ihn festgehalten und ein Knacksen gehört: Der Finger des Neugierigen war wohl gebrochen - eilig verschwand der Mann in der Menge. "Das wollt' ich natürlich nicht", sagt Thaller. Der Nikolaus sei schließlich ein Lieber.

An der Mär, dass der Nikolaus nur die Braven möge, seien meist die Eltern Schuld, meint Thaller und ist sogleich in seinem Element. Er erinnert sich, was er als Kind einer traditionsbewussten, bayerischen Familie gelernt hat. Nämlich, dass der Nikolaus wie das ganze Christentum seinen Ursprung in Kleinasien hat und der Bischof als einer der Heiligen gilt, die an zwei Orten gleichzeitg auftauchen können. Eine der Legenden um den Nikolaus erzählt, dass ein armer Vater seine Töchter zur Prostitution angehalten hätte, um ihre Mitgift zu zahlen. Am nächsten Tag fanden die Jungfrauen Goldklumpen in ihren Schuhen.

Kein Osterhasi

Da wird schon wieder ein Sportkinderwagen hastig gewendet, um dem Nikolaus den Weg abzuschneiden: Thaller winkt huldvoll mit seinen weißen Handschuhen, lässt sich fotografieren und reicht eine Mandarine oder einen Apfel. Auf strenge Belehrungen verzichtet er, auch einen Rupprecht hat er nicht dabei. Dafür begleiten ihn samstags zwei Engerl.

Jetzt will er ein Weihnachtslied hören. Die ältere Dame ziert sich noch. Nur "Jingle Bells" fällt ihr ein. Da braust der Nikolaus auf: "Ja kennen S' den nix Handfestes, was Bayerisches?" Zaghaft singt die Frau im Chor mit dem geschulten Tenor Thallers schließlich ein "Ihr Kinderlein kommet" und bekommt eine Mandarine. Kurz vor Weihnachten - viele Kinder dürften ihren Adventskalender schon geleert und die meisten Erwachsenen die dritte Weihnachtsfeier hinter sich haben - sind da Äpfel und Mandarinen überhaupt noch was Besonderes? Anscheinend schon - der Nikolaus kann sich nicht über mangelnden Absatz beklagen und auch die Lieder werden brav gesungen. Die Kinder strahlen und finden den Mann vorallem "schön". Nur ein kleiner Junge will keinen Apfel: "Ich hab schon einen."

Direkte Rufleitung zu Merkel und Ude

Manche verwechseln Thaller auch mit einer direkten Rufleitung zu Bundeskanzlerin Angela Merkel und Oberbürgermeister Christian Ude. Doch als amtierender Nikolaus wundert er sich über gar nichts mehr. Nur Eines bringt ihn aus der Ruhe: Wenn ihn jemand für den "Weihnachtsmann" hält - das geht ihm gegen den Strich seines urbayerischen Fells.

Auf dem Rückweg begrüßt Thaller Verkäufer an ihren Ständen und reicht auch ihnen Obst, damit sie sich die letzten Tagen nicht noch einen Schnupfen holen. Auch dem Bettler am Marienhof schenkt er einen Apfel und ein paar nette Worte.

Dann geht es zurück in den warmen Container. Thaller schält sich aus den Schichten seines Kostüms, nimmt die Perücke ab und kämmt sich sein Haar. Nur der Bauch unter dem roten Mantel war echt. Unter dem Wallebart kommt ein rötlicher Zwirbelbart zum Vorschein. Mit ein bisschen Pomade bringt er die Enden in Schwung. In seinem fusseligen Wollpullover und mit dem eher spärlichen Haupthaar hat Thaller jetzt nicht mehr viel Ähnlichkeit mit einem edlen Heiligen. Dafür sieht er wieder aus wie ein Münchner Original. Über seine irrwitzigen Erlebnisse als Nikolaus will er irgendwann einmal ein Buch schreiben.

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