Süddeutsche Zeitung

Schneefall:In Solln schaufeln die Fahrgäste selbst die S-Bahn-Station frei

Die Bahn kommt mit dem Winterdienst nicht hinterher - und verweist auf 700 Bahnhöfe, die von den Schneemassen befreit werden müssen. Irgendwann reicht es den Pendlern.

Von Jürgen Wolfram, Solln

Im Winter sind S-Bahn-Fahrer aus Solln einiges gewöhnt. Mal versinken die Bahnsteige tagelang in Eis und Schnee, mal werden aus Sicherheitsgründen die steilen Zugangstreppen gesperrt, sodass die Leute lange Umwege in Kauf nehmen müssen. Auch diese Woche begann mit dem üblichen Ärger. Nur dass Fahrgäste diesmal selbst zur Schaufel griffen, um die Station begehbar zu machen. Am Montag und Dienstag mit von der schippenden Partie: sechs Asylbewerber aus der Forstenrieder Unterkunft, der Bundestagsabgeordnete Michael Kuffer, Lokalpolitiker, eine Sekretärin.

Die Station & Service AG der Deutschen Bahn sah sich bisher lediglich in der Lage, den Sicherheitsstreifen halbwegs frei zu halten. Unterdessen hat der Bezirksausschuss (BA) Thalkirchen-Obersendling-Forstenried-Fürstenried-Solln seine Forderung bekräftigt, den Treppenaufgang des Bahnhofs zur Wolfratshauser Straße zu sanieren und zusätzlich eine Überdachung sowie eine Rampe für Radfahrer und Kofferträger vorzusehen. Die Stadtverwaltung wurde entsprechend einem CSU-Antrag aufgefordert, in diesem Sinne Druck zu machen.

"Obwohl ich die zuständige Stelle mehrmals über die Verhältnisse am Sollner Bahnhof informiert habe, ist einfach nichts geschehen. Die Treppen zum Bahnsteig sehen schrecklich aus, alles voller Schnee und blankem Eis." So schildert Reinhold Wirthl (CSU), was er seit Montag bei wiederholten Besuchen der Station beobachtet hat. Wirthl ist Sprecher des BA-Unterausschusses Verkehr und "Bahnhofspate" des Stadtbezirks. Seinen Augen nicht recht trauen wollte auch der CSU-Bundestagsabgeordnete Michael Kuffer, der im Münchner Süden wohnt. Kuffer hatte am Montag vor, mit der S 7 in die Innenstadt zu fahren, griff dann aber erstmal zur Schippe, um sich und anderen Fahrgästen einen Weg zu den Gleisen zu bahnen.

So wie er legten auch andere Pendler Hand an. "Dann sind Leute gekommen, um sich zu bedanken", berichtet Wirthl. Bei allen Problemen für die Bahn, die sich in den vergangenen Tagen auftürmten wie Schneewände, reagierte ein Sprecher des Unternehmens doch einigermaßen perplex auf Fragen nach dem selbsternannten Räumdienst in Solln. Von derartigen Eigeninitiativen sei dringend abzuraten, mahnt er, sie seien "kontraproduktiv" und "saugefährlich für alle Beteiligten". Schon gar nicht dürfe Schnee auf die Gleise oder auf Weichen gekippt werden. Das führe zur Störung von elektrischen Kontakten und somit zu Zugausfällen.

Zugleich räumt der DB-Sprecher ein, dass es wegen des schweren Nassschnees derzeit zu "langen Räumvorgängen" durch eigene Abteilungen und Subunternehmen komme. "Wir haben Verständnis, wenn Leute sich über die Zustände ärgern. Aber sie sollen wissen: Allein in Oberbayern und im Allgäu sind bei dieser Extremschneelage 700 Bahnhöfe freizuräumen. Da kommen wir nicht überall rechtzeitig hinterher und müssen priorisieren." Der Bahnsprecher bekräftigt die Verkehrssicherungspflicht seines Unternehmens. "Aber in diesen Tagen gelangen wir an unsere Kapazitätsgrenzen."

Vor allem die marode Treppe muss erneuert werden

Dass der Sollner Bahnhof auch in der Sitzung des Bezirksausschusses am Dienstagabend wieder ein Thema gewesen ist, überrascht weniger. Seit mindestens drei Jahren steht die Verdruss-Station regelmäßig auf der Tagesordnung, vor allem wegen der maroden, gefährlichen Zugangstreppen. Die hätten längst erneuert werden sollen, doch vertröstet die Bahn die Lokalpolitiker immer wieder. Aktuellen Ankündigungen zufolge ist mit der Sanierung irgendwann zwischen Oktober und Dezember zu rechnen. "Warum das nicht schneller geht und warum man das nicht im Sommer macht, versteht niemand", kommentierte Reinhold Wirthl das Vorgehen.

Die Bahn hat die Verzögerungen unter anderem damit begründet, dass sie bei der Projektausschreibung zunächst kein akzeptables Angebot erhalten habe. Aus Sicht des BA ist das kein plausibler Grund für jahrelange Versäumnisse. "Es kann doch nicht sein, dass man darum betteln muss, dass die Bahn ihren Verpflichtungen nachkommt", empörte sich Henriette Holtz, Sprecherin der Grünen-Fraktion. Und der BA-Vorsitzende Ludwig Weidinger (CSU) riet der Bahn, es als Chance der "Wiedergutmachung" zu begreifen, die Sanierung der Sollner Bahnhofszugänge "endlich rasch hinzukriegen".

Michael Kollatz (SPD) indes warnte davor, der Bahn auch noch mit Zusatz- und Veränderungswünschen wie einer Treppenüberdachung zu kommen: "Besser nichts verkomplizieren. Wir sollten froh sein, wenn die instand halten, was da ist."

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SZ vom 10.01.2019/vewo
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